Tobias Gnüchtel macht an der Universität Hildesheim ein Seminar:

Anhand von David Foster Wallaces epochalem Mammutroman „Infinite Jest“, der jetzt endlich in deutscher Übersetzung vorliegt, soll das Seminar in literaturwissenschaftliche und erzähltheoretische Methoden einführen. Die Methoden werden daraufhin überprüft, ob sie einem Gegenwartstext gerecht werden und gegebenenfalls modifiziert und erweitert werden müssen, um das „Delay“ zwischen Gegenwartsliteratur und Literaturwissenschaft zu verringern. Dabei soll nicht zuletzt über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Polyperspektivität des Romans auch für das eigene Schreiben neue Herangehensweisen und Verfahren gewonnen werden.

Preis

18. März 2010 |

Ulrich Blumenbach erhält für seine Übersetzung von Unendlicher Spaß den Preis der Leipziger Buchmesse 2010!

was noch kommt

1. Dezember 2009 |

Im April 2011 erscheint bei Little, Brown The Pale King von David Foster Wallace. Einen Stapel mit 200 Seiten Manuskript hat Wallace in seinem Arbeitsraum hinterlassen, in der Garage seines Hauses in Claremont, Kalifornien. Hier kann man sehen, wie Wallace einen Raum in seinem damaligen Haus in Bloomington, Illinois gestaltet hatte. Der Raum war komplett schwarz gestrichen. Einzige Lichtquellen waren einige alte Lampen, manche mit, manche ohne Lampenschirm.
Zwei der Seiten, die als The Pale King veröffentlicht werden, lassen sich, bevor hier die Lichter ausgehen, hier betrachten.
Und wer wirklich noch wissen möchte, wie das Vorbild für Joelle van Dyne ausgesehen hat (sie ist inzwischen etwas älter geworden), schaut hier.

100 Tage

1. Dezember 2009 |

Nach 100 Tagen ist der Spaß vorbei. Über 200 Einträge, über 1000 Kommentare, fast 400 Spam-Versuche. Fast 30.000 sog. „absolut eindeutige Benutzer“. Die meisten Zugriffe gab es Anfang September. Seitdem ist es ziemlich konstant bei drei- bis viertausend Besuchern pro Woche geblieben. Das entspricht auch etwa der Menge der Besucher der Seite, die mehr als 200 Mal zugegen waren.

Danke an alle, die hier gelesen haben, die kommentiert haben und die geschrieben haben!

Es war mir ein Vergnügen.

28. November
2.50. Auf einer Welle von Adrenalin am Wasser. Gerade noch die Westerwelles gesehen und die Röttgens. Sogar den Arbeitgeberpräsidenten gibt’s tatsächlich. Ist doch ziemlich klein. Hab ich da eben tatsächlich eine umfangreiche Dame im großen Roten derart ihre Glieder schlenkern sehen, dass keiner vorbei kommt. Und BAP, die furchtbar vor den Menschen in den Smokings. BiFüs, die ihre Arme so hoch werfen, wie es ihre zu engen Smokings zulassen, als sie „Verdamp lang her“ spielen. Interessant, was die Realität hergibt.
Gately träumt sich weiter durch sein Leben und einen Plot, der einen B-Coen-Streifen abgäbe, aber wer will das schon drehen. Es wird immer enger. Und Gately lässt sich immer tiefer in das Dilaudid seines Kumpels Fax Fackelmann fallen. Getreu dem gerade selbst entdeckten Motto: „Grundsätzlich bewältigte jeder Drogensüchtige seine Probleme, indem er sie mithilfe der guten alten Droge ausblendete.“ Der Drogensüchtige, geht die Entdeckung weiter, ist „im Grunde ein feiges und jämmerliches Wesen, ein Wesen, das sich prinzipiell versteckt“. Und schön ist es in seinem Versteck nun wirklich nicht. Wir dürfen dank DFW hineinschleichen. Fax und Gunny knallen sich so zu, dass kein Boden trocken bleibt dank ihrer doppelseitigen Inkontinenz. Und Gunny erinnert sich dessen in einer Klarheit, dass einem schlecht wird. Drogen sind eine ganz beschissene Idee. „Sein Fieber ist weit schlimmer, und die kleinen Traumfetzen haben etwas Kubistisches.“ Gunnys Geist löst sich auf. DFW hat verdamp lang Anlauf genommen, um hierher hoch zu klettern. Tolles Finale.
Joelle taucht wieder auf und läuft Steeply in die Arme. Der/die will sie warnen, sie sei in irrsinniger Gefahr. Kennt sie schon, ist sie längst.
Die beiden Drugster drücken weiter. Eine finale Spritztour. Nicht zu retten. Sie sabbern Schokolade, weil sie bloß noch Erdnuss-M&Ms einwerfen. Sie nässen vorne, sie nässen hinten. Sie eiern herum wie Kleinkinder, deren Eltern vor drei Wochen das Weite gesucht haben. „Der Boden wich aus und schnellte zu ihm hoch.“ Das ist eigentlich zu viel für viertel vor drei. DFW hat ein Einsehen und schickt zur Entspannung ein Interview dazwischen. Ein Incandenza-Filius wird befragt. Die Masterbänder (sagt man bei Patronen noch so?) sind im Grab des großen Storchs. Und dann rettet sich der Incandenza – Orin, es muss Orin sein – in Ironie. Sei ein Witz gewesen mit dem Spaß, mit der vollkommenen Unterhaltung, ein schlitzohriger Seitenhieb. Wollen wir ja gern glauben, dazu sind aber ein bisschen zu viele Leute an dem Witz gestorben.
So schlechte Witze kriegt noch nicht mal Mario Barth hin. Und der kriegt ganz schreckliche Witze hin. Der ist sogar potenziell tödlich. Der unendliche Spaß.
In der E.T. A. ist noch immer kein Rolli angekommen. Dafür wurde Ortho „der Schatten“ Stice, nachdem man ihn am Frostfenster Vorderkopfskalpiert hat, in eine Mumie verwandelt. Und sein Bett hängt unter der Decke. Wie das kommt? Keine Ahnung.
Werden wir das jäh erfahren? Viel Zeit bleibt nicht mehr. Gute Nacht.

29. November

22.15. Köln-Konzert von Keith Jarrett (ich muss es mir noch mal so richtig geben). Reste vom GanzgutBarolo von gestern. Komm über die dicke Dame nicht weg. Und die HansOlafHenkelTwins. Und die Merkwürdigkeit, dass eine seltsame DIE-Zeitungshalbschönheit ausgerechnet mit diesem Schlimm-Halbseid von der Linken herumläuft, wie heißt er noch gleich? Nicht Barth, das ist der schlimme Witze macht. Habs gleich. Bartsch. Genau.
Ewige Welträtsel. Muss ein ziemlich besoffener Amor gewesen sein. Apropos Welträtsel. Ob wir hier noch wenigstens ein paar dieser Myriarden von losen Fäden verknotet kriegen, bezweifel ich immer stärker. Jetzt geht’s wieder in die Filmtheorie. Ein schlechter Schauspieler tritt auf, der deswegen schlecht sein muss, damit man beim Zuschauen der Filme Seiner Selbst nicht vom theoretischen Skelett abgelenkt wird. Hat keine Zuschauer. So ist das eben. Deswegen wendet SS sich vom Antikonfuentialismus ab, das müsste man auch mal nachschlagen, wenn man Zeit hat. Der schlechte Schauspieler feierte übrigens seinen größten Erfolg als Tanzdrüse in Spots für eine Kette von Endokrinologiekliniken. Er hat ein knollenförmiges weißes Kostümchen an. Und tritt als Vorher- oder Nachherdrüse auf. Schade eigentlich, dass so etwas bei uns nicht möglich ist. Wär im Kino ein Brüller. Wir erfahren den ziemlich splatterigen Plott von „Komplizen!“, in dem ein Kondom des Grauens, ein Rasiermesser eine Rolle spielen und ein schwuler Akt in einem See aus Blut ertrinkt, aus dem dann schließlich einer minutenlang Mörder schreit. Die Leute denken in Sprechblasen, was metafiktiv sein soll und wahnsinnig unterhaltsam. Hamwajelacht. War SS ein Genie oder bloß ein gottverdammtbeschissener Cutter? Wir wissen es nicht. Jedenfalls erntet das Werk des großen Storchen beinahe so viele Doktorarbeiten wie das seines Erfinders. Und der macht sich über die wissenschaftliche Anstrengerei ordentlich lustig. Eine Dame erhält eine Festanstellung an einer Uni für einen Essay, in dem sie die Sinn-vs.-Unsinn-Debatte entlarvt. Sie zeige „die zentralen Mysteria der millenialen Apresgardisten, die sich in der Teleputer-Ära ausschließlich privater Unterhaltungen meist um die Frage drehten, warum so viele ästhetisch ehrgeizige Filme so langweilig waren und warum so viele beschissen reduktive kommerzielle Unterhaltungen so viel Spaß machten“. Tja.
An der E. T. A. schneits weiter. Mir fällt die Winterreise ein. Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus. Das geht mir wahrscheinlich mit dem Spaß auch so. Momente wieder: Ein Mann im Schnee, auf der Straße, am Auto , „hatte das unheimlich geschäftige Gesicht eines Menschen, der Glasssplitter von der Straße sammelt, nachdem seine Frau bei einem Verkehrsunfall geköpft und von der Lenksäule aufgespießt worden ist“. Er muss immer eines drauf geben. Geköpft und aufgespiest. Unmaß ist der Welten Lohn. Oder: Wintersportarten laufen darauf hinaus, niederzuknien und Verletzungen zu erflehen. Sport ist Mord. Wir erleben den 98er Blizzard mit, der auch ganz schön unmäßig war. Hals Fantasie metastasiert, während er bräsig auf dem Teppich liegt, durch die Wohnsitze der Familie, zu einem Teppich mit byzantinischem Knüpfwerk und versteckter Pornografie. Und zum Großen Storch, der auf meine alten Tage noch so etwas wie sympatisch wird. Hal wird vergesslich. An eine Kirche steht die heutige Losung für Medienberufe: „Leben ist wie Tennis, wer das Knie beugt, kommt weiter“. DFW wirft uns wieder einen Brocken Bildung hin, dass wir uns doof fühlen. Unter der Decke verlaufen guillochierte Zierleisten. Wenn der jetzt glaubt, ich schlag das nach, hat er sich geschnitten. Oder was Vollsprektrumlichtvouten sind. Oder wie eine unheimlich kyphotische Krümmung aussieht. Hal hält wg. der Schimmelesserei seiner Jugend den Ball flach. Ist das hier zielgerichtet oder wallewallet das nur so durchs Halsche Gedächtnis? Das Wallewalle endet bei einer zumindest angedachten Selbstverstümmelung und bei einer rührenden (rührend gemeinten) Szene mit Orin und dem großen Storch. Der ist eine Art Godfather of allesmögliche und rät Orin vom Genuss einer Pornokassette ab, was Hal den Schweiß des Neids auf die Stirne bringt. So hat SS nie mit ihm geredet. John Wayne schlendert herein und es wird enthüllt, dass er was mit den Moms hat.
Es wird ordentlich Sex nachgeholt. Noch 35 Seiten und kein einziger Rolli unterwegs. Was ist hier eigentlich los?

29. November

14.30. Die wahrscheinlich undysfunktionalste Familie im ganzen Haus (die heilige Familie der Bibel mal ausgenommen) schläft. SchwarzTeemitMilch. Zitronenkeks. Piwarm ist es. Und ich hab eine Sexszene unterschlagen. Die Sexszene (abgesehen von der Schwulsexperversaktion von eben). Die ein und einzige. John Wayne und die Moms. Sie lehnt sich an vier Kissen, halb sitzt sie also, halb liegt sie auf dem Rücken, und starrt reglos und blass nach oben. Wayne, schlank, mit braunen Gliedern und weichen Muskeln, liegt ebenfalls völlig reglos auf ihr, den ungebräunten Hintern in der Luft, das leere, schmale Gesicht zwischen ihren Brüsten, blinzelt nicht und hat wie eine betäubte Echse die Zunge rausgestreckt. So verharren sie.“ Das hat schon Größe als Bild.
Joelle kommt nach Hause. Mikey erzählt noch einmal die Geschichte vor den AAs, wie er seinen Sohn abholen will und seine WUT nicht in den Griff bekommt (zum zweiten oder dritten Mal?) Der größte Gately-Feind von allen, der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt für den 4. Bezirk von Suffolk, will sich als therapeutischen Akt bei Gately entschuldigen. Er muss Wiedergutmachung üben. Er hat es immer fast geschafft, da bricht ihm der Hass aus allen Zungenknospen. Seine Frau putzt sich nach der Großreinlege mit den Zahnbürsten aus den Anussen (Ani?), die wir ganz am Anfang hatte, solange die Zähne bis sie blutrot sind. Er beschwichtigt, dann bricht sich der Hass, der HASS wieder Bahn. Er spricht sich mit dem Betroffenheitsgebet die Mundwinkel blutig. Es nutzt nix. Er will. Er kann nicht.
Noch 25 Seiten und nix ist geschürzt. Wette mit mir um eine Flasche Bordeaux, dass sich daran auch nichts mehr ändert. Bleibt eigentlich nur die Frage, hatten wir das eigentliche Finale schon, weil der Zettelkasten, der dieser so genannte Roman ist, auf dem Weg zum Verlag durcheinandergeraten ist, oder gibt es schlicht keins, weil das konventionelle Scheiße wäre.
Das Fundraising-Show-Fest der E. T. A. wird eröffnet. Die Damen sehen aus wie auf dem Presseball nur älter, sehr viel älter. Derweil machen sich die E. T. A.-Tisten warm. Das dauert. Wir kennen ja schon ziemlich viele. Das dauert, als hätte der unendliche Spaß noch unendlich Zeit. Hal macht den Kollegen Sorgen ob seiner schwarzwolkigen, am Boden liegenden Verfassung.
Einmal werden wir noch wach. Heißa dann ist US-Ende-Tag.

30. November

13.30. Dementor-Day im Großraum. GehtgarnichtKaffee. Man soll halt übermüdet keine Maschine bedienen, sonst ist man bedient. Schmeckt grauslig. Muss einen Zimtstern einwerfen, auch wenn ich demächst wie Garfield ausseh. Reine Geschmacksknospenhygiene.
Gott, sieht der Spaß mitgenommen aus. Fleckig. Der Rücken gerissen. Eselsohren. Zerfleddert. So wie der Spaß außen, sehen die etliche Autoren und ganz bestimmt Don „The Gunner“ Gately aus.
Soll ich mal eine Liste machen mit Figuren, die nicht ordentlich versorgt sind, mit Geschichten, die mitten in irgendwelchen Gängen stecken und nicht weiterkommen? Soviel Zeit hab ich heut nicht. Muss das hier schnell zu Ende bringen. Dementoralarm.
Statt endlich wieder mal einen Rollifahrer radebrechen zu hören, erfahren wir die religiös grundierte Geschichte des E. T. A.tistischen Cheftrainers Barry Loach und dessen, na?, genau dysfunktionalen, spirituell und auch sonst ziemlich seitwärtsabhängenden Familie. Ein Bruder fällt vom Glauben ab, der jüngere muss darob beinahe seine Tenniskarriere aufgeben, weil es einen Priester in der reichlich sockenschüssigen Familie halt geben muss. DFW verschwendet wieder Formulierungen wie andere Leute im Großraum ultraanstrengende Schnupfentröpfchen. To make a long and winding story short, Loach wird „durch eine verwickelte, aber herzerfreuende und glaubensreanimierende Verkettung von Zufällen“ Trainer bei der E. T. A.
Orin, jetzt wird wenigstens der Folterfaden der Rollifahrer wieder aufgenommen, wird auf eine magische Art unter einem gigantischen Zahnputzbecher gefoltert. Und Gately liegt mit einer Stirn so heiß alpträumend in der Traumaabteilung. So heiß, dass man ein Ei drauf aufschlagen könnte. Er kann sich unmöglich eine Welt ohne sich vorstellen. Kann ich mir schon. Muss aber nicht sein. Und schon ist er wieder im ollen Luxusappartement, das er und Freund Fackelmann beschissen und bepisst habe im Drogendrückerrausch. Eine ganze Bande schräger Schläger und Drogisten. Gatelys ständig besoffene Beischläferin Pamela Hoffman-Jeep wird zerschrotet hereingetragen, merkt die erst in zwei Tagen, wenn sie wieder halbwegs nüchtern ist. Es wird gesoffen, es wird gespritztgedrückt. Bobby C, der Anführer des Ruinkommandos, lässt, was ja schlimm genug wäre, Paul McCartney und die Wings laufen. Allerdings mit ohne die anderen Instrumente. Man hört nur das Tambourin und Mdme. Linda McCartneys glockenfalsche Stimme. Das ist die wahre Folter. Den schaurig trockenen und nüchternen Abstieg in die Drogenhölle begleitet von dieser Schrägschraubsopranistin. Ich würde auch alles gestehen. Nur brauch Gately nichts zu gestehen. Sieht eher nach einem Menschenversuch aus, wer kann mehr vertragen. Faxe Fackelmann ist auf jeden Fall der arme Arsch dieser Episode. Ihm werden die Augenlider unterhalb der Brauen mit der Haut vernäht. Brüllendes Geschrei. Die Schläger drücken Gately zu Lindas Gekreisch ganz was Feines in die Adern. Gately schmiert ab. Gately wacht auf. Am Strand. Friede seiner Seele. Friede dem Spaß. Aus. Vorbei.

Umgeben von Köpfen ist Hal von Anfang an. Gately hat vergeblich versucht, seinen Kopf zu zerstören. Nun ist er – liegend, fiebernd, phantasierend – nur noch Kopf und umkreist darin seine von Schmerz übervolle Welt. Hal dagegen spuckt das Wort „Kopf“ auf eine so betont nicht-unverschämte Weise aus, das sogar Schtitt irritiert scheint und nachfragt. Hal passt sich seiner knappen Diktion an, immer noch gerade so, dass Spott und Disziplin nicht klar voneinander zu scheiden sind:

Der menschliche Kopf, Sir, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Wo ich mich als Spieler ereigne. Die eine Welt der zwei Köpfe des Spiels. Eine Welt, Sir.

Clipperton wusste das auch schon und hat seinen Weg gefunden, um die perfekte Balance zwischen den beiden Welten, zwischen innen und außen, Leben und Tod zu finden (wir könnten auch an Ortho Stice, selbst ein Geist oder Schatten, denken, der mit der Stirn an der Scheibe festgefroren ist). Aber eigentlich hält Hal hier den Schädel hoch, von dem er am Anfang gesprochen haben wird, als er sich daran erinnert oder auch nur phantasiert – nachdem er seinen schlimmen Knöchel erwähnt hat:

Ich denke an John N. V. Wayne, der dieses Jahr das WhataBurger’s gewonnen hätte und der maskiert Schmiere stand, als Donald Gately und ich den Schädel meines Vaters exhumierten.

Demnach hat John Wayne das Turnier nicht gewonnen. Aber warum eine Maske? Offenbar im Gegensatz zu den unverhüllten Hal und Gately. Wiedergänger unter Wiedergängern. Gespenster. Etwas geht im Kopf vor, was nur aus dem Kopf hervorgeht, also darin enthalten bleibt, auch wenn es ihn verlässt und außerhalb sein Unwesen treibt. Es passiert etwas, ohne dass es schon passiert. Kopf: Behälter oder – noch schlichter -: eine aufnehmende Erfahrung. Aber was gibt es da zu finden, wenn, was aufgenommen wurde, nicht bei sich bleiben kann, sondern offenbar diffundiert? Was ist das für ein Kopf, der weder Subjekt ist noch Bewusstsein, noch gar ein „Ich“ oder nur ein Hirn? Vielmehr wird dieser Kopf definiert durch die Möglichkeit einer aufnehmenden Erfahrung, einer Erfahrung, die dann in vollständiger Diffusion besteht, in der die beiden Welten verschmelzen, in der der Tod in absolute Nähe kommt, annehmbar, immer wiederkehrend.

Der Tod kommt wieder und drängt sich auf, unwiderstehlich und einzigartig zugleich, er ist die Zukunft, eine leuchtende Angst, verführerische Drift. Der Tod bedeutet, das alles um einen herum langsam werde, sagt der Geist zu Gately. Gately stemmt sich gegen den Tod, er erinnert sich an Demerol, an Fackelmann und was da noch alles gekommen ist. Er war schon in der Hölle, heisst das, und weiß eigentlich, wie das ist, wenn alles langsamer ist. Er hat es gesehen und gefühlt.

Gately ist irgendwie zu gehemmt oder zu dämlich, um den Geist zu fragen, ob er im Auftrag seines höheren Wesens oder der Krankheit hier ist, statt also den Geist anzudenken, konzentriert er sich daher darauf, sich scheinbar insgeheim zu fragen, warum der Geist möglicherweise ganze Monate an Geistzeit darauf verwende, durch ein Krankenhauszimmer zu irrlichtern und demonstrative Pirouetten mit Schnulzierfotos und ausländischen Sprudeldosen an der Zimmerdecke eines Drogensüchtigen vorzuführen, den er noch nie gesehen hat, statt einfach dahin zu quanten, wo sein angeblicher jüngster Sohn ist, dort ein paar Geistmonate lang stillzuhalten und zu versuchen, mit dem Scheißsohn zu konnektieren. Aber vielleicht würde der jüngste Sohn ja auch sofort plemplem, wenn er das Gefühl hätte, er sähe seinen verstorbenen leiblichen Dad als Geist, das könnte natürlich auch sein. Der Sohn klang nicht gerade danach, als führte er den alten psychischen Joystick mit sicherster Hand, nach dem, was der Geist ihm
(Gately) anvertraut hat.

Hamlet soll Rache für seinen Onkel Claudius nehmen, sagt der Geist von Hamlets Vater. Hals Vater, Wiedergänger wie sein Sohn (vielleicht weiß Schtitt schlicht davon), trägt Gately nichts dergleichen auf. Seinen Schädel musste Hal auch nicht ausgraben, sondern nur finden. Gately hilft ihm dabei, denn der Geist von Hals totem Vater hat ihn dazu instand gesetzt, Hal zu helfen. Hal sagt das am Anfang. Was auch immer das, wenn man am Ende dieses Romans angekommen ist, sein mag. Die ersten Seiten? Das erste Kapitel? Das liegt – betrachtet man die Romanchronologie und die Zeit, in der überwiegend die Handlung stattfindet -, in der Zukunft. Wiedergänger kommen aus der Zukunft. Der Tod ist ihre Erfahrung.

26. November f.

29. November 2009 |

26. November

5.30. Gehtsokaffee. Zehnkiloaugenlider. Im Großraum Richtung Berlin. Wenns hier gleich ein bisschen kracht, bin ich auf den Lepptopp gefallen. Noch sechs Stunden bis Axel. München verschwimmt im Grau des Gedächtnisses, in das es gehört.
Gately versucht sein Leben zu retten, in dem er sich erinnert. Oder ist das Ganze hier eine verlängerte Schussfahrt in den Tod. Man soll sich ja an alles erinnern, bevor man im Hades ersäuft. Gately hieß Gunny, damals in der Schule „Großer Unzerstörbarer Nullchecker“ (hießen die tatsächlich schon Checker in der Schule der frühen Siebziger? Kerl, hingen wir dann aber hinterher!). Einen riesigen Schädel hat er, das wussten wir ja schon, auch dass er seinen Schädel gegen alles mögliche gebumst hat, wussten wir. Dass er’s für Geld und gute Wetten tat, wussten wir noch nicht. Ein netter Kerl war er wohl nie. Dabei hatten wir ihn allmählich doch so ins Herz geschlossen. Kurzabriss seiner Drogistenkarriere: 1. Joint mit 9, 1. Rausch mit 9 und dann gings weiter. Dass ADS diagnostiziert wurde bei ihm, überrascht nicht sehr. Mit 13 die ersten Quaaludes, von dem ich mir gar nicht vorstellen mag, was es ist. Einen ganzen Lebensabschnitt nennt er, wenn ich das richtig mitbekomme, Ära des Angriffs der Killer-Gehwege, wahrscheinlich wg. drogenbedingter Fallsucht nach mnemonischem Brownout. Gately ist hammerbegabt für Football, das tut er tagsüber, nach 18 Uhr tut er drogen. Irgendwann wird er sich sagen, irgendwo in der Welt sei immer 18 Uhr und dann ist Feierabend. Die Drogenbeichte geht weiter und schleppt sich relativ berechenbar durch die Jugend. Als Gunnys Mutter, die in einem Jahr auch mehr Alkohol zu sich genommen hat, als meine Leber bis zu ihrer Berentung braucht, mit zirrhotischer Hämorrhagie in die Klinik kommt, ists vorbei mit der Footballkarriere.
Schnitt. Hal in der E. T. A. Bin ich müde, verschwimmen meine Augen. Das ist doch fast derselbe Ton, in dem Gunny durch seine Jugend stolpert. Postpubertäre Mutwilligkeit. Immer wieder halten Schüler ihre Köpfe herein. Pemulis zum Beispiel, der zu der einzigen Sache im Zimmer wird, die sich als grundlegend vertikal begriff. Ich langweilte mich. Ich wusste nicht, wann er mich je gelangweilt hätte. „Und ich habs grad nicht nötig, dass du Verführungsrhetorik gegen mich in Stellung bringst.“ Hal redet mit Pemulis, ich mit DFW. Es wird ein Streifen Fleisch am Fenster gefunden. Stirn des Schattens. Hal erinnert sich an die Beerdigung des Storchs und wie C. T. von einer Möwe beschissen wird, und referiert den Inhalt einer der beliebten Storchenpatronen.
Schnitt. Gatelys Hadesfahrt geht weiter. Seine kriminelle Truppe rottet sich zusammen mit Gene Fackelmann für Whitey Sorkin. Die Twin Towers. Erst jetzt, steht da, sei er mit echter Sucht in Kontakt gekommen. Ja, was war das den bisher. Gottogott. Fackelmann könnte sich auch prima bei den Rollis für technische Vernehmungen bewerben (was machen die eigentlich im Moment, die wollten doch die Incandenzas überfallen, statt dessen sind wir hier in der Traumaabteilung). Fax Fackelmann und Gunny Gately sind so was wie Schutzgeldengel und Raubvögel von Mr. Sorkin. Nicht wahnsinnig interessant. Gately erzählt von Dilaudid, von dem Fax abhängig ist, und das eine „schreckliche, fünf Sekunden andauernde mnemonische Halluzination erzeugte, in der er ein gargantueskes Kleinkind in einem Fisher-Price-Gitterbett im XXL-Format au feinem sandigen Feld unter einem Sturmwolkenhimmel war, der sich wie eine große graue Lunge wölbte und schrumpfte“. Wieder mal alles drin in einem Satz und alles zuviel. Das ist das große Buch der Verschwendung.
Krach. Es reicht für heute Vormittag. Muss noch Juli Blesken lesen. Darf Julia Blesken lesen. Ein Zehntel vom Spaß. Dorfgeschichte. Ausgesprochen großartig.

27. November

13.30. Großraum über der Dutschkestraße. Feuerwerksmusik. Irgendwas Leuchtendes muss dieser Tag haben. Das heißt, so trüb ists auch wieder nicht: Gerade erklärt dieser Minister Wiehießernochgleich, dass seine Leute Mist gebaut haben, seine Leute, tja, da kann man halt nix machen, wenn die eigenen Leute Mist bauen, und deswegen geht er jetzt vonwoauchimmerergerade gearbeitet hat (was war er nochmal). Das dürfte neuer Rekord sein. Manchmal möchte man sich schon an die Gegenwart nicht mehr erinnern.
Gately schlendert weiter durch sein Leben Richtung Hades. Gerade ist er dabei gefälschte Führerscheine für Massachussetts zu laminieren. Was man im Leben so alles tut. Und von einem Punter ist die Rede, der wahnsinnig begabt sei (Orin?) und der was werden könne, wenn er bloß „die Karotte im Auge“ behalten würde. Trennt der tatsächlich Tonfälle oder geht das munter durcheinander. Müsste man noch mal, wenn man Zeit hätte. Gunny Gately kommt in den Knast. Michael Pemulis sucht verzweifelt nach einem Schuh. Fax Fackelmann bescheißt Whitey Sorkin. Und ich frag mich, wo das hin gehen soll. Von Schlusssteigerung kann jedenfalls gegenwärtig keine Rede sein. Bobby C taucht auf, den wir, wenn meine nebulöse Erinnerung nicht täuscht als einen hipphoppenden Erzähler mal hatten. Gately gerät in eine moralische Klemme und unter die pflegenden Hände einer sehr kurvoiden Schwester, die allerdings, das tötet tatsächlich alle erotische Fantasie, ihm gerade einen Einlauf gemacht hat. So was von erniedrigend. Und er gesteht, dass er noch nie mit einer wirklich gesunden, nie mit einer irgendwie nüchternen Frau… Was für eine Bilanz. Bei der Visite parliert der AiPler tolles „Schauderwelsch“. Schauderwelsch! Danke, Ulrich Blumenbach. Die sexuelle Spannung nimmt zu. Und der Schmerz bleibt: „Es ist, als hätte seine Schulter eigene Hoden bekommen, denen ein winziger Kerl bei jedem Herzschlag einen Tritt versetzt.“ Auweia.
Tote gemüsifiziert zu nennen, ist immer noch sehr lustig. Auch eine Sportsbar als „Katerschmiede für Schlechterverdienende“ ist nachgerade genial. Sonst geht alles seinen Gang, wankt zwischen Gestern und Gegenwart hin und her. Pamela Hoffman-Jeep schemt auf. Auch so eine Hochgrad-Alkoholikerin, entweder sie ist hackedicht oder sie ist hackepassiv, was beides auf das Gleiche hinausläuft. Dann geht es noch um einen fatalen Verhörer bei einem Wetteinsatz und alles geht drunter und drüber.
14.30. Gehtsokaffee. Das SchMaZ hat nach den jüngsten Ereignissen fünf Chefs in einem Jahr. Das hab ja bis jetzt ich nicht geschafft. Drunter und drüber. Ein ruhiges Jahr wär auch mal schön. Frohe Weihnachten.

22. November ff.

28. November 2009 |

22. November

7.30. Dunst hängt an den Hängen der Sackpfeife (so heißt der höchste Berg hier tatsächlich). Hell wird’s hier heute nicht mehr. In den lakritzigen Straßen ist kein Mensch zu sehen. Wahrscheinlich bin ich der einzig Überlebende einer Katastrophe. Wie Will Smith. Aber der war in Kalifornien (Kalifornien? New York?), ich bin in Biedenkopf. Welche Herde heiliger Rinder hab ich in meinem früheren Leben eigentlich überfahren? Apropos. Nachher fahr ich über die Sackpfeife nach Hause. Sackpfeife, die höchste Erhebung der Umgebung.
Falls sich wer gefragt hat, wo denn die Rollis hin sind. Hier sind sie wieder. Sie foltern einen Ohneheimmann (vulgo: Penner), bei dem sich augenscheinlich um Poor Tony handelt. Und sie wollen die E. T. A. überfallen. Die Incandenzas entführen. Beim Tennisturnier. Oder vorher. Gately träumt derweil von Joelle van D. Ein ziemlich feuchter Traum, der allerdings in der gruseligen Vorstellung endet am oberen Ende des ziemlich astraligen Körpers von Madame Psychosis befinde sich hinter dem Schleier das Antlitz von Bullogge Churchill. Dann irrt die Erinnerung zur alten Nachbarin Frau Waite, die alle als Hexe bezeichneten. Auch das trägt alle Anzeichen eines Alptraums. Dann vermischen sich die Alpe und Joelle steht in Mrs. Waites Küche, splitterfasernackig, unbeschleiert und mit dem Gesicht eines Engels. Ist aber der Tod. Und die Mutter. „Der Tod erklätr, dass der Tod einem immer wieder passiert“, was mich jetzt sehr beruhigt. Und die Todbringer sind die Lebensspender, die Moms, weswegen sie einen dann im andern Leben geradezu zwanghaft lieben. Und Joelle sagt: Warte.
Hal erzählt zur Abwechslung mal in der Ich-Form. Hatten wir auch lange nicht. Und ob ich das so gelungen finde, naja. Es geht aufs Spiel gegen die Kanadier zu. Und schneit vom Himmel hoch. Draußen geht nichts mehr. Die Anrufbeantworter von Hal und Pemulis konnektieren. Schnitt. „Als das empyreische Gesicht dem Kochweiß der Traumaabteilung weicht“, verwirrt Don, dass Joelle schon wieder da ist, hinter einem himmlischen Hellviolett. Sie kümmert sich rührend und erzählt dafür noch ein paar Döntjes über das Leben in Ennet House und isst Küchlein, die eigentlich für Don gedacht waren, und erzählt von einem Treffen in der St. Columbkill und wie da ein Kerl namens Wayne (John W.?) von seinem blutbrutalen Papa und dem Grund für eine Gesichtsschrunde. Joelle erzählt von ihrem Ausstieg, Gately kontrapunktiert das mit Erinnerungen an seine kalten Entzüge.
Gibt’s hier Drogen? Garantiert. Die weichen (Bierbierbier, wenn Biedenköpfer im Kreis stehen, kolportiert Thome, ist im Zentrum keine Frau, sondern ein Fass) und die harten. Anders hält mans hier… Stille Tage im Klischee.

23. November

21.30. Zurück am Wasser. Nochmal Traminer. Wenns weiter so warm bleibt, kann ich bald die Primeln im Garten wieder von oben besichtigen, vier Monate vor der Zeit. Ich muss allmählich mal wieder ein Buch lesen, in dem keiner auf der Intensivstation liegt, keiner in die Bewusstlosigkeit hinein- oder aus ihr herausdämmert. Hab gerade nochmal Kathrin Schmidt absolviert, parallel dämmert Don weiter vor sich hin. Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen. Schmidts Helene wacht auf, Don taucht ab.
Er entzieht, er schiebt den Affen. Den Vogel. Er musste um jede Sekunde eine Mauer bauen, um sie ertragen zu können. Muss ich nicht haben. Halbtrockene Traminerabhängigkeit reicht völlig. Der Vogelschmerz ist schlimmer als der Angeschossenschmerz. Er ist geschult also im Schmerzen. Er stillt ihn mit Verweilen. Er sitzt ihn aus. Weil er sich nicht wehren kann, muss er Joelles Familienalbum aushalten. Don will sich immer wieder einmischen, will verweilen, schafft es aber nicht. Er fantasiert schmutzelnd vor sich hin, verliert sich in Selbsttäuschung, verdreht die Augen und lässt sie so. Szenische Verdichtung sieht auch anders aus. Reine Verschwendung dieses Buch.
Hal verschwendet auch sein Talent. Tennisnachwuchsstar möchte man, Lehre 459 aus dem Spaß, nicht werden, niemals nicht und auch nicht die Kinder werden lassen: „Viele Spitzenspieler steigen morgens mit einem kurzen Weinanfall ein und sind für den restlichen Tag dann frisch und munter.“ Er katzenwäsch sich und findet Orth „den Schatten“ Stice am Fenster. Draußen ist es scheißekalt, der Schnee fällt. Orth erzählt einen Witz, die Seiten verfliegen. Wir sehen draußen einen Typen im Schnee. Hal und Orth verzällen sisch was. Da fragt Hal Orth dann endlich was mit dessen Stirn los sei. Irgendwas ist faul. Er klebt am Fenster fest. Mit der Stirn. Seit Stunden. Er reißt. Das macht ein hässliches Geräusch. Hal reißt mit. Ich würds ja mit warmem Wasser versuchen. Dafür ist Hal aber zu intelligent. Fällt mir gerade eine schwedische Geschichte ein. Mikael Niemi hieß der Autor, „Populärmusik aus Vittula“ das Buch. Von einem Finnschweden, der im Himalaya am Joch eines Passes einen Stein küsst und mit den Lippen festfriert. Er verzweifelt fast, dann macht er eine ganz besondere Urinprobe. Hat Hal nicht gelesen. Sag ja immer: Romane helfen Leben retten. Troeltsch schon. Der sagt abtauen. Und faselt weiter im Radioreporterton. Wir befinden uns in der Mitte der Zielgerade dieses Dickleibers und der faselt hier von festgefrorenen Stirnen, als hätte er noch alle Zeit der Welt für den Showdown. Es gibt doch einen Showdown. Der kann uns doch nicht mit diesem Fadenknäuel allein lassen. Kann er doch. Kann er doch.

24. November

16.25. Großraum, der keiner sein will, wie jemand ganz wichtiges mal gesagt hat. Stünden zu viele Regale drin. Und Bücher. Tja, diese Bücher. Sind schon ein ernstes Problem. In einer Literaturredaktion. Gehtsobeutelkaffee. Relative Geräuschlosigkeit dank Gummistopfen in den Ohren. Sonst kann man hier ja…
Wir sind wieder in einem anderen Großraum. Mit Ich-Hal in der Nasszelle der E. T. A. (warum Hal jetzt selbst erzählt, hatte ich mich schon mal gefragt, muss das hinterher mal nachlesen). Herr Kenkle taucht auf. „Technisch schwarz, m. a. W. negroid, aber genau genommen eher vom gebrannten Sienaton eines verdorbenen Kürbisses.“ Möchte man auch nicht in der Dusche begegnen. Er hat auch sonst ein paar Fehler und hätte in den ungeschriebenen Annalen der E. T. A. bleiben können (vielleicht wird er ja noch gebraucht, aber ich fange an alles unsinnige Zeug ähnlich aufs Ende zu projizieren, wie das die Harry-Potter-Abhängigen mit den ebenfalls viel zu vielen Figuren der J. K. Rowling taten). Obwohl, jetzt zum Ende hin, wird’s wieder gut. Stice schreit vom Eise befreit. Kenkle will fröhlich sein. Hal sagt: „Meine Güte.“ Geht zum Fenster, will sein Spiegelbild überprüfen. Draußen ist es hell. „Ich kam mir silhouettenhaft und blass vor, tastend und geisterhaft vor all dem gleißenden Weiß.“
Schnitt. Wir hören einen Mitschnitt eines Meetings diverser bedeutender Freakfiguren um Mr. Rodney Tine sr., Chef der unspezifizierten Dienste & Berater des Weißen Hauses in Sachen interdependente Beziehungen. Man mmmpft, man niest, man findet Boston scheiße, man begrüßt sich. Und man diskutiert über einen Spot, der verhindern soll, dass die tödliche Patrone allzu viel Schaden anrichtet. „Wollen Sie vielleicht, dass das Jahr des Glad-Müllsacks das Jahr ist, in dem die halbe Nation nur noch mit Glupschaugen mit kleinen Spiralen drin eine üble Patrone anstarrt, bis sie irgendwann verhungern mitten in den eigenen Exkr-?“ Es wird geklopft, es wird Schleim hochgezogen, es wird geniest, es wird vom tänzelnden Esel erzählt, der Hauptfigur des Spots, der voll funktionsfähige Phil, der tänzelnde Esel. Ein erschreckender Spot. Ein aufwühlender Spot. Ein Spot, der Albträume schafft. Mr. Yee (der auch dabei ist, Direktor für Marketing und Produktwahrnehmung, Glad Flaccid Receptable Corp.): „Örgel. Örgel örgel. Splarg. Kaa. (Fällt vom Stuhl.)“
Kann Gately nicht. Der liegt noch in der Traumaabteilung. Erinnert sich an „Cheers!“ Wenn ich mich bloß daran erinnern könnte. Bin glaube ich zu alt dafür. Das kam mir nach Dt. Zu Besuch ist jetzt Ferocious Francis. Gately macht sich mit Notizen verständlich. Nochmal wird die Geschichte vom Überfall und von Lenz aufgebrüht (geh mal Kaffe holen). Der Doc kommt. „Inder oder Pakistani, von dunklem Glanz, aber mit so einem eigenartigen klassischen Weißengesicht, das man sich ohne Probleme im Profil auf einer Münze vorstellen kann, plus Zähnen, bei deren Strahlen man lesen könnte“. Gemein, aber gut.
Mit einer gewissen Grausamkeit pult er in Gatelys entgifteten Wunden. Schmerz ist schlimmer als gestern, gell? Arschloch. Und dann hält er ihm wie dem Kaninchen die Möhre vor die Nase Schmerzmittel vors Gehirn. Titriertes Hydromorphonhydrochlorid zum Beispiel Gately erschauert. Dilaudid. Fackelmanns Untergang. Der Ritz-Cracker des Todes. Doktor Hölle schwafelt weiter, dass er Muslim sei und keine Medikamente und so weiter, dass er aber, wenn er und so weiter, dann auf jeden Fall. Gately ist zu bedauern. Dass Don alles durch hat, was immer er ihm vorschlägt, und hinter sich, dass er auf keinen Fall wieder das Zeug haben will, das kommt durch seien perlweißen Zähne nicht in seinem Hirn an. Für jedes Giftzeug ein anderer Spitzname. Lauter tödliche Schätzchen.
Die Klingel geht. Muss das gruselige Spiel unterbrechen. Ein andres gruseliges Spiel beginnt. Konferenz.

25. November

18.15. An der Isar. Gleich geht’s los zu Kathrin Schmidt. Soll spröde sein. Schien mir nicht so in Frankfurt. Wird schon. Wasser. Müsste noch was essen. Hab aber keine Zeit. Und morgen früh geht’s um viertel sechs wieder zurück. Schadet nichts.
Der Paki, Mefistofeles der Traumaabteilung, versucht Don Gately zur Vernunft zu bringen und seine „couragierte Angst vor der Sucht“ aufzugeben. Bei der Vorstellung allerdings an Talwin zum Beispiel „bringt Körperteile zum Sabbern, deren Sabberfähigkeit Gatley unbekannt war“. Warum soll er widerstehen? Weil er dann wieder in die hinterste, heißeste Hölle fällt, die er gerade erst verlassen hat. Der Paki faselt weiter. Gately verliert die Fassung, greift durch die Gitter prägnant in die Cojones des Pharmakologen. Tut weh. Der Paki zeigt „alle 112 Zähne“. Draussen geht herrlich die Sonne auf.
Demerol. Don erinnert sich an Demerol. An den gebärmutterwarmen Kick. An den ästhetischen Kick. Den glatten, geordneten, den köstlich symmetrischen Kick: „Der Geist schwebt leicht im exakten Mittelpunkt eines Hirns, das gepolstert in einem warmen Schädel schwebt, der seinerseits perfekt zentriert auf einem Kissen weicher Luft in halslosem Abstand über den Schultern ruht, und drinnen herrscht nichts als schläfriges Summen.“ Das ist immer das Problem beim Beschreiben von Drogenerfahrungen. Sie haben so ein gefährliches Glitzern. Wer könnte nicht manchmal genau so einen Kick gebrauchen? Hin und wieder. Gately träumt von Ipswich und einer Krankenschwester, die er beschläft, ohne dass sie irgendwie auch, weil sie um den Höhepunkt zu erklettern, mit einer Zigarette verbrannt werden muss, weswegen Gately versucht, das Rauchen sein zu lassen. Wir durchleben die Demerol-Karriere des Don Gately, bis Don Besuch bekommt, der ihm die Neuigkeiten von XY-ungelöst in Ennet House erzählt. Gately erlebt eine negative Epiphanie. Die Krankenschwester bringt eine Pfanne, eine Bettpfanne. Und Gately zitiert das Gelassenheitsgebet. Und Gately drückt. Und Hal bekommt Panik. Es überfällt ihn. „Alles hatte zu viele zu viele Aspekte… Die Welt wirkte plötzlich fast essbar, wartete auf den Verzehr. Die dünne Lichthaut über dem Firnis der Scheuerleisten… Eine Art Schatten flankierte die lebhafte Klarheit der Welt“. Depression? Epiphanie? Er sieht das ganze lange Elend seines Lebens vor sich. Er legt sich hin. Großartige Passage. Ein Hirn, eine Seele wird erschüttert, wankt, bröckelt. Und versucht sich mühevoll, aber randirre der Realität zu versichern. Immer wieder steckt jemand seinen Kopf ins Zimmer. Irgendwie geht’s draußen weiter und bei Hal zu Ende. Bewusstseinsverlust. Kollaps. Das Hirn faselt herum. Wundert sich, dass manche sich jahrelang für ein einziges Thema interessieren kann. Die Moms, wie sie Hal beschreibt, erinnert fatal an die fatale französische Halbriesin auf Harry Potter. Hal liegt auf dem Boden. „Die Horizontalität stapelte sich um Mich. Ich war das Fleisch im Sandwich des Zimmers… ich fühlte mich dichter zusammengesetzt, jetzt wo ich horizontal war. Nichts konnte mich umhauen.“
Jetzt muss ich aber los. Noch 115 Seiten. Noch fünf Tage. Und was mach ich dann? Weiterlesen. Einfach weiterlesen.

was der Tod sein könnte

28. November 2009 |

Wir sprechen mit den Toten. Alles ist, wenn Hamlets Geist erscheint, in Nebel gehüllt, past midnight, bitterly cold, and dark except for the faint light of the stars. Widergänger gibt es in diesem Roman einige. Ihnen geht es um Wahrheit und um den Tod. Unendlicher Spaß ist auch der Versuch eines Exorzismus. Auch die Wildhamster kehren zurück. Außerhalb der E.T.A. ist die Apokalypse längst da. Und sie kommt durch die Keller.

Wildhamster – die in Sachen mitternächtlich haarsträubende Konkavitätsschauermärchen bammelmäßig ganz oben rangieren neben kilometergroßen Wickelkindern, schädellosen Geistern, fleischfressender Flora und Sumpfgas, das einem die Gesichtshaut wegätzt und einen für den Rest des Zombielebens mit freiliegender grauroter Fazialismuskulatur rumlaufen lässt – werden südlich der Lucite-Mauern und ATHSCME-Kontrollpunkte, die die Große Konkavität abgrenzen, kaum je gesichtet und nur alle Jubeljahre mal südlich der neuen Grenzfestung Methuen, Massachusetts, deren Handelskammer den Slogan »Der erste Stadtneubau der Interdependenz« aufgebracht hat, und sie sind, ohne Blott jetzt zu nahe treten zu wollen, kaum je solo anzutreffen, sondern gehören zu den räuberischen heuschreckenartigen Schwarmkreaturen, die kanadische Agronomen als »Piranhas der Prärie« titulieren.

Wichtiger scheinen die „schädellosen Geister“. Aber wo sind die Schädel hin? Werden sie in Mikrowellen zerfetzt? Blott versucht in der E.T.A. einmal, eine „sperrige alte Mikrowelle ohne Tür“ wegzuräumen. Sie ist ihm zu schwer und er lässt sie fallen.

Gately liegt im Krankenhaus und fiebert. In seinem Traum steht nun eine große Gespenstergestalt an seinem Bett. Eine Brille, ja, aber mehr vorerst nicht. Der Geist spricht, beruhigend; er scheint etwas müde und verdrießlich. Dann sieht er einmal, im Traum, ein „beeindruckendes Büschel Nasenhaare“. Die Stimme des Geistes, so erklärt dieser, ist eigentlich keine, sondern die Hirnstimme Gatelys.

Hal, so Schtitt mehr als einmal, ist ein Geist, ein Wiedergänger, der kommt, um die (noch) Lebenden das Fürchten zu lehren (heißt Schtitt eigentlich wirklich Schtitt? oder ist er selbst nur ein notdürftig durch Fehlschreibung maskierter Fluch?). Der Wunsch, ein Fluch zu sein. Um wenigstens irgendwas zu sein. Von dem, was übrig geblieben ist. Hal bleibt nicht liegen am Ende des Romans. Danach kommt ja noch der Anfang. Vielmehr geht es bei ihm wie bei Gately um den Tod und die Sucht und den Sog, dem man sich überlässt, widersteht, mit dem man kämpft, aber erst kämpfen kann, wenn man gelernt hat, ihn zu fürchten. Und diese Furcht durchdringt alles.

Hal zögert, scheinbar. Denn eigentlich ist er nur auf Zermürbung aus. „Er sondiert und pickt herum, bis sich ihm ein Zugang öffnet.“ Die Rede ist von Tennis. Eigentlich. Wohin aber könnte dieser Zugang führen? Ins Spiel? Zurück ins Spiel, überhaupt ins Spiel? Zugang, um mit anderen in Kontakt treten zu können? Geister haben in der Regel keinen Zugang mehr zum Leben. Wiedergänger sind für Heimsuchungen zuständig, d.h. sie kehren an einen Ort zurück, zu Menschen, mit denen oder dem sie, als sie noch lebten, in Verbindung gestanden haben. Das Ziel der Heimsuchung ist meist nicht klar zu bestimmen. Diese Unschärfe charakterisiert vielmehr das Wesen einer Heimsuchung.

Doch nicht nur das, Schtitt nennt Hal „seinen“ Wiedergänger. Robert H. Bell (with William Dowling: A Reader’s Companion to Infinite Jest) erklärt den Ausdruck mit Hals Fähigkeit, wieder ins Spiel zurückzukehren und zwar auf so spektakuläre Weise, als würde er von den Toten auferstehen. Also so ähnlich wie später im Roman im Spiel gegen Ortho Stice. Zweifelhaft, ob das als Erklärung hinreicht. Denn sie sagt noch nichts darüber, aus welchem Jenseits demnach Schtitt spricht, wenn er in Hal seinen Wiedergänger erkennt.

Ein paar hundert Seiten später. Hal muss das Überkopfschlagen trainieren: „Tipp & Klopp.“

Nach zwanzig solchen Schlägen schnappen Hal und Coyle nach Luft, können kaum noch stehen und sollen die als unermüdbar bekannten Wayne und Stice mit Lobs füttern. Bei Überkopfschlägen muss man um sich treten, um in der Luft nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Über ihnen setzt Schtitt mithilfe eines unverstärkten Megaphons und sorgfältiger Aussprache jedermann in Hörweite darüber in Kenntnis, dass Mr Wiedergänger Hal Incandenza den Ball bei den Überkopfschlägen das kleine bisschen zu viel hinter sich lässt, vielleicht aus Angst um den Knöchel. Ohne aufzusehen, hebt Hal zur Bestätigung den Stock.

Das scheint von Schtitt zweifellos als Demütigung gemeint, natürlich auch als disziplinierender Ansporn. Hal ist nicht unermüdbar, sondern ganz das Gegenteil. Für Schtitts Geschmack quält er sich nicht genügend. Er denkt lieber an seinen Knöchel und umsorgt ihn. Hal stimmt ihm zu. Junge göttliche Gestalten mit schlimmen Füßen kennt die Literatur noch mehr. Außerdem ist Hal längst dabei, sich in seine Einzelteile aufzulösen. Der Knöchel, das Bein, das Muttermal, usw. Alles steht für sich selbst. Nichts gehört ihm selbst. „Umgeben von Körpern und Köpfen.“

„Benutzen Sie einen Kopf“, sagt Schtitt. „Sie sind nicht Arme. Arm ist im wahren Tennis wie Rad an Fahrzeug. Nicht Motor. Beine: auch nicht. Wo ist, wo man sich bewirbt um Bürgerschaft in zweiter Welt, Mr Bewusstsein vom Knöchel Incandenza, unser Wiedergänger?“

Hal ist nicht Arm, nicht Knöchel, nicht Bein, vielleicht nur ein Kopf? Schtitts Frage kann man versuchen auszubuchstabieren: Wo ist unser Wiedergänger? Was meint Schtitt eigentlich mit zweiter Welt? Ist das die, in der wir Hal als Wiedergänger erleben? Was wäre dann seine erste? Aber noch geht es nur darum, so Schtitt, sich um die Bürgerschaft in dieser zweiten Welt überhaupt zu bewerben. „Where is where you apply for citizenship in second world Mr. consciousness of ankle Incandenza, our revenant?“ Schtitt geht aus vom Gebot, dass man (eigentlich) derselbe bleiben und sich nicht, wie der Wiedergänger Hal oder das Tennis-Chamäleon David Wallace als 15jähriger, allen Widrigkeiten anpassen soll. Schtitt meint es aber durchaus grundsätzlicher. Man muss sich die zweite Welt – das könnte etwa die des Erwachsenwerdens sein – erarbeiten.

Hal, der Wiedergänger, geht vor und zurück, letzteres zu spät, aus Rücksicht auf seinen Knöchel, aber das könnte es danna uch schon sein. Doch Hal hat ja noch eine Antwort auf Schtitts Frage und die erinnert allzudeutlich um ein für diesen Roman zentrales Behältnis. Er sagt: „Kopf.“

(Fortsetzung folgt)

21. November

27. November 2009 |

18.30. Biedenkopf. Richtig. Biedenkopf. Besser bekannt als Bergenstadt aus Stephan Thomes Roman. Deutsche Literaturhauptstadt. 32 Kilometer nirgendwowärts von Marburg. Umstellt von Hügeln. Kaffigstes Kaff. Wobei… Im November und im Nieselregen auch New York durchaus sehrsehr hässlich sein kann. Von Berlin mal ganz zu schweigen.
So allmählich gehört mein Spaß auch auf die Traumaabteilung. Ganz schön verschrundet. Eine Schusswunde hat er nicht. Kann ja noch kommen. Überfall, ein Mann schießt und die Kugel bleibt im Spaß hängen. Das wärs noch.
Zurück zur Freakshow. Calvin Thurst, der unpsychologische Psychologe faselt immer noch hinter den Ereignissen her: Dass eine gigantische Ladung Patronen in Ennet-House angelangt ist, dass Tiny Ewell irgendwie anders aussieht, dass wer Küchlein für Gately gebacken hat, dass man hinter ihm stehen würde, dass die fehlende Wumme ein Problem wäre. Gately will wissen, ob er denn nun jemanden umgebracht hätte, kann sich aber nicht artikulieren. Das liest sich ein bisschen wie Kathrin Schmidts „Du stirbst nicht“ auf Speed, diese kranke Krankenhauspassage. Dann geht die Sonne unter. Blutrot. „Die Heizungsventile klingen wie das leise „Pst!“ von Eltern in weiter Ferne. Wenn es draußen dunkel wird, fängt die Decke an zu atmen. Und so weiter.“
Gately schläft ein. Gately wacht wieder auf. Und ein anderer Ennet-Häusler sitzt da, wo der unpsychologische Püschologe eben noch saß. Geoffrey Day (hatten wir den schon? Hab ich Alzheimer?). Und auch der verzällt jetzt Döntjes aus seiner Jugend. Ein Gespenst entnebulösiert sich allmählich. Gatelys Lieblingsalptraum sagt kurz Hallo. Gately schläft und wacht auf und Day ist weg. Der Tag auch (blöder Scherz). Gately erinnert sich auch an seine Jugend. Ein Geist stellt sich vor, „ein schlichter, alter Geist, ohne Groll oder Hintergedanken, ein ganz normaler Feld-Wald-und-Wiesen-Geist“. Das muss ganz schön anstrengend sein, so Geist. Unser jedenfalls ächzt, dass er verdammt lange ausharren musste, um Gately zu konnektieren. Die Träume verschachteln sich. Gately möchte schreien, kann aber nicht, weil da dieser Schlauch ist. Der Geist erzählt so ein bisschen wie das Geistsein so ist und geht. Im Grunde, sacht er, existieren Geister in einer ganz anderen heisenbergschen Dimension der Kursänderungen und Zeitverläufe. Tja, das hätten wir uns, hm, auch so gedacht. Plötzlich knallen Gately Worte durchs Hirn, Worte, die er „so nötig hat wie ein Beinamputierter ein Paar Schuhe“. Acciaccatura (meint der evtl. Accacciatura?) oder Kataleptiker oder Armer Yorick (Shakespeares Hamlet im US wird wohl die meistgeschriebene Seminararbeit im amerikanischen Universtiätswesen werden). Die Worte versirren, Gately wird fast wahnsinnig. Der Geist ist wieder da. Eine Art epiphanierte Heimsuchung von Gatelys missverstandenem Gott. Solche Beschreibungen werde ich dann doch vermissen. Der Geist erklärt, wie sich Geistsein anfühlt und hat schreckliche Nasenhaare. Man fachsimpelt über die Figuranten in der in Deutschland nicht ganz so berühmt gewordenen Serie „Cheers!“ und philosophiert herum. Und irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, bei dem nasenhaarigen Geist handelt es sich um Jim „der große Storch“ Incandenza. Der erzählt von seinem verstummenden genialen Sohn. Den er versuchte durch Unterhaltung zum Reden zu bringen. War das die Geburtsstunde der tödlichen Patrone? Und dafür sei er dann 89 Tage trocken geblieben. Die 89 letzten Tage seines Lebens.
Merkwürdig, wieviel Gately von seinem Bett aus sehen kann, obwohl er seine Stirn kaum über das Niveau seiner haarigen Beine kriegt. Muss ein seltsames Bett sein.
Gately taumelt wieder ab zu Mum und Psycho-Stief-Dad, der Listen führt über die Heinekens, die er am Tag so trinkt. Zwischen Heineken8 und Heineken10 nimmt er sich Gatelys Mum vor. Psycho-Stief foltert dann auch Fliegen und DG macht sich Vorwürfe, die nicht gerettet zu haben. Und er hat Schmerzen. „Es ist, als würde ein großer Holzlöffel ihn ständig unter die Oberfläche des Schlafs drücken und wieder hochlöffeln, damit etwas Riesiges ihn probieren könne, wieder und wieder.“
Widerlich. Geh jetzt essen. Kartoffelbrodd heißt hier das herbstliche Hauptgericht. Der Chinese am Ort heißt „Reich der Mitte“. Ab durch dieselbe.

Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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