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Erwachsen zu werden, heisst: Traurigkeit. Mit 13, so Wallace, hatte er für sich so etwas wie eine taoistische Hybris entwickelt, alles durch eine gewisse Passivität unter Kontrolle halten zu können. Orin wird durch Kontrolle und geometrisches Kalkül zum überragenden Punter im Football. Dass es sich bei dieser Vorstellung von Kontrolle, mit der vor allem Selbstkontrolle gemeint ist, auch nur um Heuchelei handelt, überlässt Wallace im Roman dann dem Gespräch zwischen Joelle und Gately:
„Und dann versteckst du dein tiefes Bedürfnis, dich zu verstecken, und zwar aus dem Bedürfnis heraus, anderen Leuten gegenüber den Anschein zu erwecken, du hättest die Stärke, dir keine Gedanken darum zu machen, welchen Anschein du anderen Leuten gegenüber erweckst.“
Sich selbst zu kontrollieren, bedeutet – geradewegs vor den Toren des traurigen Erwachsenseins -, anderen gegenüber und sich selbst etwas vorzuheucheln. Mit 13 Jahren hat sich der Tennisspieler David Wallace chamäleonhaft den meteorologischen und sonstigen Gegebenheiten so gut angepasst, dass er eine Zeit lang erfolgreich sein konnte. Der Bruch kam dann, so Wallace, mit 15. 1976 noch hatte er Gil Antitoi im Finale geschlagen, 1977 nun schied er bei mehreren Turnieren schon im Halbfinale aus. Die anderen waren auf einmal größer, sie waren nicht mehr die gleichen kleinen Jungs. Wallace fühlte sich als Spätentwickler, fremd gegenüber seinem widerspenstigen, noch unbehaarten Körper, fremd nun aber auch gegenüber seinem – wie er es im Rückblick beschreibt – Heuchelbiotop. Wallace spottet zwar über die Kränkung, die er mit 15 gegenüber seinem eigenen Körper erfahren habe. Eine Kränkung ist es aber offenbar geblieben. Die Linien, die zuvor das Kontrollgefühl garantierten, verdichteten sich auf einmal zu einem Käfig. Auf einmal war die Fähigkeit verloren, sich weiterhin anpassen zu können, weil, so die Selbstdiagnose, die Anpassung zuvor nur Heuchelei gewesen sei.
Hal liegt auf dem Boden und nähert sich immer weiter dem Zustand vollkommener Teilnahmslosigkeit. Er denkt nach über Hingabe, Sucht und Flucht. Alles schwarze Wunder. Stice hat ihn gefragt, ob er an Geister glaubt.
Ich fand es immer ein bisschen grotesk, dass Hamlet all seiner lähmenden Erkenntnisskepsis zum Trotz die Realität des Geists nie anzweifelt. Sich nie fragt, ob sein eigener Wahnsinn in Wirklichkeit nicht ungeheuchelt sein könnte. Stice hatte versprochen, mir etwas Irrsinniges zu zeigen. Ob Hamlet also das Heucheln nicht nur heuchelte.
Der Vater als professioneller Konversationalist; oder: in einer dann in der Endfassung von Infinite Jest verworfenen Episode erzählt ein noch junger James Incandenza, wie er seinen Vater beobachtet, der eine große schwarze Spinne töten will; was auch immer geblieben ist: mit größter Genauigkeit dekonstruiert Wallace eine und seine Familiengeschichte, eine ebenso vergebliche wie exemplarische Austreibung mit einer verführerischen Faszination für Leser: Selbstzerstörung kann unendlich unterhaltsam sein. Wir heucheln mit.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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3 Kommentare zu was am Anfang gewesen sein könnte 4
wolf schwarzkopf
20. November, 2009 um 15:36
.und diesen versprechen hat james inc. eingelöst…
Stephan Bender
22. November, 2009 um 22:04
@ Guido Graf:
Respekt, das ist eine sehr schöne Analyse! Wenn man Ihre Beobachtungen mal als psychologische Grundlage für die Persönlichkeit von David Foster Wallace nimmt, muss er ja tatsächlich ein extrem introvertierter Mensch gewesen sein. Natürlich kann man die Mathematik als Ordnungssystem der Kindheit betrachten, so wie Michael Schumacher wahrscheinlich die Physik als Ordnungssystem seiner Kindheit betrachtete, aber eine Auseinandersetzung mit der Außenwelt fehlt bei David ja völlig. Entweder hat er niemand getraut, oder diese Art der Selbstbeobachtung half ihm, mit dem Konkurrenzdruck besser fertig zu werden.
Warum Erwachsenwerden nun zwangsläufig so traurig sein soll, erschließt sich mir zwar nicht ganz. Aber so auf sich gestellt, ohne Austausch mit den Menschen seiner Umwelt, wird natürlich alles, was man erlebt, zwangsläufig existenziell. Alles was existenziell ist, erlaubt keine Fehler. Und wer keine Fehler mehr machen darf, kann natürlich nichts lernen, sondern bleibt in sich und seiner selbst erschaffenen Welt gefangen. Es ist eigentlich sozialer Autismus, der da geschaffen wird, und wenn der erst einmal zum beherrschenden Lebensgefühl geworden ist, führt der Weg daraus nur noch über einen Analytiker und große Schmerzen. Schmerzen deshalb, weil es um die die Einsicht des Betroffenen geht, dass alles, was er bisher gedacht und getan hat, zwar nicht falsch, aber auch nicht richtig war. Letztlich geht es also tatsächlich um den intellektuellen Referenzrahmen, der aufgrund eines selbstgewählten Existenzialismus zu eng gewählt worden ist – und knallhart auch um das Versagen der Eltern. Wer sich selbst nicht liebt, kann auch seine Kinder nicht ausreichend motivieren, Selbstliebe abseits des Narzissmus zu entwickeln.
Was Hamlet angeht: Die Prämisse des Shakespeare-Stücks ist, dass sein Vater umgebracht wurde, damit seine Mutter mit dem Bruder des Vaters zusammen sein konnte und dieser Onkel war nun neuer König von Dänemark. Das ist schon ein ganz starker Auftritt des Schicksals, ein guter Grund, vorübergehend in den Wahnsinn zu flüchten und das ist mit Hals Situation gar nicht zu vergleichen. Die Flucht in den Wahnsinn kann immer zwei Ursachen haben: Entweder es passiert einem etwas derart Absurdes, das Wahnsinn gewissermaßen ein Bewältigungsritual darstellt (z.B. Hebephrenie), oder aber der Wahnsinn ist eine Art manischer Depression, die das eigene Scheitern vertuschen soll. Hal Incandenza selbst ist gescheitert, weil er sich nicht mit seiner Umwelt kritisch auseinandergesetzt hat, sondern sein Selbstwertgefühl am Tennis festgemacht hat – ein klassischer Fall eines zu engen Referenzrahmens. (Das betrifft heute übrigens fast 70 Prozent der jungen Leute, die den Traum von der Selbstverwirklichung mit der Leistungsgesellschaft verwechseln und denen offenbar jede Art von gesellschaftskritischer Auseinandersetzung fehlt.)
Warum Hamlet den Geist nie angezweifelt hat? Warum sollte er? Sein verwirrter Geist hat ihn selbst geschaffen! Wenn Hamlet, Wallace oder all die anderen Lemminge dagegen die Kraft gehabt hätten, sich selbst mal anzuzweifeln, würden sich intelligente Menschen nicht so einsam auf diesem Planeten fühlen.
Quod erat demonstrandum.
rim
23. November, 2009 um 12:16
Sehr geehrter Herr Bender !
Leider kann ich als Lemming ihren Optimismus nicht teilen.
Stellen sie sich vor, sie scheuen weder Zeit noch Geld und verbringen einen Grossteil ihres Lebens – voll Optimismus auf Heilung/Besserung in Langzeittherapien und alternativen Konzepten, die Sie über Jahrzehnte erlernen/anwenden. Ohne die entsprechende Arbeitsmethode schmälern zu wollen, stellen Sie fest, dass die Hürden für Sie unerreichbar, als Einsicht und Selbstkritik. Entsprechend Ihrer Betrachtung und Problematik sitzen Sie weiterhin in ihrem Käfig des Schams, am Anfang, dem Verhindern des Lebens als solches nicht anders begegnen zu können und der zunehmenden Bürde für Ihre Familie. Da haben Sie kaum Spielraum. Ich verstehen einen Teil der Facetten von Herrn Wallace sehr gut. Die derzeitige Rolle des Mannes, wünschte ich mir stärker in den Fokus der Diskussion.
Hochachtungsvoll
RIM