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Als Kritiker war beim „Spaß“ wieder mal Tempo angesagt, man will ja doch nicht der letzte sein. Was nun das Problem ergibt, dass ich den Großteil zu Sommerbeginn Ende Juni/Anfang Juli durchgearbeitet habe (am E-Book, Blättern zwischen Text und Fußnoten – Horror) und mich hier auf alte Notizen und digitale Lesezeichen verlassen müsste.
Ich werd’s stattdessen so halten, im Buch noch einmal die Stellen nachzulesen, die mir – schlichtes Gemüt und wenig Lust, ständig Lexika zu konsultieren – am besten gefallen haben: die Tennisszenen.
(Aber erst nächste Woche, jetzt Urlaub – „In den guten alten Raumanzug schlüpfen und ein bisschen atonalen Jazz hören“ – und offline)
Sebastian Fasthuber, Jg. 1977, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Dissertation über Thomas Pynchon und Literaturkritik, arbeitet in Österreich als Literatur- und Musikkritiker, und zwar vorwiegend für die Wiener Stadtzeitung „Falter“ und das Popkulturmagazin „now!“.
31. August
In der S-Bahn. 8.25 Uhr. Keine Musik. Kein Getränk. Obwohl ich’s bald nötig hätte. Schwitzende Menschen stehen herum, die lesen. Die Bahnen sind proppevoll, fahren immer noch nicht so, wie sie sollen.
Nachtrag zu gestern, weil mir die Orin-Flugshow noch nachgeht. Was wäre eigentlich passiert, wenn jemand, ein Debütant noch dazu, vor – sagen wir – sieben Jahren, als noch nichts von DFW in Deutschland angekommen war, eine Übersetzung vom US in einen Umschlag gepackt und einem deutschen Verlag als eigenes Werk geschickt hätte? Was wäre passiert, wenn mir vor – sagen wir – sieben Jahren ein kleiner Verlag tatsächlich die Fahnen dann zugeschickt hätte? Beschwören möchte ich nichts. Aber leise gellt in meiner Hirnschale hinten ein Wort als Antwort auf beide Fragen: Nichts.
Sollten wir nicht in jeder Saison uns ein Buch heraussuchen, uns auf ein Buch einigen, das wir so herausstellen, so beleuchten wie dieses. Das uns was wert ist. Nur so eine Frage.
A propos Hirnschale. Wenn sich noch jemand die Frage stellt, warum wir das hier alles machen, was es wert ist, dem sei die Lektüre der Seiten 99 bis 112 (weiter darf ich heute nicht). Es tritt auf Kate Gompert. Besser gesagt: Sie tritt nicht auf, sie liegt in der „Püschatrie“ und bekommt Besuch von ihrem AiP. Katherine A. Gompert ist 21, Datenbankangestellte in einer Immobilienfirma in Wellesley Hills. „Vierte Krankenhauseinweisung in drei Jahren“, liest DFW vom Krankenblatt, „alle wegen klinischer Depressionen, unipolar“. Mehrere Selbstmordversuche. Beim letzten hätte sie es beinahe geschafft, wenn ihre Mutter, die auch nicht alle beisammen hat (den Orden „Mutter des Jahrzehnts“ bekommt niemand mehr in diesem Werk), sie nicht umfallen gehört hätte. Und so sitzt sie da, bettelt um ein Koma, um Elektroschocks, um irgendwas, dass dieses Gefühl in ihr, zumindest zum Pausieren bringt. Das Gefühl, das überall ist, in jeder Zelle. „Ich weiß nicht“, sagt sie und sagt DFW, „wie ich das beschreiben soll. Es ist, als könnte ich nicht weit genug raus, um ein Wort dafür zu finden. Es ist eher Grauen als Traurigkeit. Ja, eher wie Grauen. Es ist als Passiert gleich was Schreckliches, das Schrecklichste, was man sich vorstellen kann – nein schlimmer als alles, was man sich vorstellen kann, weil da dieses Gefühl ist, dass man sofort was machen muss, um es zu stoppen, aber man weiß nicht, was man machen muss, und dann passiert es auch, die ganze schreckliche Zeit, es passiert gleich und es passiert jetzt, alles zur selben Zeit.“ Das ist schon groß. Das erweitert das Bewusstsein. Zumindest für das Wesen der Depression.
Kate ist übrigens – hier möchte ich die Idee von vor ein paar Tagen wiederholen – schwerst marihuana-abhängig. Gebt das angehenden Kiffern zu lesen. Vielleicht hilfts was.
Ach und noch zum Schluss. Mit einem weiteren Tabu bricht DFW, einem tatsächlichen Tabu: Vor dem Auftritt Kate Gomperts lässt er Michael Pemutis einen Vortrag halten vor Juniortennisspielern der E. T. A. Er spricht nicht über legendäre Tennisspiele, sondern über halluzinogene Pilze. Und dann sagt er so nebenbei Folgendes: „Unbedeutendere Spieler fangen manchmal schon mit rund zwölf Jahren an, muss ich leider sagen, wobei Schnellmacher vor Spielen und Enkephaline danach besonders beliebt sind, was einen Teufelskreis individueller Neurochemie eröffnen kann“. Über Doping beim Kugelstoßen, 100-Meter- und Eisschnelllaufen zu reden, haben wir uns angewöhnt. Reden wir doch mal über Doping beim Tennis und beim Fußball.
30. August
Am Wasser. 10.30 Uhr. Schwarzer Tee. Sonntagsfrühstück. Keine Musik. Möwengekreisch. Warum haben die von DER Zeitung denn Lothar Matthäus vorne drauf? Ist gar nicht Loddar. Ist von und zu Guttenberg. Wie konnte ich die nur verwechseln?
Ich schäme mich. In meinem abendlichen Übereifer hab ich gestern zuviel gelesen. Vielleicht hab ich mich auch einfach nur verrechnet. Jetzt bleiben noch fünf Seiten im Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche bis zum Ende dieser Tranche. Die Genealogie derer von Incandenza und die Geschichte der Enfield Tennis Academy wird ausgeleuchtet. Besonderer Held: Hals Vater Dr. James Orin Incandenza und dessen Vater, einem „trunksüchtigen Tragöden“, der neurotische Angst vor Insektenbissen (sic!) hatte und irgendwann seine gescheiterte Schauspielkarriere aufgab, um einen „hoffnungsvollen Juniorsportler“ zu basteln. Sollte man dieses Buch – Zwischenfrage – Andre Agassi zu lesen geben? Der bringt im Herbst auch seine Biografie auf den Markt und Bollettieris Tennisschmiede ist doch wahrscheinlich eines der Vorbilder für die E. T. A. James Orin Incandenza ist auch eine multiple Persönlichkeit. Entwickelt als „bester Mann für angewandte geometrische Optik“ neutronenstreuende Reflektoren für thermostrategische Waffensysteme, bringt die USA von US an den Rand der autarken Energieversorgung und erfindet noch diversen literarischen Elektroschrott, den DFW wahrscheinlich alles selbst erfunden hat, flüchtet sich dann in die Experimentarfilmerei (warum glaube ich eigentlich, dass ich diverse Plots seiner „Aprèsgarde“-Filme noch lesen werden muss) bis er seinen letzten Beruf ergreift – er wird Trinker wie sein Vater. Im Jahr der Dove-Probepackung bringt er sich um und wird in Québec beerdigt. Warum immer Kanada?
Schichtwechsel. Orin fliegt. Keine Ahnung, was er da macht. Fallschirmspringen? Man muss sich das, was auf diesen zwei Seiten passiert, vorstellen, wie das Einfliegen der Mannschaften zur Quidditch-Weltmeisterschaft bei Harry Potter. Nur ohne Besen. Und für ein Footballspiel. Und in der Muggelwelt. Bevor ich jetzt schon durchdrehe, geh ich ins Wasser.
Ich gestehe²: Wie gesammelte biografische Skizzen und getunte Dope-Notate (= Dopate) kam mir der Spaß vor; kurzweilig zwar, aber wie bereits erwähnt: doch irgendwie spröde! Bis sich bei der gestrigen Lektüre endlich das Roman-Gefühl einstellte. Genauer, an zwei Stellen:
1) Bei der Genesis der Panik (S.89f).
2) Bei der Visite (S. 99ff).
Daraus wäre zu schließen, dass ich zu deutlicher, vielleicht bodenständiger Prosa mit dem specific human touch neige; keinesfalls. Alles, was wie reifer Shandy aussieht, wird geext. Vielmehr liegt es am Unterschied beider Stellen zum Text davor. Man könnte es Maß nennen oder Normalität; in gewissem Sinne auch Ehrlichkeit. Nur ist es das allein auch nicht. Es wäre ein zu einfaches Modell. Das bürgerliche Tempolimit für den Roman ist ja sowieso indiskutabel.
Eher ist es so, als ob der direkte Ton beider Passagen Wallace sirrende, asthmatische Stimme erden konnte, wodurch mir erstmals die narrative Fallhöhe, bzw. seine Sprungtiefe definiert scheint. Denn ohne auf die biografische Deutung zurückzugreifen, muss man doch in der Beschreibung der Panik und in Katherines Apologie des Suizids einen ungleich stärkeren existenzielleren Zug feststellen; der zwar vorhanden war, aber ganz von den burlesken Elementen überdeckt wurde.
Juxtaposing Arzt und Patient: In dieser Vertauschung ihrer mindsets ist das, wie ich finde, sehr gut angelegt: Patient Katherine ist ruhig, und kann Erklärungen und Antworten bez. ihrer vermeintlichen Fehlfunktion geben. Der Arzt dagegen ist ein neurotisches Wrack, dem Mensch Katherine nur noch als pathologische Checkliste erscheint, und der sich mühen muss, menschlich mit ihr umzugehen. Hier bekommt der Roman seine Bodenhaftung, und damit die Komik ihre Schärfe.
Sprüche und Witze waren oft die Flaschen, in denen klinisch depressive Menschen ihre gellendsten Hilferufe nach jemandem aussendeten, der sich um sie kümmern sollte. (S. 104)
Jetziger Stand: S. 111.
Ich bin vorerst angefixt.
Hoffe, dass Wallace es durchhält. Wahrscheinlich ist es auf die Ironman-Distanz von 1500pp+ leider nicht. Der Tod ist nur einer vieler strenger Lehrer. Als menschliche Brust aber hofft man unendlich.
¹ Aus: Essay on Man, Pope.
Hope humbly, then; with trembling pinions soar;
Wait the great teacher Death; and God adore.
What future bliss, He gives not thee to know,
But gives that hope to be thy blessing now.
Hope springs eternal in the human breast:
Man never is, but always to be blest:
The soul, uneasy and confined from home,
Rests and expatiates in a life to come.
² Wallace und Britney verbindet mehr, als man denkt:
My loneliness is killin me
I must confess I still believe
When I’m not with you I lose my mind
Give me a sign, hit me baby one more time!
Eine genauere Untersuchung der frappierenden Paralellen beider Karrieren (ab 1996 Aufstieg / Abstieg um 2006; der Eine zum Orkus, die Andere zur Übergrößenabteilung) steht noch aus!
29./30. August 2009
Der Laptop fliegt wieder aus der Tasche, stattdessen darf der weiße Klotz mit, laut Küchenwaage 1501 Gramm, die nicht in eine Damenhandtasche passen. Das weiße Hardcover (wer diese Unfarbe ausgewählt hat, reist nicht mit Büchern) weist inzwischen einige Flecken auf, irgendwas in Rot, das nicht Blut ist, leicht grünliche Schlieren, anderes, das wie getrockneter Popel aussieht, es gibt auch einen Bleistiftstrich quer über die Spiegelschrift, ganz abgesehen von den unsichtbaren Hautpartikeln, Fingerabdrücken und Bazillen, die das Buch inzwischen bevölkern müssen. Ich hätte mir den Fleckentfernerstift, der an einen dicken Edding erinnerte, borgen sollen, mit dem die beiden Grazien, von Beruf Hotelfachangestellte, die mir auf dem Hinweg im Oberstock des RE 1 gegenübersaßen, gegenseitig die Flecken aus ihren weißen, knackeengen Oberteilen rieben, bevor sie in Potsdam ausstiegen, um zu einem Empfang einer Hotelvereinigung zu gehen. Sie hatten beide völlig starre Wimpern, die auf den exzessiven Gebrauch von Mascara schließen ließen und tauschten sich gegenseitig neuerworbene Teebeutel aus, die einen zum Einschlafen, die anderen zum Aufwachen, wobei der Einschlaftee grässlich nach Baldrian roch. Das war aber nichts gegen die Gerüche des Regionalzuges, der nach exzessivem Gebrauch, es war Samstagabend, nach altem Schweiß, Stinkerkäse, Alkohol und Pisse roch, denn das Klo war ausgelaufen. Während ich die Anmerkung 304 las, die vom mörderischen Gleisspiel handelt, gegen das das inzwischen aus der Mode gekommene S-Bahn-Surfen nur ein Freizeitspaß war, stritten sich die vier besoffenen Sachsen hinter mir, ob die Eisenbahnstrecke von Oberweißbach nach Unterweißbach noch in Betrieb war, nur stillgelegt oder gar schon entwidmet, aber sie konnten sich nicht einigen. Es waren etwas wunderliche Gesellen, die um 5 Uhr in der tiefsten Provinz und drei Stunden nach Ende eines Erntedankfestes aufgestanden waren, um mit Wochenendticket nach Berlin zu reisen, weil sie Berliner Kindl trinken wollten. Ausgerechnet Berliner Kindl! Als der eine laut rülpste, las ich gerade die Stelle mit dem am Faden baumelnden Auge, das dem mit von Drogen und Gewalt Geschädigten „so an der Seite vom Gesicht herumeierte“.
Was die mobile Kommunikation angeht, war Wallace, im Gegensatz zur Einschätzung der Video-Telefonie, wenig vorausschauend. Der Handyterror in Regionalexpresszügen war vielleicht auch 1996 nicht vorhersehbar. Das Handy der blonden Grazie z.B. hatte einen Gummientchen-Ton, der mit jedem als Quietschen getarnten Klingeln lauter wurde. Sie starrte erst eine Weile auf das Display, das Handy machte schon Geräusche wie eine lebendig gebratene Ente, bis sie entschied, den Anrufer wegzudrücken.
Dank des mitgeschleppten Gepäcks weiß ich nun, dass die über fünfzehnjährigen Tenniswunder der E.T.A. ihren Urin für die Dopingkontrollen so Katrin-Krabbe-mäßig reinigen und es überhaupt dort zugeht, wie unter den 16-jährigen Olympiakadern meiner Jugend, die, bevor sie überhaupt bei der Olympiade starten konnten (die dann sowieso wegen Boykotts ausfiel), körperliche Wracks waren, die vom Konkurrenzkampf, chemischen Wundermitteln und vom vielen Training abgenutzten Gelenken zermürbt waren und sie anfingen, Drogen zu nehmen, was damals hieß, bis zur Besinnungslosigkeit zu trinken.
Zur Rezeption dieses Buches: Ich bin mir sicher, den Begriff Postmoderne nicht auf eine Vielfalt zugleich bzw. abwechselnd beherrschter Stile beschränkt wissen zu wollen. Bin aber auch schon öfter zu als postmodern apostrophierten Gebäuden geführt worden, die in mir nichts weiter als den Eindruck des Kunstgewerblichen erweckten.
Ob ‚Aneignungskunst’ im Original nicht vielleicht doch ‚Appropriation Art’ war – und also, als stehender Begriff der jüngeren Kunstgeschichte (Cindy Sherman), besser nicht übersetzt worden wäre, bringt mich (wie auch die hier und dort unregelmäßigen Konjunktive) auf die Ebene der Lektoratsarbeit, auf die wir uns hier aber – als Leser (dies ist ja kein Workshop) – vielleicht nicht zu sehr kaprizieren sollten. Ist aber schon bei synchronisierten amerikanischen Spielfilmen so, daß ich mich andauernd, fast zwanghaft frage: Was wurde hier wohl im Original gesagt? – Mit dieser Differenz läßt sich natürlich produktiv umgehen. Ist ja immer wieder toll, wenn man merkt: Das hier ist in einer anderen Sprache entworfen worden.
Seltsam immer wieder das Dilemma der Science Fiction (wobei ich diesem Begriff, wortwörtlich genommen, sehr anhänge): Warum wird mir das aus 1996er Sicht Zukünftige (heute zum Teil längt Eingelöste bis Überholte) als gegenwärtige Normalität so ausführlich, beinahe wie in Gebrauchsanweisungen, erklärt? Das kommt ein bißchen uncool herüber, bisweilen; das hätte auch beiläufiger angebracht werden können. Ist zudem sehr jungenhaft, wie aus dem Baukasten (‚Der kleine Ingenieur’) gezaubert.
Und was eigentlich leisten sogenannte Hochbegabte (zumal in literarischen Texten)?
(Bin bis zum Wochenende offline in Paris.)
Der Einfachheit halber – vornehm gesagt: anti-redundant – >>>> aus meinem Arbeitsjournal:
Ich meinerseits lese nun den >>>> Unendlichen Spaß weiter, wobei mir die Lust daran auf dem Bebelplatz ein wenig verging, weil mich Kiffer echt nicht interessieren und schon gar nicht die absurden Abwehrbewegungen, mit denen sie aus dem Aussteigen aussteigen. Ich zitier mal, es ist nicht unwitzig, aber in der Wiederholung dann doch öde: „Er würde sich durch Maßlosigkeit kurieren“ – und der gleiche Mechanismus dort: „Noch nie hatte er die Ankunft einer Frau, die er nicht sehen wollte, so sehr herbeigesehnt“ (weil sie ihm den Stoff bringt); beides S. 35/36. Ich weiß einfach nicht, was ich mit einer solchen Lebenswelt anfangen soll. Während meines Zivildiensts hatte ich so viel mit Junkies zu tun, daß es mein Leben lang reicht. (Ich ertrage, auch wenn ich selber gern was trinke, auch Betrunkene nur schwer; so viel zur erlaubten Droge Alkohol. Ich ertrage es weder, wenn ich selbst, noch wenn andere ihr Gesicht verlieren. Ist mir selbstverständlich auch schon passiert, aber es quält nachhaltig. Weshalb soll ich darüber dann auch noch lesen?) – Eigentlich sollte ich das dort auf dem Blog schreiben. Na gut, ich zitiere es einfach.
Jetzt halt doch eine Redundanz, nämlich im bezeichneten Zitieren, das nun auch erfolgt ist. Darüber hinaus ist mir völlig bewußt, daß ich überempfindlich reagiere; ich brech die Lektüre ja auch nicht ab. Aber Tschaikowski zuzuhören, war mir lieber, Bebelplatz, Barenboim, heut nachmittag. Das Buch war dabei, um die Zeit zu überbrücken zwischen „Ergatterung“ eines Platzes und Beginn des Konzerts:
Parallel aber führe ich >>>> Auseinandersetzungen f ü r das Buch. Sowas gehört in den Zusammenhang irrer Zusammenhänge (Prozesse) mitten hinein. Dennoch erreicht mich >>>> die Sucht noch nicht.
Mit einiger Sorge bemerke ich den von Tag zu Tag spürbareren Suchtfaktor – eine Art Craving in den frühen Abendstunden, wenn nach Erledigung der Alltagsgeschäfte die Lesezeit naht, mittlerweile schon gegen Mittag. Noch nicht so stark wie bei Wallace´ Drogenhelden, „Meiner Wenigkeit“ zum Beispiel (S. 185 ff.), aber doch irritierend. Wird sich das ausweiten? Vor allem: was wird nach dem Ende, nach der letzten Seite sein? Kalter Entzug? Oder geht dann, wie Harald Staun vor einer Woche in der FAS schrieb, der Spaß erst richtig los und wir fangen noch einmal von vorne an. Das erinnert allerdings gefährlich an die tödliche Wirkung der Endlosschleife. Mit anderen Worten: Ist unser Schicksal damit bereits besiegelt? (Das ist es ohnehin.)
Dabei ist die Lektüre doch alles andere als ein Spaß, eher versuchte Aufheiterung eines zunehmend in abgrundtiefe Traurigkeit Verfallenen. „Damit sich der Leser gerade nicht unterhält“, schrieb Ulrich Blumenbach im Zusatz-Material, „erschwert der Autor ihm die Lektüre“. Am stärksten irritierte mich anfangs die zeitliche Desorientiertheit, Schwindel bis leichte Übelkeit erzeugend. Zu wissen, was wann wo passiert, einschließlich aller Vor- und Rückblenden, war bislang, scheint mir, eines der Axiome allen Erzählens, eine Art Klammer (extrem im „Ulysses“ und in den „Jahrestagen“). Offenbar hat Wallace (beinahe) ernst gemacht mit Neals Überlegung (in „Good Old Neon“), dass wir mit der Zeit zwar allerlei messen können, nicht jedoch den Ablauf der Zeit selber, sodass wir nicht wissen können, ob es überhaupt einen Ablauf gibt oder ob sich alles, was je gedacht und gesagt wurde, wie ein „Blitz“ entfaltet, den wir „Gegenwart nennen“. Inzwischen hat sich der Schwindel gelegt – dank Endnote 24, die wie inzwischen auch einige andere Zeitmarken des Autors eine gewisse Orientierung im Ablauf dieser albernen „Sponsoren-Jahre“ erlaubt.
Offenbar hat DFW das Prinzip zeitlicher Relativierung auch auf den Umgang mit der Realität übertragen. Sodass der Leser oft nicht weiß, ob das Geschriebene so oder anders gemeint ist und einen verborgenen Hintersinn birgt. Oder ob es sich einfach um ein Versehen, eine Flüchtigkeit handelt. Hat es eine Bedeutung, dass Hals Kollege Jim Struck auf Seite 74 plötzlich (und nur hier) den Vornamen James bekommt? Ist es dem Autor wirklich entgangen (S. 106), dass Kalzium-Injektionen auch in den 1990er Jahren schon längst nicht mehr das Mittel der Wahl gegen Hyperventilationssymptomatik waren (ersetzt durch die kausal und nicht nur symptomatisch wirksame Plastikbeutel-Rückatmung)? War es Absicht, dass (in Endnote 28) die gängige Wirkstoffbezeichnung SSRI um ein S verkürzt wurde?
Manchmal aber enthalten diese winzigen, vordergründig ganz unbedeutenden Aberrationen kleine „unerzählte“ Geschichten. So wenn sich (in Endnote 24) der Name einer der an Incandenzas Produkten beteiligten Schauspielerinnen von Film zu Film um einen Bindestrichnamen verlängert – zuletzt um den ihres Partners im vorausgegangenen Streifen. Da darf sich der klatschsüchtige Leser allerlei denken. Und pure Freude bereitet natürlich (gleichfalls in der manisch-voluminösen Endnote 24) die Entdeckung, dass die letzten Filme Incandenzas einschließlich des finalen, Tod bringenden Machwerks von der Firma P.Y.E.U. produziert wurde („Poor Yorick Entertainment Unlimited“).
Der vor zwei Tagen von Kolja Mensing geäußerten Meinung, dass die psychiatrische Erstexploration einer suizidalen Patientin (ab S. 99) lehrbuchreif und dass Kate eine „Musterpatientin“ sei, kann ich mich allerdings nicht anschließen. Genau wie Neal seinen Psychoanalytiker (in „Good Old Neon“) gelingt es Kate nach kurzer Zeit, ihren Doktor „wie ein Hund seinen Spielknochen herumzuschubsen“, und DFW rührt dabei zugleich an eines der Grundprobleme moderner Krankenbehandlung, ob es denn ethisch vertretbar ist, dem Verlangen des Patienten nach einer bestimmten Therapieform nachzukommen, solange der Arzt von deren Indikation noch keinesfalls überzeugt ist.
Verschärft wird die Sache dadurch, dass im „Unendlichen Spaß“ wie schon in vielen DFW-Erzählungen immer wieder Hochbegabte auftauchen (Abbilder des Autors?). Wie Neal (in „Good Old Neon“) vergeudet Ingersoll seine „hohe Intelligenz … für das unstillbare Bedürfnis … Eindruck zu schinden“ (S. 164 f.). Weil Hal „Teile seiner selbst in ihm wieder erkenn(t)“, widert der ihn an. Erneut wird hier spürbar, dass Hochbegabung – wie ihr Gegenstück, die Debilität – ein Makel, eine Form der Behinderung ist.
Nachdem bisher (S. 182) nur die Möglichkeit angedeutet wurde, dass es einen die tödliche Wirkung von „Infinite Jest“ aufhebenden Anti-Film geben könnte, habe ich vorerst auf mein eigenes Antidot zurückgegriffen und bin zwei Tage lang im Südschwarzwald gewandert. (Sehr empfehlenswert der Halbhöhenweg zwischen Saig und Kappel und der Schluchtenstieg bei Ruhbühl!) Auch hier Höhen und Tiefen. Und nachher Blasen unter den Zehen. Aber Wallace entgeht man selbst dadurch nicht. Unter dem Stichwort „Verstiegenheit“ notiert er (in Endnote 36): „Einsames Wandern in verwüstetem, verwirrendem Gebiet jenseits aller kartierten Grenzen und Orientierungspunkte“. Nein, man entgeht ihm nicht.
Dass momentan dieselben Leute, die Foster Wallaces erste Publikation in Deutschland in dieser dummdreist-hämischen SZ-Feuilletonart abgekanzelt haben, ihn nun im Nachhinein zum Messias hochjubeln, kann man natürlich ebenso ekelerregend finden wie die Art, in der dieses Buch und die Aufmerksamkeit drumherum gerade missbraucht werden, um sich eitel in diversen Abstrahleffekten zu sonnen.
Andererseits ist das Buch in jeder Hinsicht groß genug, um sich auch diese Formen der Rezeption im besten Sinn einzuverleiben; das alles ist im Wallace-Kosmos ja längst zu Ende gedacht, und ich will eigentlich sagen: kaputtgedacht, weil ich vermute, dass es ihm genau darum geht: Um die Zerschlagung des Unerträglichen in und mit der Sprache.
Diese manische, durchdrehende Akribie, mit der Foster Wallace seine Gegenstände umkreist, mit der er sich immer tiefer hineinschraubt in die Dinge, in Gedanken und Strukturen, ist für mich befeuert von dem Wunsch, zu durchdringen, zu verstehen, den ganzen Ballast wegzuräumen und den Blick freizubekommen auf das Wesentliche dahinter. In dieser grundsätzlichen Mechanik unterscheidet sich Infinite Jest nicht von seinen anderen Texten, Polyphonie und stilistische Bandbreite hin oder her, der Impuls im Zentrum ist derselbe, und um den zu begreifen, reicht schon eine beliebige Geschichte aus dem unglaublich guten „Oblivion“-Band.
Am Ende geht es immer um die Durchdringung der (medialen) Matrix, um das im Wortsinn Elementare dahinter: Also um die Frage der beiden jungen Fische in der dankenswerterweise weiter unten verlinkten Rede, die David Foster Wallace 2005 am Kenyon College gehalten hat.
„Morning boys, how’s the water?“, begrüßt sie ein entgegenkommender älterer Fisch. Die beiden sehen sich an und fragen verwirrt: „What the hell is water?“
Tiergarten. Unterm Dach eines Baumes. 14.10 Uhr. Keine Musik. Kein Getränk. Eine Spinne krabbelt über die Seiten (keine Angst, die Insektensachen in US haben noch nicht abgefärbt). Ein bisschen träge.
Hab ein Problem, das immer drängender wird. Die Fußnoten. Es gibt immer mehr Fußnoten. Lese ich die jetzt, lese ich sie später, lese ich sie gar nicht? Würde ich sie direkt lesen, würden sie mich weiter bringen oder weiter wegbringen, vom Wasauchimmerhiereigentlicherzählt wird? Glaube eher letzteres und schenke sie mir erst einmal.
Die Spinne ist weg, wir haben Herbst im US, das Jahr der Milchprodukte aus dem Herzen Amerikas ist angebrochen. Und wir dürfen schon wieder mit einer neuen Plotlinie und einen neuen Ton begrüßen. Don Gately. Der ist – Überraschung – drogenabhängig, 27, von der Statur eines Dinosaurierwelpen, lässt sich von niemandem „auf die Stulle furzen“, weswegen er sich auf ziemlich perfide Weise an einem Staatsanwalt rächt (muss man sehr lesen). Gately zieht anscheinend die Pulp-Krimi-Linie durch diesen Monsterwust von Roman. Hat DFW jemals was mit Tarantino zu tun gehabt? Im Nebenbei, während Gately ungewollt einen Quebecois umbringt (er knebelt den Extremverschnupften, woraufhin der Arme im wahrsten Sinn verröchelt), erfährt man ein bisschen mehr von der weniger schönen neuen Welt des US: Es gibt eine Große Konkavität, eine Große Konvexität, eine Experimentalistische USA und die O. N. A. N., was immer das sein soll. Steht bestimmt irgendwo in den Fußnoten oder den Anmerkungen. Dem halbwegs lustigen Foltertod des Guillaume DuPlessis folgt eine vollkommen rätselhafte Aufzählung (integrale Froxx-CD-Roms, Killer Apps, phosphenische Migräne, gluteale Hyperadiposität und ähnlicher Plunder, wenn jetzt einer glaubt, ich google das nach, hat er sich geschnitten).
Zurück zum Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche. Jim Troeltsch taucht auf. Nr. 8 auf Juniorenrangliste der Enfield Tennis Academy. Ein Extremhypochonder, der sich mit einem Rhinovirus, nuklearwaffenfähigem Antihistamin und einem Dextrometorphanzerstäuber ins Bett verzieht und von Fuguen grauenhafter Tagträume verfolgt wird. Ein neues Spiegelbild aus der Selbstbespiegelungsanstalt des David Foster Wallace. Kaum ist Troeltschs Bulletin erstellt, wechselt DFW in die Ich-Erzählung. Und was dann auf zwei Seiten folgt, ist eine Beschreibung der Begegnung mit dem absolut Bösen im Traum, die dich wieder einmal das Blut in den Adern gefrieren lässt, dir den Boden unterm Tiergarten wegzieht. Eine Ahnung gibt, von der Erschütterung, der Angst, der Panik, die alle Wände im Weltinnenraum DFWs dunkelschwarz gemalt hat. Das Böse öffnet sein Maul im Licht deiner Taschenlampe. Niemand sieht es, es ist nur für dich. In deinem Zimmer. Du liegst da mit sperrangelweiten Augen. „Du liegst da, wach und fast zwölf. Und du glaubst mit aller Kraft.“ Unfassbar.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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