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Das Buch hat mich. Ich lese es auf dem Bett, auf dem Sofa, beim Fernsehen, im Zug, auf der Terrasse, draußen vor dem Restaurant bei nervigen Wespen, und auf der Parkbank, während Hunde bellen. Ich lese von Mond zu Mond. Ich möchte fürs Lesen bezahlt werden. Möchte man was in Sachen Bildung tun, und man meint hier irgendein hohes Amt, so sollte die Lektüre von Büchern geldlich entlohnt werden, gestaffelt nach Qualität, nach bestimmten Anspruchsschlüsseln. Wie viele Hauptschüler dann vielleicht U.S. lesen würden. Wie reich ich dann schon wäre. Und wie weit ich schon bin, siehe unten. Auf mein eigenes Schreiben, das man gleich vom Leseeinkommen abziehen müsste, hat U.S. bislang noch keinen Einfluss, denn es findet zur Zeit kaum statt. Es ist ja auch nicht so, dass DFW ein großer Stilist wäre, eher ein Multiinstrumentalist. „Ab einem gewissen Punkt kommt man sich vor wie ein Römer, der den Löwen applaudiert.“ (S. 389) Mein Sozialleben leidet nur geringfügig. Es findet wenig Liebe statt in dem Buch, fällt mir auf. Ein Tennisschüler hat es im Bus vom Turnier nach Hause mit einer Doppelspielerin getrieben, Mme Psychosis hat eine Vorgeschichte mit Orin, der seitdem ein unschlagbarer Objektisizer ist, außerdem taucht immer mal der Name Mildred Bonk auf, das war es bis dato. Der unendliche Spaß ist einer, der hauptsächlich mit sich selbst und chemischen Zusätzen beschäftigt ist. Ich schlage endlich die Stelle in Hamlet nach. Akt 5, Szene 1. „1 Clown: This same skull, sir, was, sir, Yorick’s skull, the king’s jester. – Hamlet: This? (Takes the skull.) 1 Clown: E’en that. Hamlet: Alas, poor Yorick! I knew him, Horatio – a fellow of infinite jest, of most excellent fancy.“ Übersetzt von Holger M. Klein, Reclam, Orange: „… Ich kannte ihn, Horatio – ein Bursche von unendlichem Witz, von ganz hervorragender Phantasie.“ (Stand: S. 407.)
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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9 Kommentare zu This skull, that skull
Thorsten Krämer
9. September, 2009 um 11:28
Lieber Herr Blumenbach,
da der „unendliche Witz“ nun einmal im Raum steht, und ich mich beim ersten Lesen des deutschen Titels schon über den Spass gewundert habe: Vielleicht könnten Sie ja Ihre Gründe für Ihre Übersetzung von jest einmal ausführen? (Es geht dabei ja nicht um richtig oder falsch, sondern jeweils um Entscheidungen, die der Übersetzer trifft) Das würde mich wirklich interessieren. Im Voraus schon mal vielen Dank.
(Falls Sie das schon anderer Stelle getan haben – ich kenne das Material-Bändchen von KiWi nicht – bitte ich um Entschuldigung für diese Redundanz.)
Stephan Bender
9. September, 2009 um 11:39
Ja, das was dran: Wenig Liebe und viel Chemie. Aber auch das ist bei dem Autor, vor dessen Intelligenz man sich Kapitel für Kapitel wirklich verneigen muss, eine Metapher: Es gibt heute wenig echte Liebe (Individualismusfalle) und viel Sex mit Chemie. (Die Einzelheiten erspare ich mir hier einmal.)
Das habe ich vor 21 Jahren, – wenn meine Erinnerung mich nicht trügt – , schon einmal gelesen in einem Brief, den Wolfgang Hildesheimer an Max Frisch zu dessen Geburtstag schrieb: „… Und was ist Zivilisation? – Scheiße bauen, aber in chemisch gereinigten Unterhosen!“
ulrich blumenbach
9. September, 2009 um 12:03
Gern, lieber Herr Krämer. Der entsprechende Kommentar war in Arbeit, seit die ersten kritischen Stimmen zu meiner Titelwahl laut wurden. Meine erste Überlegung war, mich an eine kanonische Shakespeare-Übersetzung zu halten, weil der Titel eben ein Zitat aus dem „Hamlet“ ist. August Wilhelm Schlegel übersetzte die entscheidende Wendung mit „unendlicher Humor“ und schied aus, weil „Humor“ zu bieder ist und nach Spitzwegscher Gemütlichkeit klingt. Die Komik der Filme von James O. Incandenza mag kryptisch, ätzend oder einfach trocken sein, in diesem schlechten Sinne humorvoll ist sie nie. Erich Fried hat „unendlicher Spaß“ geschrieben. Das gefiel mir, auch weil ich den Titel noch erweitern können musste: Im Roman tauchen die Wendungen „Infinite Jim“ und „Infinite Jester“ auf. „Infinite Jim“ kann ich nicht übersetzen, ohne den Vornamen des Regisseurs zu ändern, aus „Infinite Jester“ konnte ich „Unendlicher Spaßmacher“ machen. Nun kommen die Kritiker: Harry Rowohlt schlug vor einigen Wochen „Unendliche Possen“ vor, damit man wenigstens eine gewisse Altertümlichkeit erkenne – das wäre gegangen, denn „Possen“ lassen sich zu „Possenreißer“ erweitern, aber „Possen“ wären mir zu unernst gewesen, zu albern und Richtung Nonsens tendierend, als dass sie – siehe oben – zu Incandenza gepasst hätten. Mein Joyce-Mitübersetzer Reinhard Markner schlug „Unendliche Narretei“ vor, aber da wäre eine entsprechende Erweiterung schon mal nicht möglich gewesen; wäre Incandenza ein „Unendlicher Narr“, hätte er weder seine wissenschaftlichen Entdeckungen noch sein filmisches Werk zustande gebracht. Georg M. Oswald schrieb hier: „In Jest sind Witz und Scherz zuhause“ – da hätte sich dann wieder ein „Unendlicher Witzbold“ angeboten, aber „Witz“ ist mir im heutigen Sprachgebrauch zu sehr eingeschränkt auf eine „prägnant formulierte kurze Geschichte, die mit einer unerwarteten Wendung, einem überraschenden Effekt, einer Pointe am Ende zum Lachen reizt“ (Duden). Ausschlaggebend für mich, bei Frieds „Spaß“ zu bleiben, war, dass ich damit Wallace’ Kritik an der Spaßgesellschaft schon im Titel anklingen lassen konnte; dieser wird dann mehrdimensional und beginnt, zwischen den verschiedenen Bedeutungen zu oszillieren. Er benennt ein Grundübel der amerikanischen Gegenwartsgesellschaft ebenso wie den Spaß, der sich hoffentlich (siehe meinen Kommentar zu Alban Nikolai Herbsts Beitrag von heute) bei der Lektüre einstellt.
Mehr erst mal nicht: Muss meiner Tochter Mittagessen kochen.
Iannis Goerlandt
9. September, 2009 um 13:28
Lieber Herr Blumenbach,
herzlichen Dank für Ihre Erläuterung. Anfangs habe auch ich mich über den Titel gewundert, aber inzwischen ist mir Ihre Wahl ans Herz gewachsen. Am wichtigsten für mich sind dabei zwei Überlegungen.
Erstens ist von allen genannten Möglichkeiten „Spaß“ das einzige Wort der Gegenwartssprache, glaube ich, das sowohl „Vergnügen“ als auch „Witz“ bedeutet (Witz vor allem im von Ihnen erklärtem Sinne, sondern auch in der gemeineren Form „einen Spaß mit jmdm. treiben“, und natürlich auch im Jean Paul’schen Sinne). So ist der Titel herrlich mehrdeutig, und steht er im (dem Original gemäßen) korrekten Spannungsverhältnis zwischen Amüsement/Entertainment, dem (üblen? kann man ja doppelt lesen) Witz dem Leser gegenüber (vgl. James‘ Film „The Joke“ – den Roman beabsichtigt m.E. allerdings eine weit positivere Wirkung), und dem aufklärerischen Witzbegriff.
Zweitens passt das Akronym US (als Pendant zum einprägsamen Kürzel IJ des Originals) sehr gut zur beschriebenen Gesellschaft, und zur „Gemeinschaft“, die vom Roman gestiftet wird. Zwar ist diese Hineindeutung ein bisschen billig, doch UH, UW oder gar das Rowohlt’sche UP wären sicher noch weiter verfehlt.
Iannis Goerlandt
9. September, 2009 um 14:46
… womit ich natürlich gesagt haben möchte, „US“ sei weit verfehlt… (o mei)
Iannis Goerlandt
9. September, 2009 um 15:21
… nicht gesagt haben möchte …
[mei o mei / lesen bis 1:30 Uhr morgens bekommt mir anscheinend nicht sonderlich gut]
Thorsten Krämer
10. September, 2009 um 19:08
Lieber Herr Blumenbach,
auch von mir noch ein leicht verspäteter Dank für Ihre Ausführungen. Ihr Ausschlussverfahren leuchtet mir sehr ein, und ich muss zugegeben, dass die Assoziation der Spaß-Gesellschaft in der Tat ein unschlagbares Argument ist.
In der Zwischenzeit ist mir auch klar geworden, was mich persönlich immer eher zum Witz hat tendieren lassen: Die Erinnerung an den berühmt-berüchtigten gespielten Witz aus der Fernsehserie Nonstop Nonsens(sic!). Und so frage ich mich nun, ob DFW wohl Didi Hallervorden gemocht hätte…
ulrich blumenbach
10. September, 2009 um 20:11
Ihre Erinnerung an gespielte Witze geht in eine meiner Meinung nach ganz wichtige Richtung, lieber Herr Krämer: Für die Funktion, die der Film „Infinite Jest“ im Plot des Romans übernimmt, dürfte Wallace von Monty Pythons „The funniest joke in the world“ inspiriert worden sein, dessen Hörer vor Lachen krepieren. Ein Problem der Übersetzung des Romantitels war, dass ich nicht einfach den Semantikfuzzi geben und mich auf die Bedeutungsfacetten des Wortes „jest“ beschränken durfte, sondern alle möglichen Kontexte berücksichtigen musste: Das „Hamlet“-Zitat, die schon erwähnte spezifische Komik des Romans (bzw. die verschiedenen ‚Komiken’, denn Wallace’ Komik entspricht nicht unbedingt der von James Incandenza) und den Inhalt des Films „Infinite Jest“. Es ist wohl kein großer Spoiler, wenn ich verrate, dass dieser Inhalt am ehesten einen Titel wie „Unendliche Lust“ (Nietzsche, ick hör’ dir trapsen: „Denn alle Lust will Ewigkeit …“) oder aber „Unendliche Schönheit“ gerechtfertigt hätte.
Kai Schreiber
26. September, 2009 um 18:09
Oje. Ich befinde mich in der Sonderposition, Infinite Jest parallel zum Erscheinen seiner Übersetzung in Deutschland gelesen zu haben, und deren Rezeption parallel zu meinem eigenen Entdecken des Werks zu verfolgen, die Übersetzung selbst aber leider gar nicht zu kennen. Von Anfang an habe ich mich über die Titelwahl gewundert, und dieser Kommentar macht es mir leider auch nicht verständlicher. Infinite Jest hat doch im Englischen auch einen altertümlichen und biederen Klang und ist zudem ein Verweis auf einen literarischen Klassiker. Das Übersetzerproblem, den verwendeten Ausdruck kontextualisieren können zu müssen, ist zwar nachvollziehbar, aber Unendlicher Humorist wäre gegangen, wenn auch zugegeben ganz nicht so schön wie der Spassmacher, und am Unendlichen Jim führt ja ohnehin kein Weg vorbei.
Das Hauptargument gegen den Spass ist für mich aber nicht, dass es eine bessere Wahl gegeben hätte, sondern eben just der Anklang an die Nullvokabel Spassgesellschaft, den Sie mir unverständlicherweise loben. „Spassgesellschaft“ ist, was misanthropische Kulturkritiker aus dem Sack holen, wenn ihnen sonst nichts einfallen mag, und dieser Anklang holt meines Erachtens den komplexen Zielpunkt des Romans auf ein Reflektionsniveau, das Wallace selbst sorgfältig vermieden hatte, und nicht nur aus stilistischen, sondern vor allem aus werkimmanenten Gründen.
Ausserdem, um mit einem anderen Klassiker zu reden: Jeder Versuch, die Biederkeit zu vermeiden, indem ihr Anschein vermieden wird, führt nur um so tiefer in die Biederkeit. Will sagen, dass mir der Spass unendlich viel biederer klingt als Schlegels Humor, oder, wenn schon weg von Schlegel, warum nicht „Unendliche Komik“, mit einem endlosen Komiker?
Jetzt hab ich ein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil ich von der Übersetzung buchstäblich nur den Titel kenne, und hier rummaule, ich hoffe, Sie nehmens mir nicht krumm. Die Übersetzung ist in jedem Fall ein unfasslicher Verdienst. My hat’s off to you.