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Überm See. Es regnet. Es rauscht. Es ist 20.36 Uhr. Ein Glas Gelben Muskatellers (wir sind in Österreich, übrigens, da gibt es diesen potenziell herrlichen Wein noch. Der 2008er vom Weingut Gross ist herrlich). Keine Musik. Hinten links fällt ein Wasserfall ziemlich laut. Das reicht.
Hab ich schon erwähnt, dass Lesen aus Fahnen furchtbar ist? Sie fluseln herum. Sie wellen sich. Man verliert den Überblick. Der Kniebankstapel vom unendlichen Spaß sieht schon jetzt sehr unspaßig aus.
DIE Zeitung kolportierte gerade die Forderung von Politikern nach ökologischem Haschisch. Toller Plan, kommt für unsern Typen mit dem seltsam ungarischen Namen aber zu spät. Der wartet weiter auf Marihuana und hat ein seltsames Insekt im Regal. Diesen Abschnitt sollte man unbedingt Schülern zu lesen geben, die immer noch denken, so ein bisschen kiffen könne ja nicht schaden. Kann es doch. Wobei unser Typ schon ein harter Kiffer ist. Er denkt in Schleifen, kann sich für ungefähr zwei Sekunden auf etwas zu konzentrieren. Mit seinem Kiffurlaub, so nennt er sein Abtauchen ins ganz harte Kiffen, versucht er sich, das Kiffen abzugewöhnen. Entzug durch Rausch bis zum Erbrechen sozusagen. Kann nicht gut gehen. Zwischendurch überlegt er sich, ob er sich einen runterholen soll oder sich die Patronen seines Teleputers (was immer das wieder für ein Gerät sein soll) reinziehen. Wir erfahren seine Probleme mit Frauen. Und was das Dope so in seinem Gesicht anrichtet. Die aktuelle Marihuana-Besorgerin hat er bei einem Arbeitskreis für ein Wedekind-Festival kennengelernt, was eigentlich schon absurd genug ist. Er ist ein rechtes Schwein. Aber ein armes. Am Ende klingelt das Telefon und die Tür gleichzeitig. Und dann kommt wieder so eine unfassbare DFW-Stelle. Er „stand mit gespreizten Beinen da, ruderte wie wild mit den Armen, als wäre ihm etwas zugeworfen worden, breitbeinig, lebendig begraben zwischen den beiden Geräuschen, den Kopf völlig leer“. Fabelhaft, finster und unendlich traurig. Muss man sich diesen Roman eigentlich als Sammlung genialer Kurzgeschichten begreifen?
Wir blättern um und sind im „1. April – Jahr des Tucks-Hämorrhoiden-Salbentuchs“. Neues Rätsel. Altes Personal. Hal, diesmal zehn Jahre alt. Eine Kurzgeschichte in Dialogform. Und was für eine. Hal ist beim, ja, wie nennt man das, Konversierer, beim professionellen Konversationalisten. Sein Vater hat ihn hin geschickt. Der Dialog wird zum Krieg. Der Konversationalist verstrickt sich in komische Verschwörungstheorien. Hal redet ihn um Kopf und Kragen. Dem Konversationalisten geht bei dem ganzen Gerede das augenscheinlich künstliche Gesicht flöten. Dann entdeckt Hal, dass der Konversationalist einen Spezial-Argyle-Pullunder trägt, den nur sein Vater („Er Selbst“ genannt) nur fürs Festmahl zum Interdependenztag trägt. Die sind alle komplett gaga. Verrückt, verzweifelt, aus der Bahn geschossen. Am Ende werd ich das wohl auch sein. Wenn das so weiter geht. Bevor es so weiter, das „Jahr der Inkontinenz-Untewäsche“ wieder losgeht und meine Batterie hier ihren Geist aufgibt – gute Nacht.
S. 90:
Im ersten Albtraum fern der Heimat und Familie, in der ersten Nacht in der Academy war schon alles da: Im Traum erwachst du aus tiefem Schlaf, erwachst plötzlich schweißgebadet und in Panik, und das plötzliche Gefühl überkommt dich, dass eine Verkörperung des Urbösen bei dir in diesem dunklen fremden Souterrainzimmer ist, dass die Quintessenz und der Mittelpunkt des Bösen genau hier ist, in diesem Raum, genau jetzt.
Das Böse hat ein Gesicht, dort auf dem Boden.
Dann muss man erwachen, natürlich:
Du liegst da, wach und fast zwölf, und glaubst mit aller Kraft.
Mark Costello, David Foster Wallace: Signifying rappers: rap and race in the urban present (Ecco Press, 1997) ISBN 0880015357, 9780880015356, 140 Seiten
26. August 2009
Müssen Leser den Drogen grundsätzlich zusprechen, um „Unendlichen Spaß“ zu haben mit dem Roman? Muss ich vor dem Lesen erst die vor Jahren angebrochene und nicht zur geordneten Entsorgung in die Apotheke zurückgebrachte Ritalin-Packung leeren, die Faustan, die ich für Panikattacken vorrätig habe und deren Ablaufdatum längst überschritten sein muss, einpfeifen, die Codeinfilmtabletten, verschrieben gegen Hustenanfälle vor Lesungen und inzwischen aus dem Verkehr gezogen, alle auf einmal nehmen, Mitbewohner bitten, mir Hasch, Ecstasy oder Koks aus diversen Klubs mitzubringen? Oder soll ich Hanf wieder selbst anbauen und so lange mit der Lektüre warten, bis die Pflanzen erntereif sind? Mich mit Wodka, Gin oder Kleinem Feigling zulöten, bis mein Gesicht so gelb ist wie das von dem Mitpatienten von Tiny Ewell? Oder wenigstens drei Tafeln Schokolade hintereinander essen, um richtig angefixt zu sein von der Lektüre? Angefixtsein hieße bei mir: alles stehen- und liegenlassen und lesenlesenlesen, stattdessen studiere ich diszipliniert Kapitel für Kapitel, unterbreche die Lektüre für die Arbeit an Manuskripten, koche, schwimme, höre G. zu, rede über ganz Abseitiges wie den „Vogelhändler“, fahre mit dem Fahrrad in den Ort und lasse den Unendlichen Spaß im Sommerhaus. Den größten Spaß hat mir bisher die Beschreibung des Überfalls von Don Gately und Kumpel auf Guillaume DuPlessis gemacht (S.80-87), ähnlich dem literarischen Vergnügen, das ich hatte, als ich durch Zufall an „In aller Vertrautheit“ geriet und dort als erstes die Erzählung „Die Seele ist kein Hammerwerk“ las, die der Hammer war, von der ersten bis zur letzten Zeile, während die anderen vier Geschichten mich langweilten (R., der das Exemplar gehört, sagt am Telefon: Ich ertrage so viele innerlich hässliche Menschen nicht) und ich lieber weiter Juri Trifonows „Moskauer Novellen“ las und dann gleich noch „Zeit und Ort“, und ich hätte sicher auch noch „Das Haus an der Uferstraße“ gelesen, wenn mir nicht „Unendlicher Spaß“ dazwischengekommen wäre, was mir gerade nicht soviel Spaß macht. Die Aufzählung der diversen Drogen und ihrer chemischen Zusammensetzung langweilt mich, das habe ich heute morgen schon in der Zeitung gelesen: die tödliche Dosis des King of Pop ähnelte den Anmerkungen 5 und 6.
Interessant ist, dass die Lektüre meine Aufmerksamkeit für anderes schärft, denn plötzlich fällt mir auf, dass die junge Frau, der ich seit Wochen hinterherrecherchiere, eine Art apokalyptische Reiterin ist, allerdings ohne Pferd, sie fuhr mit der U-Bahn oder mit der Straßenbahn Nr. 60. Denn jeder Ort, den sie zwischen November 1943 und April 1945 betrat, meist Kinos, Theater, Luftschutzkeller oder Kaufhäuser, wurde wenige Tage nach ihrem Besuch durch Spreng-, Minen- oder Brandbomben vollständig zerstört. Ihr selbst ist es nicht aufgefallen und nach Mai 1945 ist sie diese Gabe auch losgeworden.
Als ich beim Entzug des Tiny Ewell bin, läuft ein Baby-Tausenfüßler über das Buch, an der Wand klebt eine fette Kreuzspinne neben diversen Schnaken und Weberknechten und ich krieg irgendwie das schlechte Gefühl, selbst auf Entzug zu sein, also schließe ich das Buch bei S. 127 und schau mich nach anderem um.
Draußen riecht es nach Herbst.
in Daniel Barenboims Kita, in die gerade die Zwillingskindlein eingewöhnt werden, beide („beide“: na logisch) zweieinhalb. Ich soll mich im Hintergrund halten, aber eben da sein, ich beim Buben, die Mama beim Mädel. Zwischendurch muß umarmt werden, etwas gestreichelt, dann wird weitergelesen. Auch mal draußen, auf der Straße, weil geschaut werden soll, wie der Bub auf die Abwesenheit des Papas (das Mädel der Mama) reagiert. Dann geh ich lesend auf der Leipziger auf und ab.
Als das Buch ankam, ein Ziegelstein, dachte ich spontan, der Buchgestalter des Verbrecherverlages habe das Haus gewechselt; dummdas, ich weiß nur noch nicht, für wen, wenn ein Buchprofil, das an sich eindeutig zuzuordnen war, ins Verschwimmen gebracht wird. Wollte dem Hauptverbrecher Sundermeier eine Mail drüber schreiben, hab ich aber noch nicht getan. Ich ruf vielleicht auch besser an. Wurscht.
Dann, ähnlich hat schon Oswald auf die Sprache reagiert, gehen mir die falschen Konjunktive auf den Keks; aber der Gebrauch des Konjunktivs läßt sich ja durch Gewöhnung desensibilisieren (sogar der Dudenredaktion gelingt diese Art der Therapie); hat man 100mal hintereinander gelesen „er muß vermutet haben, ich wäre irgendwie am Ersticken (…), wäre psychisch aus der Kontrolle“ usw., dann vermißt man die fehlende Kondition schließlich nicht mehr, die den Irrealis rechtfertigt. Also verlaß ich mich mal aufs Einschleifen. Zweiter Eindruck: das Buch strotzt vor Manierismen, und da mir Manierismen gefallen, gefällt mir das Strotzen, auch wenn mich irritiert, daß offenbar die Kiepernheuer die Manierismen ganz ebenfalls lieben. Sowas ist mir schon mal bei DeLillo aufgefallen. Sprich: US-Amerikaner „dürfen“, Deutsche solln hingegen nicht. Sehr schön ist übrigens, auf S. 11, die „schräggeschäftete Sonnensäule“.
[Ah ja, da hier bereits von den unterdessen erschienenen Kritiken geschrieben wurde: ich enthalte mich ihrer Lektüre. Außer vielleicht hier, im unendlichen Blogspaß, will ich keine anderen Meinungen lesen, bevor ich mit meiner eigenen Lektüre fertig bin. Da ich kein Zeitungsleser bin, fällt mir das nicht schwer.]
Alban Nikolai Herbst, geboren 1955 in Refrath, erhielt 1995 den Grimmelshausen-Preis, 1998 einen Jahresaufenthalt in der Deutschen Akademie Villa Massimo Rom, 1999 den Phantastik-Preis. 2007 wurde Herbst auf die Poetik-Dozentur der Universtität Heidelberg berufen. 2008 erschienen seine Gedichtbände „Aeolia. Gesang/Stromboli“ sowie „Der Engel Ordnungen“ und über den Autor ein 250seitiger Themenband der „horen“: „Panoramen der Anderswelt. Expeditionen ins Werk von Alban Nikolai Herbst“.
Gestern habe ich „Unendlicher Spaß“ zum ersten Mal verschenkt, an P., mit der ich mich zu einem Konzertbesuch verabredet hatte. Am liebsten wäre es mir gewesen, sie hätte gleich zu lesen angefangen, während wir im Hof der Kulturbrauerei saßen, einfach nur, damit wir schon an diesem Abend hätten anfangen können, uns über das Buch zu unterhalten. Die Band, wegen der wir gekommen gekommen waren, hieß „The Airborne Toxic Event“, nach einem Kapitel aus „White Noise“. Man versucht dann ja doch die ganze Zeit zu verstehen, was genau diese Musik jetzt mit dem Roman von Don DeLillo zu tun hat, und zuletzt fallen einem doch nur wieder die Achtziger ein. Ein paar Jahrzehnte, mehr hat man ja nicht.
Buch = Autor, Autor = Zeitzeuge – und nur als solcher eines Buches zeugungsfähig. Nicht abzuhelfen ist ihm, diesem Diktum des Infotainments. Sah gerade wieder einen sich als Kulturreport tarnenden TV-Bericht, der einen Roman zum bloßen Sachbuch herabwürdigte, indem der Autor an Orten früher erlebten Geschehens stand und seine Erinnerung aufrief. Wenn der das so erlebt hat, dann wird das auch so gewesen sein, scheint der öffentlich-rechtlichen Weisheit letzter Schluss zu sein, um nicht zu sagen: das Verkaufsargument im Zeitalter der Versachbuchisierung. Nicht ein Sterbenswort fiel über die Anhöhe, hinter der aus Erinnerung und Erlebnis erst der Blick frei wird auf Literatur. (Gerade eben Joachim Kaiser über Amelie Fried in der SZ, eine ähnliche Kerbe.)
Aber es ist ja nicht alles TV. Hals kurzes Ausatmen „Ich bin hier drin“ hat mich gleich gefügig gemacht, legte sich zudem über ein Interview, in dem Thomas Brasch über Uwe Johnson und sich selbst sagt, sie hätten diesen „äußerst geschärften Instinkt, dass die Welt erst durch einen Menschen hindurch muß, um beschrieben werden zu können“ (aus den jüngst bei suhrkamp zusammengestellten Interviews, S.294). Noch ist ja nicht klar, wer all die Partygäste von wo aus bündelt, noch ist der Unendliche Spass zumindest keine grenzenlose Feier der Subjektivität, auf der einem ständig neue Redeweisen durch den Kopf rollen und das Denken zerfasern. (Und wer hatte eigentlich das Gerücht in die Welt gesetzt, auf den ersten 200 Seiten ginge es ausschließlich um das Fördersystem der amerikanischen Tennisjugend?)
Um oben anzuschließen: Ein zusätzliches zum Lese-Glück wäre es für mich, wenn wir uns auf dieser Seite vom Schicksal des Autors DFW lösen und die biographisch-postzerstörerische Artikelarmada im Vorfeld der deutschsprachigen Veröffentlichung des Buches hinter uns ließen. Bestimmt ist es gar nicht nötig, das hier aufzurufen unter Lesern. Die Depression und ihre Veräußerung, all die Inhalte des Apothekenschranks sind ja Leitwölfe im gesamten Werk von DFW – gerade deshalb ist keine wissenschaftliche Beweisführung fähig zu sagen/errechnen, wie viel Autor-Ich und wie viel Amerika/Welt sich zwischen Seite 99 und 114 in der Figur Kate Gompert befinden. Schlecht wurde mir natürlich doch, als ich das las. (Mehrfach vorher unansprechbar gewesen für meine Freundin und dies mit dem „Ich bin hier drin“-Satz begründet, auf 114 also notwendigerweise erstmals den „Ich muss hier raus“-Joker gezogen.) Lieblingsstelle bisher bei aller erzählerischer Wucht der Dialog S.59ff, Hal & Mario als Reinkarnation von Franny & Zooey.
Jan Böttcher, 1973 in Lüneburg geboren, lebt als Autor und Singer/Songwriter in Berlin. Er hat deutsche und skandinavische Literatur studiert und arbeitet auch für das KOOK-Label, als Herausgeber und Veranstalter von Lesungsreihen sowie des LAN-Festivals für junge Literatur. Bis 2007 sang und textete er für seine Band Herr Nilsson. Zuletzt, 2008, erschien von ihm ein Soloalbum und der Roman Nachglühen.
Ich bin jetzt mit der ersten Seite fertig.
Vereinzelt wurde hier schon die Sorge geäußert, das neueste Ding von gestern vor sich zu haben. Das ist „Unendlicher Spaß“ zweifellos. Die Frage ist, ob der Roman noch mehr ist. Dass man ihm, vor allem in technischer Hinsicht, seine dreizehn Jahre anmerkt, spricht dabei nicht gegen ihn.
(Auch nicht der Jubel der Feuilletons. Vielleicht erinnert sich jemand, wie DFW vor ein paar Jahren in einem ahnungslosen, briefmarkenkleinen Verriss von „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“ in einer großen Zeitung Rassismus vorgeworfen wurde. Aber das nur am Rande.)
Können wir einen Roman ernst nehmen, in dem Modems vorkommen? Dostojewski nehmen wir auch ernst, obwohl in seinen Romanen Pferde als Fortbewegungsmittel eingesetzt werden. Gilt das auch, wenn der Roman mit dem SF-Genre spielt? Ja. Auch Philip K. Dicks Romane sind als konkrete Technikvorhersagen heillos überholt, aber wer darüber hinwegsieht, bekommt etwas über unseren Realitätsbegriff erzählt, das über solche Details weit hinaus geht.
Apropos Details. Ich bin mir noch nicht im Klaren darüber, wie ich den Roman lesen soll. Wort für Wort oder einfach nur so weg. Bei Anwendung der Wort für Wort-Methode ergeben sich viele, zum Teil unerfreulich schwierige Fragen.
Das Problem mit dem Spaß zum Beispiel.
„Spaß“ statt „Jest“ mag aus so und so vielen Gründen richtig sein. Schön ist es nicht. In Jest sind Witz und Scherz zuhause, im Spaß Mario Barth. „Infinite Fun“ wäre, glaube ich, selbst DFW zu krass gewesen.
Im zweiten Satz steht „Meine Haltung kongruiert bewusst der Form des harten Stuhls“.
Hier fehlt nach meinem Gefühl derart schmerzhaft ein „mit“, dass ich zwei Tage nicht weiter lesen konnte.
Ich habe mit Germanisten und Mathematikern konferiert. Suggestivfragen habe ich sorgfältig vermieden. Keiner wollte der Meinung beipflichten, „kongruieren“ könne ohne die Präposition „mit“ verwendet werden. Richtig sei also allein „kongruierte mit der Form …“
„Der obere und untere Rand bilden die Seitenlinien.“ Muss es nicht entweder heißen „Oberer und unterer Rand bilden die Seitenlinien“ oder „Der obere und der untere Rand bilden die Seitenlinien“? (Weil der obere und unter Rand ja nur ein Rand wäre, der dann die Seitenlinien bildet …)
„ … vergänglich ist wie eine Prägung in unnachgiebigem Material“
Das ist ein schiefes Bild, denn eine Prägung in unnachgiebiges Material ist nicht vergänglich sondern unmöglich und bleibt deshalb unsichtbar. Im Original ist das Bild wohl richtig: Das von DFW gebrauchte „uncooperative“ erscheint vager als das deutsche „unnachgiebig“, bedeutet eher „ungeeignet“, so dass man den Abdruck zwar sieht, der dann aber wieder verschwindet.
Undsoweiter. Ich weiß, das liest sich jetzt etwas verbohrt, aber es ist doch nicht unwichtig. Ich frage mich ja auch, was remingtonbehängt heißt und ein Kekuléknoten sein könnte, aber dafür gibt es Quellen.
Vielleicht sollte ich das aber besser ganz schnell lassen und einfach Spaß haben wie alle. Mir den Film ansehen …
25. August, zweiter Tag am See
1943 ist auf dem See die Titanic gegen einen vom örtlichen Tischlermeister gezimmerten Eisberg gestoßen und gesunken. Goebbels hat den Film dann aber noch vor der Uraufführung verschwinden lassen, kollidierendes Schiff und Eisberg erinnerten zu sehr an die Niederlage von Stalingrad. Ich habe nicht herausbekommen, ob die Titanic immer noch auf dem Grund des Sees liegt. Ich weiß noch nicht einmal, wie tief er ist.
Ich liege auf dem Rücken im Wasser und am Himmel fliegt mir der Rettungshubschrauber des Klinikums entgegen. Er hat wahrscheinlich einen Halbtoten von der Autobahn gekratzt, der an seiner Trage fixiert ist wie Hal, aber da oben wegen der Flugsicherheit und nicht, weil er grunzende Geräusche von sich gegeben hat. Heute morgen lief im Deutschlandfunk eine Livesendung aus dem Heidelberger Kopfklinikum, gerade als ich das mit dem widerlichen Schimmelklumpen las, den der kleine Hal anknabberte. Seitdem weiß ich, dass das Gehirn schmerzunempfindlich ist. Der Arzt kann mit dem Skalpell daran herumschneiden, ohne dass der Patient etwas spürt. Seltsam war auch, dass kurz vorher und als hätte er gerade das erste Haschkapitel gelesen, der Vertreter des Vereins katholischer Männer mit trauriger Stimme erzählte, dass die Drogenberatung nicht alle Süchtigen erreiche.
Der Hubschrauber hat die Aufschrift ARZT an der Unterseite, die wie die Oberfläche eines Bauches aussieht. Man kann das Wort nur lesen, wenn man im See auf dem Rücken liegt und über die Hauptfigur nachdenkt, die heute morgen nach meinem Frühstück auf die Drogenkurierin wartete. Hal ist so schlau wie der gleichnamige Computer in „2001: Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick, allerdings ein größeres emotionales Wrack, ähnlich Hamlet, nur dass ihm Buchstaben abhandengekommen sind. Vielleicht hat er m, e und t für einen verhassten Rausch verkauft.
Ich bin eine halbe Stunde über den See bis zum verlassenen Haus geschwommen. Es ist das einzige weit und breit, das nicht von zuviel Geld und zuwenig Geschmack verschandelt ist. Seit einigen Jahren steht es leer. Eine schnurgerade Apfelbaumallee, deren Früchte in diesem Jahr wieder niemand ernten wird, führt zum Haus. Auf dem Steg haben sich Enten angesiedelt. Ich habe mir gedacht, Hal und all die anderen aus dem „Unendlichen Spaß“ in diesem Geisterhaus zu verorten, wie jedes mir wichtige Buch in meinem Kopf einen Ort hat, den ich oft auch nicht erklären kann, denn was haben z.B. Hereros aus Pynchons „V“ im Park des Schlosses Reinhardsbrunn zu suchen? Die Figuren von Pynchons „Enden der Parabel“ sind in einem Schacht in Nordhausen-Dora geblieben, wo wir, A. und ich, 1993 hinfuhren, da schrieb Wallace schon an „Infinite Jest“. Ausgerechnet in der Gedenkstätte Mittelbau-Dora, wo die V2 hergestellt worden war, fand eine Pynchon–Konferenz statt. Wir waren eher durch Zufall da reingeraten. Am letzten Tag krabbelten wir mit Bergarbeiterausrüstung durch halbeingestürzte Schächte, immer vorneweg der Professor, dem während des Vortrags die Schuppen aus den Haaren gefallen waren, ein echter Nerd, auch wenn das Wort, glaube ich, damals noch gar nicht existierte. A. hatte gemeint, weil der Professor zuviel vor dem Computer säße, wäre die Kopfhaut so trocken. Ich hatte damals gerade meinen ersten Laptop – ohne Festplatte, das Betriebssystem war auf einer Diskette – abgeschafft, weil zuviel Text verlorenging. Ich habe die „Enden der Parabel“ erst danach gelesen, ich hatte ihn mit „V“ verwechselt, weil ich dachte, ein Roman, der mit der V2 spielt, muss V heißen.
Wie würde eine deutsche David-Foster-Wallace-Konferenz aussehen, wer würde kommen und vor allem, wo würde sie stattfinden?
Auf dem See ist ein Drachenboot mit Galeerensklaven zugange. Ich habe den Krach, den sie machen, für eine von Muskelkraft getriebene Ramme auf dem Grundstück von Genosse Mauser gehalten (wenn es hier eine Fußnotenfunktion á là Wallace gäbe, würde ich diesen Namen erklären, gibt’s aber nicht), aber dann kommen sie um die Landzunge mit ihrem roten Boot und dem Feldwebel mit Trommel als Kühlerpuppe. Ihnen folgt ein Gewitter. Als es vorbeizieht, ist der erste Protagonist dem Unendlichen Spaß vor dem Teleputer mit eingelegter Filmpatrone erlegen. Ich bewege mich immer noch im Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche. Was für ein herrlicher Einfall und dank der kaufkräftigen alten Leute des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts und dem Bedürfnis des Staates, alles zu verkaufen, was sich zu Geld machen lässt, nicht so weit hergeholt. Morgen ist der Ackermann-Tag. Er hat als Dank dafür, dass er so eine schöne Geburtstagsfeier von der Kanzlerin geschenkt bekommen hat und um die Opposition ruhigzustellen, der Regierung einen ganzen Tag abgekauft.
G. beendet sein Telefonat und referiert drei Minuten über die Mandysierung der Welt. Mandy könnte unter anderen Umständen auch Wardine heißen, was ihr wahrscheinlich im Deutschen den Spitznamen Gardine einbringen würde.
Als endlich der Spaß auch bei mir ankam, war ich gerade schwimmen¹.
Nun denke ich im Wasser – warum auch immer – oft über Rilke nach. An diesem Tag angesichts planschender Aggrokids über dessen „Karussell„. Voilà, war ich überrascht, als ich daheim dem Buch Karton & Folie vom Leib gerissen hatte: Auch das Unendliche ist groß und weiß; und fällt wie ein Elefant nicht um, wenn es für sich allein steht. Das ist Qualität.
Wahrscheinlich hätte ich auch gleich die ersten hundert Seiten verschlungen, wenn nicht Wolfsburg gegen Hamburg so kläglich verloren hätte. So musste ich verspätet einsteigen. Stand jetzt: S.50.
Erster Eindruck: Bisher ist von der angedrohten Anstrengung und dem komplizierten Bau wenig zu sehen. Positiv überrascht, denn der Spaß ist im besten Sinne ein Schmöker, der sich – adäquate Bizepse & Trizepse vorausgesetzt – vielerorts störungsfrei lesen lässt.
Trotzdem, und ohne dem Übersetzer nach dem Mund zu reden, finde ich den Einstieg auch ein wenig spröde, hölzern. Der Hochbegabten-Jargon², die überdrehte Prüfungskommission und das Switchen zwischen Hals Innen und Außen sind mir bisher eine Spur zu woodhammerig. Ich warte darauf, dass es sich mit dem Weiterlesen gibt. Sei es, dass es sich ändert, oder ich mich einfach dran gewöhne.
Von Freunden von Freunden von Freunden habe ich mir noch erklären lassen, dass der Extremo-Kiffer sprachlich hervorragend eingefangen ist. Ich vertraue dem Urteil, und fiebere weiteren hysterischen Intonationen entgegen.
Außerdem schön:
„Die Sonne ist der Hammer.“ (S. 25)
„eine bewußt unangenehme Wahnsinnsmenge“ (S. 35)
„noch nie hatte er die Ankunft einer Frau, die er nicht sehen wollte, so sehr herbeigesehnt“ (S. 36)
Gruß in die Runde!
¹ Das Columbia-Bad heißt auch Kulle. Sommerbad Neukölln, wie die Haltestelle, nennt es kein Mensch.
² Eine andere Variante des Wörterbuch-Nerds: Die Figur Frenchy aus Woody Allens Small Time Crooks. Die Dame kommt jedoch, soviel sei verraten, über das A nicht hinaus.
Robert Michael Wenrich, 1983 in Salzgitter geboren. Geisteswissenschaftliches Studium in Potsdam und Berlin, Ausflug in die Computerspielbranche, studiert Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, schreibt zurzeit Lyrik und Drehbücher.
Münchner Feldherrnhalle, Treppe davor. 11.45 Uhr. Eine französisch radebrechende Dame erklärt einer Reisegruppe, was es mit dem hässlichen Ding auf sich hat. Bachs Klavier-Doppelkonzerte. Kein Getränk. Ein General Wrede bewacht mich. Es ist heiß. Möglicherweise würde DFW jetzt irgendein schlagender Satz zum Licht einfallen. Mir fällt ein, dass sich „Unendlicher Spaß“ doch wie ein alter DFW liest. Muss das nachschlagen, ob der schreckliche „Besen im System“, mit dem ich den Staub in meiner Zimmerecke aufgewirbelt hab, nachher entstanden ist, diese nahezu unverständliche, fußnotenbewährte Erzählsammlung. Oder ich frag Wieland.
Hal sitzt immer noch in der Kommission. Und verliert sich in seinem eigenen Weltinnenraum um nicht die Nerven zu verlieren, wie ich vermute. „Das im Brewster-Winkel von der Tischplatte reflektierte Licht erscheint hinter meinen geschlossenen Lidern rosenrot.“ Bin ich doof, wenn ich nicht weiß, was der Brewster-Winkel ist. Oder was es mit dem RICO-Gesetz auf sich hat. Oder wofür die Kürzel N.A.A.U.P und O.N.A.N.C.A.A. stehen, was RAC-10-Programme sind. Muss ich nicht, sonst wärs erklärt. Hal verliert sich in der Erinnerung, dass er einmal eine gruslig schimmelige Substanz aus dem Keller gegessen hat, besser gesagt: er hatte „mit selbiger oralen Kontakt gehabt“. Das würde einiges erklären. Die Kommission hat derweil immer noch ehrpusslige Probleme, man könne ihr vorwerfen, nur den Körper eines anscheinend eindeutig geistig minderbemittelten Jungen gekauft zu haben. Da fängt Hal an zu reden. Es bricht aus ihm heraus. Und Panik bricht in die Gesichter. Anscheinend verwandelt sich Hal beim Reden, in eine besondere, auch tagsüber aktive Form von amerikanischem Werwolf. Er wird nieder gerungen, sagt „Ich bin hier drin“, was aber niemand versteht. Und dann steckt Hal in der Psychiatrie und wir sind weiter im „Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche“. Und bei Erdedy, der ein Insekt in seinem Musikregal beobachtet und auf eine relativ gewaltige Ladung Dope wartet. Was für ein Panoptikum. Ein durchgeknallter, vielleicht an den Rand der Geisteskrankheit gedopter Tenniscrack und ein dopeabhängiger Paranoiker, der von seiner Sucht nicht loskommt. In einer Welt, die doch ziemlich von gestern ist. Menschen besitzen da noch Handyantennen und arbeiten mit Modems. Weiß noch jemand, was das ist. Ein Modem. Ich kann mich noch an Akustikkoppler erinnern. Aber ich bin ja auch alt.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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