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Bin derzeit v ö l l i g rausgefallen aus dem Buch. Es ist eine derjenigen Situationen, in denen ich normalerweise ein Buch weglege und mich einem anderen zuwende. Kann allein mit meiner Situation zusammenhängen, aber ich frage mich, je länger ich nicht mehr drin gelesen habe: weshalb s o l l ich lesen? Was gab mir das Buch bisher? Was könnte mich weiterlocken?
Es hat solche Bücher immer wieder gegeben in meinem Lektüreleben, und es heißt nicht, daß nicht der Zeitpunkt noch käme, an dem das Buch „richtig“ wäre; auch das hat es öfter gegeben. Knifflig daran j e t z t ist, daß mich das nicht-weitergelesene Buch davon abhält, ein anderes zu lesen. Die Verpflichtung macht mir ein schlechtes Gewissen; nehme ich ein anderes Buch vor, wird das schlechte Gewissen aktiviert, und ich lege das andere Buch beiseite, als „dürfte“ ich das nicht lesen, bevor nicht UF „erfüllt“ ist. – Blöde protestantische Arbeitshaltung, völlig lustfremd. Ausnahme: eigene Texte. Da „darf“ ich, sagt mein Überich. Und na ja, derzeit läuft das >>>> ilb, bei dem ich ein bißchen mit eingespannt bin. Zumal mich die arabische Welt so viel mehr interessiert als die US-amerikanische, die mich g a r nicht interessiert. (Stimmt nicht, aber stimmt in der Tendenz der Abwehr, die mein emotionales „gar“ so überdeutlich illustriert; sie tut so, als gäbe es Faulkner nicht, Pynchon, Gaddis, Poe undundund: seltsamerweise habe ich die aber immer als „eigentlich“ europäische Autoren wahrgenommen, was bei Wallace definitiv nicht der Fall ist).
(Die Platte „hängt“ bei 188.)
P.S.: Ich frag mich gerade, ob mein Widerwille, der ja eine Art inneren Widerstandes ist, darin begründet ist, daß das Buch überhaupt keinen Eros hat; es ist geradezu ohne Körper. Es gibt keine Sekrete, es gibt keine Obsession, jedenfalls bisher. Es gibt nicht eine einzige Frau darin, die F r a u wäre; nix, wo ich die Luft durch die Zähne ziehe; meine Fantasie wird nicht angeregt, es ist, als wäre der Text permanent mit Kopfstimme geschrieben; mir fehlt E r d u n g, Erde, Dung. Ich habe mit dem, was das Buch erzählt, nichts zu tun. Vielleicht ist es auch einfach das. Ach, ich weiß doch auch nicht!
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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8 Kommentare zu Tiefpunkt.
Daniela Sickert
14. September, 2009 um 09:08
Die Obsession ist die Sprache….
mischa gerloff
14. September, 2009 um 10:29
Ach, ach und ach. Das ist doch nicht schlimm, Herr Herbst. Und Sie sollten die Verpflichtung vielleicht nicht so ernst nehmen. Denn wir wissen doch wohl alle, daß man sich die köstlichsten Dingen verleidet, wenn man immer den Teller leer essen muß.
Ich frage mich auch öfter, warum ich jetzt genau dieses Buch weiterlesen soll – selbst, wenn es bis dahin Vergnügen bereitet hat. Und ein halbes Jahr später merke ich dann: War einfach der falsche Zeitpunkt – und plötzlich flutscht es wieder.
Alban Nikolai Herbst
14. September, 2009 um 14:59
@Daniela Sickert.
Das ist mir zu wenig, im Sinn von Kants Satz, daß Begriffe ohne Anschauung leer seien – wenn ich „Anschauung“ mal provisorisch mit Sinnlichkeit gleichsetze, die mir hier eben permanent fehlt. M i r, wohlgemerkt. Anderen geht es ja deutlich anders damit.
Daniela Sickert
14. September, 2009 um 15:57
@Alban Nikolai Herbst
Ich denke man kann sich dem Text mit Wittgenstein eher nähern. Aber es ist vielleicht auch einfach eine subjektive Frage, ob man das Buch bereits vor dem Kauf liebt, oder erwartet, verführt zu werden. Letzteres leistet der Text sicherlich nicht auf gewohnte Weise.
Viel hilft mir immer wieder folgender Auszug aus einem Interview in der Zeit vom 24.1.2007:
„Ich arbeite sehr langsam, Zeile für Zeile – und am Ende will ich, dass es sich eher so anhört, wie jemand denkt, und nicht so sehr, wie jemand spricht. Das macht es manchmal schwer zu lesen. Und noch schwerer zu übersetzen.“ (http://www.zeit.de/2007/05/L-Interview)
Alban Nikolai Herbst
14. September, 2009 um 16:24
@Mischa Gerloff.
Völlig klar, sowas hab ich ja auch in meinem Text angedeutet. Nur gibt es eine Deadline für dieses Projekt, und irgendwann vorher kommt der Tag, von dem an ich meinen täglichen Part zu „leisten“ haben werde. Da will ich dann nicht, könnte das auch gar nicht realisieren, evtl. Hunderte Seiten nachholen müssen.
Außerdem, das kennen Sie doch auch: Hat man ein Buch erstmal beiseitegelegt, kann es J a h r e dauern, bis der richtige Zeitpunkt kommt. W e n n er kommt. – Nee, ich muß da jetzt durch. Und vielleicht spiegelt mein „Problem“ mit dem Buch auch Probleme, die andere Leser des Buches, die hier nicht mitschreiben, haben, also schlicht „normale“ Leser, die sich das nun sehr bekanntgewordene Buch gekauft haben und ebenfalls ins Stocken geraten. Dann wäre mein stockendes Vorankommen hier als Protokoll nicht fehl am Platz, sozusagen ein Kontrapunkt zu den oft begeistert affizierten Beiträgen. Zu denen sich meine Grundhaltung allerdings sehr gerne einordnen würde.
Stephan Rauer
14. September, 2009 um 22:43
Als so eine Art Normalleser, der immer hofft, an neuen Flüssen ohne Ufer, oder den Manas, Wang- Lun oder so usw.: ich hab das Buch nach 100 Seiten aus ähnlichen Gründen wie Sie, Herr Herbst, weggelegt: bei so vielen Wörtern und Abzweigen, natürlich gibt es da im Schlick auch gelungenes Funkeln, aber es ging mir doch so, dass das allzuviele Gerede in dem Text mit mir kaum etwas zu tun hatte: die Drogenproblematik angehender Tennisprofis zur Zeit der Clintonära nicht, das ins Nichtsmehr überzeichnete Satirische lässt einen fühllos zurück usw.: was bleiben könnte, wäre die Sprache, in hochgelobter Übersetzung: natürlich gibt es feine Neologismen, aber jenseits dieser rein lexikalischen Ebene, da war mir nichts, was federte oder trieb, kein Rhythmus, keine Binnenspannung, nur echte Verzweiflung in viel zu viel Rumgeworte: verlatscht und verquatscht. Dann lieber den (in vielem sicher viel angreifbareren) ‚bürokratischen Irrsinn‘ eines Reinhard Jirgl oder Les Murrays „Fredy Neptune“: beides unausweichlich, da gab es diese Zweifel nach 10 Seiten, nach 50, nach 100 doch gar nicht, stattdessen Empörung und echten Sog. Und wohl leider keine Bloggs (die Idee ist ja prima, da schaut man dann immer noch mal nach).
mischa gerloff
14. September, 2009 um 23:17
@ABH (und ich habe es doch geahnt: Knebelverträge! scherz) Dann wünsche ich Ihnen viel ENERGIE, um durch das Buch zu kommen. Jahre hat es bei mir auch schon manches Buch aushalten müssen. Und dann kam eben doch der richtige Zeitpunkt (im vergangenen Sommer nach vielen Jahren die „See-Leben“-Trilogie von Werner Koch, dessen zweiter Band mir mal „untergekommen“ war, irgendwann erbte ich den 1., und dann dauerte es noch drei Jahre).
Sinnlichkeit: Habe ich auch noch nicht so gelesen. Aber mit den Sinnen. Ich komme, neben der Eingangsszene, die mich in das Buch sog, immer noch nicht über diesen (Achtung, schnell darüber hinweg lesen!) Bernhard’schen Drogenerwartungsmonolog weg, der in einen völlig angespannten und heißlaufenden (Selbst-) Beobachter führte. Doch das muß niemand sonst so lesen :-)
Konrad Leider
18. Oktober, 2009 um 12:53
Ganz Ihrer Meinung was das P.S. betrifft, das Buch ist sehr steril, medial, abstrakt, kalt, eine Welt der Dinge, nicht der Menschen – und damit trifft es unsere Zeit sicher besser als jeder andere Roman, auch wenn ich persönlich doch dann lieber wieder zu den Klassikern greife, zu Dostojewskij und Fontane, zum Lebendigen, Greifbaren…