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Die Leukodermatiker. Die Xanthodontiker. Die maxillofazial Fehlgebildeten. Die mit verzerrten Augenhöhlen aller Art. Traut Euch hervor unter dem Deckenfluter der Sonne, heißt es hier. Kommt rein aus dem Spektralregen.
Wir sind gemeint. Wir sind allein. Wir sind allein mit dieser Stimme, dieser sparsamen und „seltsamen leeren“ Stimme. Sie kommt aus dem Radio, aus einem fast verlassenen, wie verwaisten Studio, sie schwebt und wir verstehen sie nicht. Wir sind gemeint:
All Ihr Peroniker und Teratoidalen. Ihr phrenologisch Fehlgebildeten. Ihr mit suppurativen Läsionen. Ihr endokrinologisch Übelriechenden aller Duftnoten. Schreitet nicht länger gedemütigt einher. Ihr mit den acervulinen Nasen. Ihr radikal Ektomierten. Ihr krankhaften Diaphoretiker mit Tempos in allen Taschen. Ihr chronisch Granulomatosen. Ihr, die grausame Menschen, wie es hier heißt, als Zweitüter bezeichnen – eine Tüte für Euren Kopf und eine für den des Betrachters, falls die auf Eurem Kopf mal abfallen sollte. Ihr Verhassten, Rendezvouslosen und Gemiedenen, die Ihr im Schatten bleibt. Ihr, die Ihr Euch nur vor Euren Haustieren auszieht. Ihr Zitat ästhetisch Geforderten. Verlasst Eure Lazarette und Oublietten, ich lese das, wie’s hier steht, Eure Klausen, Keller und TP-Tableaus und sucht Euch Hege, Unterstützung und die inneren Ressourcen, um Eurem Spiegelbild furchtlos ins Auge zu schauen, heißt es – etwas übertrieben vielleicht – hier weiter. Doch steht uns diese Bemerkung zu. Lieber per Du als Degout, steht hier. Kommt und legt ab das Deckmäntelchen von Genotyp und Phänotyp, steht hier. Lernt, eure verborgenen Seiten zu lieben. Schließt sie ins Herz. Ihr mit den fast unglaublich geschwollenen Knöcheln. Ihr Kyphotiker und Lordotiker. Ihr unheilbaren Zellulitiker. Fortschritt, nicht Vollkommenheit, steht hier. Niemals Vollkommenheit, steht hier. Ihr todbringend Schönen: Willkommen. Ihr Aktæonisierenden Seite an Seite mit den Medusoiden. Ihr Papulösen, Makularen und Albinos. Medusen und Odalisken: Hier findet Ihr Euresgleichen. Alle Versammlungsräume ohne Fenster.
Da sitzen wir. Mario hört ihr zu, wir vernehmen sie von fern her, diese Stimme Joelle van Dynes, die Stimme von Madame Psychosis, Don Gately hört sie dann. Und erst dann, wenn Joelle bei Don Gately am Bett sitzt und er hört, er dämmernd, fiebernd hört, auch wie von fern, und zwangsläufig zum Kind wird, in Familienabgründe stürzt, das eigene fremde traurige Leben, kommen wir allmählich an den Anfang, oder besser an das Ende eines Romans, das zum Anfang der Geschichte führt. Im Schatten: Wir sind gemeint.
23.30. Wieder am Wasser. Mystere heißt der Rotwein, wenn ich das richtig gelesen hab. Bis eben im Großraum gewesen. Es ist immer dasselbe mit der Messe. Je länger sie dauert, desto näher fühlt man fiesen Atem des Manns mit dem Hammer seinem Nacken kommen, und dann schlägt er zu, meist unterwegs nach Hause, und man verfällt in einen Zustand der saloppen Katatonie, der bis zu einer Woche andauern kann. Zu Tode gemesst, sozusagen. Die Wirkung kommt James O. Incandenzas Patrone ziemlich nahe. Stell ich mir vor. Mit viel Lesen war jedenfalls auch auf dieser Messe nix. War ja ganz kuschelig. Selten soviele randverzweifelte Kollegen getroffen.
Wir sind wieder bei Gately. Der fährt mit einem Ford Aventura von 1964 durch die Gegend, den wir uns nicht vorstellen wollen. Ein 45 Jahre alten Amerikaner. Obwohl er scheckheftgepflegt ist. Und wie Gately darin herumhängt, stellen wir uns gleich gar nicht vor. Begegnen wollen wir ihm auch nicht, auch wenn er nüchtern ist. Er hat keinen Führerschein mehr. Hat er im Jahr der mäuschenstillen Maytag-Spülmaschine verloren. Hatten wir dieses Jahr schon. Gott, werde ich vergesslich. Gatelys Karriere wird im Folgenden weiter ausgefunzelt. Es gibt wieder Drogentote (diesmal geradezu altertümlich mit Morphium). Gately lässt einen percodanabhängigen (was ist das eigentlich) ermitteln, was sein Einbruch bei dem erst verschnupften, dann unter tätiger Mithilfe Gatelys an seiner eigenen Rotze erstickten Agenten an Folgen nach sich zieht. Schon schürzt sich ein Zusammenhang, Gately hört vom Büro für Nicht-Spezifizierte Dienste. Was es mit den epidemischen Nucks auf sich hat, muss ich allerdings noch mal nachschlagen. Alles strudelt noch ein bisschen weiter. Gatelys Ex zum Beispiel, eine beim volltrunkenen Beinrasieren volljaulende Vollalkoholikerin namens Pamela Hoffman-Jeep (sic!). Pat Montesian zum Beispiel, auch eine trockene Alkoholikerin. Es gibt in diesem Buch nicht eine halbwegs intakte Leber. Eigentlich müsst das Buch ganz gelb sein. Gatelys Mutter? Gehirnschaden durch zirrhotische Hämorrhagie. Pat Montesian ist im Vollbesitz zweier höchst unterschiedlicher Körperhälften. Die eine spastisch verzerrt, die andere unverkrampft. Sie hatte – auch schön – „eienn sexuell glaubwürdigen Körper“, der allerdings durch neurologische Schädigung des rechten Fußesstark zum durch die Straßen kacheln neigt. Auch unschön als Verkehrspartner. Was jetzt nicht, naja, Sie wissen schon. Dass Gately auch ohne Kniefallchose vom Stoff weggekommen ist, das wussten wir ja nun schon. Steht aber noch mal da. Wahrscheinlicher als höhere Eingebung ist als Heilmittel Arbeit. Nackte Arbeit. Da wollen wir jetzt aber nicht weiter drüber nachdenken. Das stößt übel auf. Es geht allerdings noch übler. Gately wird Chefkoch in Ennet-House. Hotdogs, klitschiger Hackbraten mit Reibekäse und einer halben Schachtel Cornflakes obendrauf.
Bei uns gabs Lamm in einem Bett aus Sellerie-, Möhren- und Pastinakenhobeln. Angebraten, scharf gewürzt, anderthalb Stunden im Ofen vergessen. Mit Couscous. Großartig. Nur so kann man US kulinarisch überleben.
Nach mehr als 800 Seiten US ist es mir jetzt gleich zweimal passiert, mitten in der Nacht trotz überquellender Müdigkeit mit dem Lesen nicht aufhören zu können. Zuvor war es problemlos gewesen, an beinahe jeder beliebigen Stelle, nicht ohne das schwarze Trauerband positioniert zu haben, die Schwarte zuzuklappen und bei nächster Gelegenheit irritationslos den Faden an gleicher Stelle wieder aufzunehmen. Langweilig war das Lesen ja nie – dafür sorgten die Überfülle der Bilder und Ereignisse, die immer wieder staunenswerte Virtuosität der Sprache, die Übersteigerungen und Kuriositäten, bunt wie auf dem Jahrmarkt.
Jetzt aber plötzlich war mit eisernem Griff Krimi pur. Zunächst die so harmlos intonierte Wanderung der Herren Lenz und Green durchs nächtliche Boston, bis der smarte Sadist seine Selbstentlastungsaktionen um einen Tick überzieht. Und dann die mitternächtliche Straßenschlacht als böse Folge der Grenzüberschreitung mit einem Totschläger als napoleonischem Helden im Getümmel. Hat es irgendjemand geschafft, da mittendrin das Lesen einzustellen und sanft zu entschlummern?
Und das, obwohl auch in dieser lang hingezogenen Szene immer ein Portiönchen des Zuviel spürbar ist, zu viel der splitternden Knochen, der blitzenden Messer, der Augenhöhlen perforierenden Pfennigabsätze. Das Zuviel, das den ganzen Roman durchzieht und immer etwas Distanz schafft zur fiktiven Realität, als ließe sich diese, vielleicht vor allem für den Autor, so besser ertragen: als Groteske, als ein Lächeln bei aller Betroffenheit.
Nur ganz selten verzichtet Wallace in seinem Text auf dieses Distanz schaffende Zuviel – und erreicht dann urplötzlich Dimensionen, wie man sie aus einigen der – später entstandenen – Erzählungen (aus „Interviews“ und „Oblivion“) kennt. Zum Beispiel wenn in einer Schilderung des schnellen Sex die Sehnsucht anklingt, „dass sie ihn eine Sekunde lang mehr liebt, als sich ertragen lässt“ (S. 816). Oder wenn, quasi zur Erklärung, ein paar Zeilen später eine verschämte Klammer Auskunft gibt, weshalb Orin ständig wechselnder Sex-Partnerinnen bedarf: „Denn gäbe es für ihn jetzt nur die eine spezielle, dann wäre der Einzige nicht er oder sie, sondern das, was zwischen ihnen wäre, die alles auslöschende Dreifaltigkeit von Dir und Mir und Uns. Orin hat das einmal empfunden, sich nie davon erholt und wird sich auch nie erholen.“
Für den, der dieses urmenschliche Thema, Quelle aller Melancholie und Poesie, nichts als verquast romantisch oder kitschig findet, fügt DFW gut 30 Seiten später eine Klage Marios an, dass „echt echte Sachen“ heutzutage als „unangenehm“ empfunden werden, deren man sich „genieren“ müsse: „Als gäbe es eine Vorschrift, dass echte Sachen nur erwähnt werden dürfen, wenn man gleichzeitig die Augen verdreht oder auf nicht glückliche Weise lacht.“
Aber es sind immer nur Augenblicke, in denen DFW sich aus der Schutz gebenden Deckung des Distanz schaffenden Zuviels herauswagt, schon der Balance zuliebe.
Auf S. 1052:
„Marathe war bereit, jederzeit eines gewaltsamen Todes zu sterben, wodurch er seine Emotionen frei wählen konnte. M Steeply vom US-amerikanischen B.S.S. hatte verifiziert, dass die USA das weder verstanden noch zu schätzen wussten; es war ihnen fremd.“
Ehrlich gesagt, ich verstehe das auch nicht ganz. Der Zusammenhang zwischen der Wählbarkeit seiner Empfindungen und der Bereitschaft zu sterben scheint mir auf eine geheimnisvolle Weise richtig und bedeutsam. Aber ein genaues Gefühl für den Inhalt des Satzes kann ich trotzdem nicht entwickeln.
Ich habe dem I-Ching die Frage gestellt: „Werde ich je Gelegenheit haben, diesen Satz zu verstehen?“ Den Orakelspruch habe ich mithilfe dreier Münzen hergestellt. Es war das Hexagramm Nr. 10, Lü:
„Auftreten auf des Tigers Schwanz. Er beißt den Menschen nicht. Gelingen.“
Verwirrend.
19.30. Bei S. gewesen, gestanden. Geradezu historisch. Zum 50. Mal Kritikerempfang. Der Wortgottesdienst der Buchmesse. Komisches Gefühl, dass es immer netter wird. Wenn noch die Literatur… Dann wärs gar nicht mehr auszuhalten. Die Witwe bestätigt, dass der Verlag zwar umzieht, die Klettenbachstraße aber in Frankfurt bleibt. Da sind wir aber froh. Wir haben eh schon zuviel Straßen in Berlin. Dann übergibt sie an einen Autor in Schwarz mit Humanahornbrille. Der liest aus einem Langgedicht, das laut der Witwe 800 Seiten lang sein soll. Wem geb ich das bloß? Wenn man ihn sieht, beim lesen, geht’s ja noch. Der Beinahebuchpreisträger gesteht nix verstanden zu haben. Mich erinnerts ein bisschen an einen klassischen Kritikerempfang, als Giorgio Agamben italienisch las und hinter mir immer mehr Menschen pythonesk murmelten: „Was hat er gesagt?“ Selig sind die Rübennasen. Der Humanamann liest acht Seiten von gelutschten Kühen und anderem sehr ruralem Zeug. Zaubersprücheartig. Sehr landdeutsch. Er ist wahnsinnig gespannt. Und die Witwe hängt an seinen Lippen wie eine Fliege am Leim. Super gut sagt sie hinterher.
Zurück zum undeutschesten aller 9. November. An der E.T. A. wird trainiert, was von eher marginalem Interesse ist. Aber selbst das machen DFW und Ulrich Blumenbach manchmal fast noch zu Ereignissen. Wenn sich jemand von Schtitt einen „Rüffel mit niedrigem PH-Wert“ einfängt. Wenn es „hottiflotti“ weitergeht bis zum echten Strafkotzen. Und die „Mädchen hinter ihm sind zu dick eingepackt, als dass man ihre Augenweiden abgrasen wollte“. DFW zeigt wieder seine Kunst in Wolkenbeschreibung. Ein wahrer Wolkenkünstler. Und dann taucht Tony Nwangi auf. Und der ist echt Schau. Ein Fest für Blumenbach. Eine Art afroamerikanischer Trapattoni. Einer der sich durchs Englische verunfallt, dass es eine Art hat. „Drinnen ist Geruch von Heizungen, Echo, zusammengezwängt, Plane ist übernah an Grundlinie, nicht genug von Raum, Glocken in Clubs, die laut die Stunde läuten, um abzulenken, Klongen von Maschinen, die erbrechen süße Cola für Münzen.“ Toll. Oder die Weisheit des Tages: „Wer könnte das Ganze geben mit Fingerhirse?“ Ich bestimmt nicht.
Schtitt erzählt von Kaiserslautern, der kann auch nicht geradeaus reden. Und sagt Weisheiten wie „Bewegt euch. Reist mit leichtem Gepäck. Ereignet euch. Seid hier.“
Ich will weg. Mich woanders ereignen. Noch anderthalb Tage. Rowohlt schenk ich mir. Vielleicht werd ich ja alt. Hoffentlich sogar.
S. 709
„Der Filmemacher arbeitete in der Optik an vorderster Front. Holographie, Diffraktion. Er hatte vorher schon ein paarmal holographische Verfahren eingesetzt in Zusammenhang mit filmischen Angriffen auf die Zuschauer. Er war Mitglied der Feinseligen Schule oder so ’nem Käse.“
Die Wiener Ausgabe von sowas wie der „Feindseligen Schule“ vereinte offenbar Namen wie Weibel, EXPORT, Schmidt jun. und Scheugl, Kren oder Schlemmer:
exit, aktionsfilm, communication action. material: präparierte leinwand (aluminiumfolie), feuerkugelwerfer, flugobjekte, rauchobjekte, feuerwerkskörper, zündschnüre, heuler, sprengkörper, rauchpulver, musterfilme der industrie, megaphon.
uraufführung beim „ersten europäischen treffen unabhängiger filmemacher“ am 15. november 1969
während weibel eine rede hielt, und filme auf die aluleinwand projiziert wurden, schossen die akteure (export, scheugl, schmidt, schlemmer, kren) feuerkugeln durch die leinwand, warfen feuerwerkskörper, entzündeten das rauchpulver, starteten die flugobjekte, knallten den saal voll, zischten los auf das publikum, das hinter allem möglichen deckung suchte, die türen aufriß und auf die straße flüchtete.
ausräucherung und einnebelung eines kinosaales.
Bei anderer Gelegenheit wurden Stacheldrahtballen in den Zuschauerraum geworfen, ein Wasserwerfer auf das Publikum gerichtet, und wer dem widerstand, mit einem Ochsenziemer ausgepeitscht (6. Mai 1969).
zitiert nach: Peter Weibel/VALIE EXPORT, bildkompendium wiener aktionismus und film, Frankfurt 1970 (S. 259 u. 267)
Gastbeitrag von Stephan Bender
(12. Oktober 2009, Volksbühne Prater im Foyer nach der Lesung, Gedächtnisprotokoll)
Frage: „Herr Schmidt, darf ich Sie mal was Persönliches fragen?“
Harald Schmidt: „…aber gern…!“
Frage: „Kommt diese Zeit und die damit verbundene Stimmung, die Sie damals in ihrer Harald-Schmidt-Show in SAT1 hatten, irgendwann noch mal zurück?“
Harald Schmidt: „Nein die kommt nicht mehr zurück.“
Frage: „Warum nicht…?“
Harald Schmidt: „Sie ist einfach vorbei.“
Frage: „Leiden Sie unter dem gesellschaftlichen Wandel?“
Harald Schmidt: „Nein, gar nicht. Man wird älter.“
Frage: „Und das heißt praktisch…?“
Harald Schmidt: „Man sieht die Dinge anders, das ist wirklich so. Ich bin sehr zufrieden.“
Frage: „Hat es einen gesellschaftlichen Wandel in Deutschland gegeben? Ist die Stimmung heute nicht so, dass die Leute übel nehmen, wenn jemand etwas politisch Unkorrektes von sich gibt?“
Harald Schmidt: „ Nein. Es hat keinen gesellschaftlichen Wandel gegeben, sondern es wurde viel nachgemacht auch von untalentierten Menschen. Das hat sich wegen der miserablen Qualität abgenutzt, so einfach ist das.“
Frage: „Das ist alles?“
Harald Schmidt: „Genau. Die anderen können das einfach nicht so nachmachen. Einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit Komik hat es gar nicht gegeben, sondern die Stimmung der Menschen selbst hat sich gewandelt. Und darauf muss ich, muss man als Entertainer reagieren…“
Frage: „Aber sie sind deswegen offenbar nicht gram, sondern Sie sind eben auch ein professioneller Schauspieler und können ausweichen….“
Harald Schmidt: „Ja, so kann man das sehen. Ich bin wirklich sehr zufrieden, mit dem was ich hier mache.“
mich erreicht also der US vorläufig zunächst, wie ihn dfw geschrieben haben dürfte, als datei. beschwerlicher als am computer zu schreiben, bleibt es, am computer zu lesen. man kommt hinein, wenn man mit kafka lacht: „To envision us readers coming up and pounding on this door, pounding and pounding, not just wanting admission, but needing it, we don’t know what it is but we can feel it, this total desperation to enter, pounding and pushing and kicking, etc. That, finally the door opens…and it opens outward: we’ve been inside what we wanted all along. Das ist komisch.“
„Ich würde dem Drang, vor ihnen zur Tür zu stürzen, nachgeben, wenn ich davon ausgehen könnte, dass die Anwesenden auch jemanden sehen würden, der zur Tür stürzt.“ (US, s. 15)
mein heimliches projekt ist der slapstick in der literatur. die tragik des slapstickers liegt nicht in der performance, denn anders als ich bei meinem radunfall, bleibt der slapsticker nie mit verdrehter elle liegen und jammert auauau bis der krankenwagen kommt, die tragik des slapstickers ist die, dass man seine performance nicht erkennt. das ist komisch.
0.30. 20. Stock über Frankfurt. Lässt alles nach hier. Die Messe ist eröffnet. Und der erste Stand ist schon zusammengebrochen. Der vom Berlin Verlag. Der Dreck von Littell? Sparsamkeit wars eher. Beim Empfang eben gabs Bons. Ein Getränk umsonst, den Rest muss man zahlen. Wenn das so weiter geht, machen wir im nächsten Jahr eine Bottle-Party und 2011 sind wir endlich bei selbstgemachten Nudelsalaten und Käseigel. Wer den besten Nudelsalat macht, bekommt die neue Atwood geschenkt. Oder den neuen Littell, Gottbewahre. Die Buchmesse als Tupperparty. Prima Perspektiven.
Apropos Gott. Gately sucht ihn wie eine Laus in seiner Seele. Findet ihn aber nicht. Nirgends. Was ihn bei den Bostoner AAs nicht sehr beliebt macht. Die brauchen den nämlich. Er fühlt bloß das Nichts, das nichtige Nichts, das große Nichtsnadanull. Die AAs, alles Nietenlederbiker, hocken in der Krypta. Der Musterbiker Bob Death erzählt den Witz vom weisen Fisch und den drei Jungfischen. „Kommt ein weiser alter rauschebärtiger Fisch bei drei Jungfischen vorbeigeschwommen und fragt „Moin Jungs, wie ist das Wasser?“ und schwimmt weiter; die drei Jungfische glotzen ihm nach, sehen sich an und fragen: „Was zum Teufel ist Wasser?“ und schwimmen weiter.“ Hat DFW in seiner berühmten Rede WoauchimmerwasmirimMomentnichteinfällt als lebensphilosophisches Gleichnis benutzt.
Gately erinnert sich an den Weg zu Genesung und dass er immer durch den Schmerz führt. Dass man nüchtern auf einmal Dinge wieder erlebt, an die man sich vorher gar nicht mehr erinnerte, weil man sie betäubt hatte. Dass die Mutter zum Beispiel Alkoholikerin war, dass der Vater sie dauernd verprügelte, wie Gately zum sorgenden Dealer der Mutter wurde, wie sie ihn Gun nannte, Großer Unzertstörbarer Nullchecker. Wie sie zu Grunde geht.
Nebenbei. Es war ja rührend im „Spiegel“ zu lesen, wie die Familie um ihren David trauert. Wenn die Familie Wallace aber nicht im höchsten Maß dysfunktional war, wette ich, nach allem was im US steht, sämtliche Weinflaschen der kommenden drei Jahre, die vielleicht noch bei uns am Wasser getrunken werden. Und sitzen da und erzählen dem Spiegel was vom Pferd. Aber vielleicht verdrängen die auch nur. Die Moms von DFW fährt zu jeder Trauerfeier, die gegeben wird. Hätte besser das Buch lesen sollen. Jetzt wird wieder Tennis geübt. Ich übe mich im hinlegen.
Nicht das Leben nach dem Tod, hat DFW übrigens in der berühmten Rede WoauchimmerwasmirimMomentnichteinfällt damals erzählt, sei das Problem. Sondern das vor dem Tod. Es bis 50 zu schaffen ohne sich in den Schützengräben des Erwachsenseins die Birne weggeschossen zu haben.
Ina Hartwig getroffen. Die hat alles hingeworfen. Weil das nicht mehr zum aushalten war bei der FR. Und die Perspektiven vielleicht noch scheißer als bei uns. Wenn die 35 Millionen Euro im Lotto-Jackpot damals einer von uns Feuilletonisten gewonnen und auf 35 Kollegen verteilt hätte, das wäre ein Hinschmeißen gewesen. Herrlich.
Es hat ne Zeit gedauert, aber inzwischen mag ich „Unendlicher Spaß“. Ich finde den Roman angenehm ERNSTHAFT, auf eine in der Tat sehr uneuropäische Art. Die auf den ersten dreihundert Seiten und ein paar Zerquetschten drohende Monster-Supra-Komplexitätsanlage hat sich so ziemlich aufgelöst in drei Handlungsblöcke: die Tennis Academy, Ennet House und seine AA-Umgebung, die Felsnase, wo Steeply und Marathe ihre grandiosen Freiheitsgespräche führen.
Spannend ist das Ironie-Problem. Über eine totale Entertainmentwelt lässt sich, scheints, nur mit einer totalen Hypertrophierung der vorgegebenen, alles zudeckenden ästhetischen Klischees schreiben. Gleichzeitig das auf der Schattenseite produzierte Grauen. In den Passagen über die Anonymen Alkoholiker immer wieder das Durchstoßen der Ironie-Betondecke, das Aufbrechen von Lächerlichkeit, indem gerade das Lächerliche so ernst wie möglich genommen wird. Und kurz darauf kippt es wieder. (Ähnliches macht Chuck Palahniuk in „Fight Club“) Die andere, die „Tarantino-Methode“ (wie in der martialischen Hinrichtung dieses Lucien Antitoi durch die Rollstuhlterroristen (704ff)): Ein Klischee (wie das dieses Durchbohrens mit angespitztem Besenstiel) wird so extrem auf die Spitze getrieben, bis die Ironie weh tut.
Totale Unterhaltung deckt alles Leben mit Stories zu. Sie verwandelt jeden Schmerz, jede menschliche Katastrophe in ein lächerliches Abziehbild. Das Ironie-Problem lässt sich vielleicht so formulieren: Wie schaffe ich es, wieder ans Leben hinter den Stories ranzukommen, ohne so zu tun, als gäbe die Trivialästhetisierung des Lebens nicht.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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