$theTitle=wp_title(" - ", false); if($theTitle != "") { ?>
Ein Genre folgt auf das nächste. Der Teenager Hal könnte der Protagonist eines Bildungsromans sein, der Abschnitt im Umkleideraum der Enfield Tennis Academy erinnert an einen klassischen Internatsroman, gleichzeitig gibt es auf den ersten zweihundert Seiten einige Stellen, die einen Familienroman andeuten. Man findet essayistische Absätze, Lehrbuchprosa und kleine enzyklopädische Abhandlungen, und dann ist da natürlich der Science-Fiction-Rahmen, über den in diesem Blog schon einiges geschrieben wurde.
Richtig gut gefällt mir die doch recht beliebte Spiel mit den Genres in der Literatur allerdings nicht, und auch David Foster Wallace hat mich noch nicht ganz überzeugt. Zunächst einmal liegt der Verdacht nahe, dass ein Autor, der immer wieder von einem Genre ins nächste wechselt, unbedingt Könnerschaft ausstellen möchte. Das wirkt dann doch eitel. Darüber hinaus verleitet dieses Verfahren zur Parodie, und das hinterlässt bei mir dann jedes Mal ein schales Gefühl. Ich mag zum Beispiel Agententhriller, und wenn ich in diesem Roman jetzt die Passagen mit Steeply und Marathe lese, die mit ihren taktisch bis zur Unverständlichkeit reduzierten Dialogen und ihrer Jack-Bauer-meets-Bill-Hegel-Philosophie genau dieses Genre auf groteske Art imitieren, fühle ich mich irgendwie um meinen Spaß gebracht. Auf den ersten Blick deutet alles auf gute Unterhaltung hin, aber dann ist gar nicht so gemeint. Und ich soll dann auch noch darüber nachdenken, wie toll das gemacht ist?
Aus dem Literaturhaus und Barbara Bongartz zurück. 0.30 Uhr. Warme Milch. Der Sommer ist vorbei. Gewitter zieht auf. Fußnoten. Jetzt doch die Fußnoten. Es sind gar nicht soviele. Hab ja hinten nicht nachgesehen bisher. Bloß 120 Seiten.
Mit Bongartz über das Fußnotenproblem gesprochen. Die hat einen Roman in Fußnoten verpackt, so verpackt, dass man ihn fast nicht finden konnte. Deswegen les ich jetzt auch meinem Fußnotenstand von gut 40 hinterher. Könnte ja sein, dass sich hier auch noch ein Roman in den Fußnoten versteckt. Wenn dass der Fall sein sollte, findet er auf den ersten 16 Fußnotenseiten jedenfalls nicht statt. Der fast befürchtete postmoderne Schachteltraum allerdings auch nicht. Eigentlich findet gar nicht viel statt. Ein bisschen Vertiefung angelegter Erzählflächen, ein bisschen Verschärfung des Blicks. Man erfährt, das E. T. A.-Gebäude ist valentinsherzförmig von oben, das kann, muss aber nix heißen. Man erfährt, dass junge Tennisspieler eher keinen Alkohol trinken (das hatten wir geahnt, weil es sich besonders schlecht mit den anderen Medikamenten verträgt auf dem Court, die sie laut DFW sonst so einwerfen vor dem Spiel). Ansonsten blättert DFW voller Inbrunst in seiner Roten Liste und wir wissen jetzt, dass es Meperedin gibt und diverse Lowtech-Manipulationen des Benzolrings in Psychedelika der Methoxy-Gruppe. Und wir wissen endlich, welche Filme James Orin Incandenza, der meister der Antikonfluentiellen Aprésgarde, gedreht hat, womit, wann, mit wem und welchem Inhalt. Das geht los mit „Käfig“ bei Meniscus Films. ½ Minute lang. Eine „monologische Parodie eines Fernsehwerbespots für Shampoos unter verwandeung von vier Konvexspiegeln, zwei Planarspiegeln und einer Schauspielerin“. Schöne Titel „Das amerikanische Jahrhundert aus Sicht eines Pflastersteins“ oder „Blutschwester. Eine taffe Nonne“ oder „Attraktive Männer in kleinen durchkonstruierten Zimmern, in denen jeder Zentimeter Raum mit irrsinniger Effizienz genutzt wird“. In „Wie Anno dazumal“ aus dem Jahr des Tuck-Hämorrhoidentuchs besäuft sich ein Tennisvater und hält seinem Filius Vorträge, über 181 Minuten! Außerdem gibt es ungefähr fünf Versionen von „Unendlicher Spaß“, von dem man allerdings selbst am Ende der zwölf Seiten Filmografie nicht weiß, worum es darin geht. Aber das geht einem ja nach 150 Seiten Roman auch so.
2. September
Wenn Sie dank einer Anzeige des Kiepenheuer & Witsch-Verlages auf dem Internetportal Perlentaucher je genötigt wurden, „Unendlicher Spaß“ zu lesen, werden Sie viele exotische neue Kenntnisse gewinnen, egal, wo Sie sich gerade befinden.
Sie werden entdecken:
Dass man über dem Buch auch wunderbar einschlafen kann auf dem Liegestuhl auf dem Steg auf dem See und dann eventuell von Madame Psychosis träumt, die einen nötigt, zweimal den Satz: „Ich glaube“ zu sagen, obwohl man ja eigentlich nicht gläubig ist.
Dass sich hinter den all den Informationen, Erwähnungen, Rückblenden und Assoziationen , den Neologismen, dem Coolsein, der ausgestellten Drogensucht hochmoralisches Zeug verbirgt.
Dass man geordnet in den Tag hineinleben kann.
Dass man mit dem Buch auf dem Kopf aufrecht gehen üben kann.
Dass man dank der Lektüre diskutiert, ob man eines Tages vielleicht Apps bei iTunes kaufen kann, die einem sagen, ob der Pilz giftig ist, wenn man das iPhone dagegenhält. Schlimmer noch, dass man eines Tages keine einzige Regung mehr ohne die Apps von iPhone hinkriegt. Orientierung zum Beispiel oder Menschenkenntnis oder Sprachen oder überhaupt jede Form von Wissen. Und dass Filmpatronen mit was auch immer drauf gar nichts dagegen sind.
Dass man sich minutenlang freuen kann, wenn man ein Wort wie Piesepampel liest, das man zum letzten Mal in der Kindheit von seiner Mutter gehört hat. (Weitere bemerkenswerte Begriffe: IQ einer Salatschüssel, die Karte umdekorieren, abschilfern, erkiesen, Akustische Persönlichkeit, blonde Wohlstandsflegel, aber letzteres wahrscheinlich nur, weil ich einen Begriff für die unsäglichen Menschen brauchte, die inzwischen mein Viertel bevölkern.)
Dass man sich in dem Buch wie in einer Endlosschleife verirren, ergo „Unendlichen Spaß“ im Wallaceschen Sinne haben würde, wenn man der Versuchung nachgäbe und wieder von vorn anfinge, wenn einem irgendwas bekannt vorkäme, man also zum Beispiel überprüfen würde, ob das Ich am Anfang des Buches, das auf den Dealer wartet, nicht vielleicht Madame Psychosis ist. Und man käme nie nie nie wieder aus dem Buch heraus.
Dass sich unter einem Schleier wider Erwarten ein überirdisch schönes Gesicht verbirgt.
Dass ein Übersetzer verrät, wo er herkommt, nämlich nicht aus Berlin und Umgebung, weil er das Wort Krapfen benutzt, wo er doch Pfannkuchen sagen müsste, denn ein Berliner ist in Berlin weder ein Berliner, noch ein Krapfen, sondern immer ein Pfannkuchen, ob nun mit Senf oder Marmelade.
Dass jeder vor diesem Buch stehenbleibt und entweder sagt: Was ist denn das für ein dickes Buch oder So ein dickes Buch habe ich noch nie gelesen oder Woher nimmst du denn die Zeit für ein so dickes Buch oder Kann man den Umschlag auch abwaschen? (JAAAAA, kann man.)
Dass man dank der Lektüre Arzneimittel in Tropfenform wie Bärentraubenblätterfluidextrakt viel cooler herunterschluckt als unter Einwirkung von, sagen wir, Juri Trifonow. Würde mich nicht wundern, wenn der im Buch auftaucht, selbst Tarkowski ist ja erwähnt, überhaupt, das ganze Erwähnungsgeschäft allein bis Seite 345, man könnte glatt eine Konkordanz anfertigen, in zehnjähriger ehrenamtlicher Arbeit, gesponsert vom Jobcenter Berlin.
(Fortsetzung folgt.)
ANLEITUNG FÜR EXTREM-SITUATION „ODYSSEUS“
(US-Patent 2. September im Jahr der Linsbrunst)
Wir haben es mit einer zur Regel gewordenen Ausnahme zu tun: Im Fall Spaß ist es ein Film, der die Sirene spielt. Was ist zu tun?
Geeignete Personen müssen gefunden werden! Vornehmlich: Blinde. Bei dressierten Hunden besteht dringender Verdacht, dass auch sie der sirenischen Wirkung unterlägen.
Merke: Blinde sind im Fall Spaß die besten Versuchsbegleiter.
Der Proband wird durch den oder die Versuchsbegleiter in die Extremsituation gebracht; und genau dort fixiert! Dann: Patrone laden, Bildschirm anschalten. Was ist zu erwarten?
Bringt man Menschen mit Unendlichem Spaß in Verbindung, reicht meist der Erstkonsum als Schwellendosis aus, um eine Sucht mit Todesfolge auszulösen. Der Proband wird durch „ODYSSEUS“ verändert. Es entsteht eine Endlosspaßschleife.
Der Versuchsbegleiter muss eingreifen:
Ausschalten der „Sirene“!
Ansprechen des „Odysseus“!
(Stilechter: langsam das Möbel, darauf der Bildschirm steht, in Wellenbewegungen [Wallace: unduliert] fortbewegen; Meeresrauschen im Mundraum imitieren; erst außerhalb des Sichtkreis des Probanden die „Sirene“ ausschalten)
Erkenntnisgewinn durch die Hirnverstümmelung Spaß. Was erlebt „ODYSSEUS“? Wie fühlt sich unendlicher Spaß an? Wer mag schon Schwarze Löcher?
These: Proband wird nach Versuch umso eifriger unter die Menschen wollen; umso eifriger in die Mitte. Benutzbar als Heilungsmethode / Erziehungsinstrument für deviante Subjekte.
Außerdem heiter: Jeopardy
Name einer Westdeutschen Stadt, die für Mario wie das Röcheln eines Menschen klang, der gerade erdrosselt wird. (S. 121)
Was ist Düsseldorf?
Stand: S. 134. Nächster Post, provisorisches Thema:
„Marathe (angefragt) & Arno Schmidt (angefragt) – Eine Freundschaft in der Wüste?“
Am Wasser. Es ist Geisterstunde. Die Proletenboote sind lang verschwunden. Die Dahme plätschert. Sonst keine Musik. Getränk: Rubin Carnuntum von Markowitsch aus Göttlesbrunn. Göttlesbrunn! Ich schwör, es ist Zufall. Aber glaubt man nach 120 Seiten DFW noch an Zufall? Vielleicht glaubt man an gar nichts mehr. Oder um so verzweifelter an alles.
Schon ein Zehntel der Strecke bewältigt. Sollte ich vielleicht jetzt doch in die Fußnoten einsteigen? Wir sind jetzt bei Fußnote 40. Vielleicht morgen.
Jetzt hab ich nämlich endlich das vollständige Gefühl, im Sog zu sein. Als zöge dieser gigantische Romankrake mit seinen hundertvierzig Plotarmen an meinen Hirnzellen, die sich ergeben, weil sie süchtig sind nach neuen Abgedrehtheiten, neuen Figuren, neuem Futter aus den Verschwörungen der Großen Konkavität. Nach Absurditäten wie dem Gespräch des Rollifahrers und Geheimdienstlers Marathe und seines ziemlich crossgedressten Kumpels Steeply in der amerikanischen Wüste. Eine groteske mit falschen Brüsten. Es geht um die Patrone des Gesundheitsattachés. Die hat vierzig Leute zu Tode amüsiert. Kein Spaß. Wie konnte das passieren? Es gibt Theorien, Gegentheorien und sogar „Antitheorien, die Irrtümer, Verwechslungen und perverse Falschmeldungen postulieren“.
Eine Herde Wildhamster zieht vorbei. Majestätische Tiere, gefährliche Tiere, die über die unendlichen Weiten dieser postapokalyptischen Welt ziehen. Manchmal kommt einem DFW vor wie ein vollkommen bekiffter Cormac McCarthy. Die Stellung der Coen-Brüder (die Marathe-Episode ist ein Steilvorlage) zu DFW würde mich jetzt doch auch sehr interessieren.
Wenn ich das jetzt richtig entziffert habe (Windlichter sind doch nicht so toll zum lesen, aber soll ich hier am Wasser wirklich mit Grubenlampe auf dem Kopf sitzen oder mit der Taschenlampe, wie damals?), kann man die nächsten Seiten (bis 144) getrost vergessen. Wir sind in der E.T.A.-Umkleide. Es geht um das Mentoren-System, das auch nicht anders ist, als wirs von einem Dutzend Internatromane kennen, und was die da über die (uns eigentlich noch vorausliegende) Geschichte des Unterhaltungsindustrie (ein Schulfach) erzählt wird, haben wir schon alles hinter uns. Überhaupt die Patrone. Jeder von uns hat die Patrone. Jetzt. Sie baden gerade ihre Augen drin. Und jetzt ist Feierabend.
Nun h a t mich das Buch.
Vielleicht liegt es daran, daß ich mich erst einlassen mußte, weshalb ich so zauderig war, mich erst „einlesen“ – aber das widerspräche meiner Erfahrung (abgesehen von Büchern, in die man in bestimmten Lebensspannen nicht hineinkommt, aber plötzlich, Jahre später, sind sie da)… Jedenfalls, urplötzlich… gut, es beginnt mit einer Geschichte, Rollenprosa, ab S. 55, was bei Suhrkamp- und Schöffling-Büchern so gemeinhin die Seite 276 wäre, wenn man mal von der Satztype aus schließt… na egal, jedenfalls sagt Wardine, ihre Mama ist fies zu ihr. Nämlich nimmt Wardine ihre Mama Bügel zum Verdreschen des Mädels… ich meine, zugegeben, a) ist das unschön und b) werden die GottfriedseinePapas dann ein bisserl überstrapaziert, das hätt man schon bisweilen ausbremsen können, ohne daß die Rollensprache an Glaubwürdigkeit verloren hätte. So fühlt man sich, wie Adorno zu Wagners Leitmotivtechnik bemerkte, immer ein bißchen am Ärmel gezupft: „Du, das ist Rollenprosa.“ Nach dem zehnten Zupfen grummelt man, es doch bitte kapiert zu haben, nun hör schon mit dieser Zupferei auf… so wie dann Hal neben Mario liegt, paar Seiten später, und genervt vom dauernd gleichen Gefrage ist… springt man auf aus dem Bett auf eine Metaebene des Kunstverstands, die „die schlechte Stufe der Unmittelbarkeit“ ganz wider Absicht verläßt. Und es wird einem klar, daß das Notturno zwischen Mario und Hal ein stilistischer Kommentar zur Rollenprosa sein kann – jedenfalls ist es schlüssig so zu interpretieren. Da fängt dann meine Neugier an. Und läßt dann 50 Seiten lang plus acht Seiten „Katalog“ (Filmographie) in den Fußnoten hinten nicht wieder los; man hat ja schnell heraus, daß die Fußnoten selber Erzählung sind, nicht nur Einschübe… allein wenn sich „Unendlicher Spaß“ als ständig neu wieder aufgenommenes, ständig wieder verworfenes Filmprojekt James Incandenzas geradezu pochend, aber offenbar zerfallend durchs Werkverzeichnis zieht. Und erfreut sich nicht nur ungemein der >>>> Poor Yorick Entertaiment Unlimited, sondern den Kenner läßt sich Der Tod und das ledige Mädchen (Schwammerls Rache, kann man sagen) schadenfroh die Hände reiben, indes die paar der Konzeptkunst zugehörigen Filmprojekte, die, weil ihr Konzept „Unverfilmbarkeit“ war, unverfilmbar blieben, denn doch eher müde geulkt sind. Macht nichts. Es gibt weitere Funde in dem Cineasten-Homer, die vor Bitternis quietschen.
Ein bißchen störend an den Fußnoten ist, daß Kiwi sie als Anhang abgedruckt hat; da der Wälzer so schwer ist, behindert das Rumwuchten zu den hinteren Seiten den Lesefluß mehr, als hätte man die Fußnoten brav unten im Fließtext untergebracht. (Ich darf doch beckmessern, oder? Darf ich? – Danke.)
Aber weiter. Daß man geistesabwesend einen Tennisball knetet, den man aus Gewohnheit sowieso knetet, gibt außer Ulk nicht viel her; ärgerlicher ist es, wenn ein Vogel Knall auf Fall herunterplumpst, wozu dann obendrein Plop gesagt wird. Nö, echt nicht… zumal das dann ein Zaunkönig gewesen sein soll, ein runterknallender. Wer hat solch ein Tierchen schon mal in der Hand gehabt, so ungefähre Knall auf Fall runterknallende Kolibrigröße..? Plop aber, gut, mag angehen. Außerdem sitzt unser Held meditierend, aus Gewohnheit gewohnheitsmäßig den Tennisball knetend, mit einem Bein im Whirlpool und meditiert über Küchenschaben; wir sehn’s ihm deshalb nach, schließlich kifft er gern und intensiv, und ich denk mir, so als flashback ist ein herunterknallender Kolibrifall durchgehmäßig akzeptabel. Denn dann wird es richtiggehend gut, die ganze Schabenpartie hindurch, und hört gar nicht mehr auf, gut zu sein. Dazu gehört etwa, daß Wallace (Blumenbach) edle und umgangssprachliche Genitivformen verwendet; gleichzeitig (also von paar Seiten getrennt) gibt es Tassen Kaffees und Tassen Kaffee; prima. Dazu gehört besonders, daß jemand „unallein“ aufwacht, „wenn das Subjekt“ (besonders hinterhältig, daß er nicht „Objekt“ schreibt) „der vergangenen Nacht noch da ist“. Zur stilistischen Erklärung, weil Stil hier böser Rhetus ist: das Subjekt, grammatisch eh, wäre ja wohl e r; indem Wallace das verdreht, macht er das „Objekt“ nun ganz besonders zum Objekt. Das ist fein, wirklich fein in seiner ausgebufften Gemeinheit. Und fängt dann auch noch unvermittelt an, mich anzusprechen: „um Ihnen eine ungefähre Vorstellung zu geben“ – k e i n e Rollenprosa, Leser, sondern spöttischstes Autoren-Ich.
Und jetzt muß ich mich sogar >>>> dafür entschuldigen, bzw. einiges davon zurücknehmen. Was und wie nämlich jetzt von der Kifferei geschrieben wird, ist ungebrochen spannend, auch komisch, indem sich das innere Tunnel- und Dope-System in der untergründigen E.T.A.-Architektur nicht nur symbolisch, sondern eben auch ganz konkret symbolisiert. Solche Partien, S. 72 bis 79, sind Meisterstücke – die das übrigens auch wissen und deshalb gänzlich ungefährdet, wofür wir dankbar sind, schreiben dürfen: „Im Grunde ist der Gebläseraum nichts anderes als ein Pulmonalorgan (…), und wenn er in Betrieb ist, brüllt er wie eine keltische Todesfee, die sich die Tür in der Hand geklemmt hat.“ Wenn man jetzt ein bißchen mythische Bildung hat und weiß, woher Halloween stammt, wird die eine Seite später beginnende Erzählung von Don Gately, die mit einem Mord aus Dusseligkeit endet, aufs engste, nämlich über die Halloween-Masken der Einbrecher, mit der brüllenden Todesfee verknüpft, die sich eben auch aus Ungeschick, nicht mutwillig jedenfalls, die Hand gequetscht hat.
Heut war ich also glücklich mit der Lektüre. Auf das Traumszenario >>>> ist Krekeler schon eingegangen; dazu muß man nicht Weiteres schreiben. Und jetzt geh ich schlafen.
„An solchen Tagen braucht man eine komplett neue Syntax für Erschöpfung.“
Großraum, 12. Stock, letzte Arbeitswabe hinten links, gut gekühlt. Musik: Murray Perahias neue Bach-Partiten (samtpfötigst). Getränk: Gehtsokaffee. Wären alle Literaten der Welt gezwungen in Großräumen zu arbeiten, es würden keine Romane mehr gedruckt. Dabei ist der Kollege hinter der Wand gar nicht da.
Den Versuch, hier zu lesen, gebe ich auch gleich auf. DFW im Großraum, das ist wie späte Schubert-Sonate hören im Großraum. Man bekommt keinen ordentlichen Zusammenhang hin, alles zerbröselt. Höhepunktwahrnehmung geht gerade noch. Der Satz von Kate Gompert zum Beispiel „Holt mich bloß da raus“. Das große Rätsel jener magischen, geheimnisvollen und auf Endlosschleife gestellten TV-Patrone, über der erst der Gesundheitsattaché, dann seine Frau, dann immer mehr in eine Art Trance fallen.. Der grandiose Auftritt des alten Tennislehrers Gerhardt Schtitt und seine allgemeinmenschliche Philosophie des Tennis: „Die unendlichen Wurzeln der Schönheit des Tennis sind autokompetitiver Natur. Man bekämpft die eigenen Grenzen, um das ich in Vorstellung und Ausführung zu transzendieren. Im spiel verschwinden: Grenzen durchbrechen: transzendieren: weiterkommen: siegen. Deshalb ist Tennis im Prinzip ein tragisches Unterfangen, weiterzukommen und als seriöser ehrgeiziger Juniorspieler zu wachsen. Man will das begrenzte Ich, dessen Grenzen das Spiel überhaupt erst ermöglicht haben, bezwingen und transzendieren. Es ist tragisch, traurig, chaotisch und herrlich. So ist das ganze Leben für Bürger der Condition humaine: Die treibenden Grenzen liegen im Inneren und müssen wieder und wieder getötet und betrauert werden.“ Es sind solche Absätze, für die man auf die Kniebank niederfallen möchte, die dieses Buch ist. Oder die erschütternde Beschreibung eines Finalalkoholikers, der vor einer Klimaanlage sitzt mit einem Keksteller auf den Knien. Die Klimaanlage nie aus den Augen lässt. Und von ihr rundum unterhalten wird. Sätze wie: „Die knochigen Finger der Bäume hakeln im Vorbeigleiten Zauberzeichen in den Wind.“ Für die ein nochmaliger, täglicher Dank an Ulrich Blumenbach geht.
„Es gibt so etwas wie politischen Sex.“ (S. 133)
Die Fahne von Schalke 04 flattert an der in der Gärtnerei angebrachten Stange. Entfernung vom Point of View circa 300m. Den Großteil des gestrigen und heutigen Pensums U.S. habe ich auf einem Liegestuhl auf der Terrasse meines Vaters gelesen. Emmerich, Niederrhein. Am Abend, als ich ungefähr auf Seite 170 war, „Aufmerksamkeit, Befangenheit, der quasselnde Kopf, die schnatternden Stimmen, die Versagensangst, Angst versus alles, was nicht Angst ist, Selbstbild, Zweifel, Widerstände, wortkarge bange Männchen im Kopf, die sich über Angst und Zweifel und Schwachstellen in der geistigen Rüstung ausmären“, entzündete ein Nachbar ein offenes, unangemeldetes Feuer auf dem Feld. Äste, Laub, Sperrholz. Ein schönes, offenes Feuer, das auch ein wenig angsteinflößend war. Die Luft schien zu schmelzen. Es vergingen keine drei Minuten, bis Sirenen erklangen und die örtliche Feuerwehr ins Feld gefahren kam und gleich zu löschen begann. Es wird ein Protokoll geben, die Nachbarn standen noch minutenlang um den gelöschten Brandherd, die Feuerwehr zog mitsamt Streifenwagen wieder von dannen, und redeten in diesem niedlichen Mischmasch aus Deutsch, Niederländisch und Plattdeutsch über das große, selbstverschuldete Ereignis; gleich wurde ein Schuldiger gesucht, gleich wurde der andere niederländische Nachbar des verratenden Notanrufs verdächtigt, gleich wurde beratschlagt, wie man um die hohe Strafe herumkäme. Lösung: Kasten Bier. Am Freitag einen Kasten Bier bei der freiwilligen Feuerwehr vorbeibringen, das hilft dann schon.
Ich habe schon wieder ein Déjà-vu.
Natürlich machen in diesem Blog alle, was sie wollen. Wäre ja auch noch schöner. Natürlich quasselt man, schnattert man, und natürlich hat man unbedingt Lust, selbst eine Kiffergeschichte zu erzählen, zum Beispiel vom eigenen ersten Mal, das mit Uta, in die ich immer leicht verschossen war, in ihrem Mädchenzimmer im Abitursommer 1991 statthatte. Sie hatte was da. Da wir beide noch sehr ungeübt waren, mussten wir das Ding mit Prittstift zusammenkleben. Es hielt sonst nicht. Uta lag anschließend paralysiert auf dem Zimmerboden, während ich kaum etwas merkte und nicht wusste, was ich tun sollte. Die sexuelle Spannung war gleich mit verpufft. Uta schmiss mich kurz darauf raus. Sexuelle Repression wurde noch sehr oft mit Kiffen ausgeglichen, meinerseits, später, jahrelang, in Phasen.
Die Bändchen lösen sich allmählich auf. Auf Seite 132 kam das erste Insekt ums Leben. Es hinterließ einen kleinen roten Fleck.
(Stand: S. 194)
„Jemand hat Ironie mal so definiert: Ironie ist das Lied eines Vogels, der seinen Käfig liebt. Der Vogel singt davon, wie sehr er sein Eingesperrtsein hasst, aber tatsächlich fühlt er sich ganz wohl in seinem Käfig . Und so kann Ironie in den USA heutzutage beides sein: ein Weckruf und ein Schlafmittel, das Dich einlullen soll.“ (David Foster Wallace)
Die „Proseminarfrage“, die ich ans Blog-Plenum hätte, wäre nun folgende: Werfen wir mal einen Blick auf Seite 199ff. (Schadensersatzleistungsforderung eines Maurers). Unverkennbar tragen hier die kuriosen Umstände der Verletzung des Maurers gewisse slapstickartige Züge. Von solchen Stellen – verdichtete und damit in ihrer Absurdität schon wieder lustige Brutalität / Grausamkeit – wimmelt der Roman (Höhepunkt später: Randy Lenz).
Ist das nun
a) ironisch
b) sarkastisch
c) zynisch?
Für mich führt diese Frage weiter: Wenn dieses Buch ein aufklärerisches Anliegen hat, moralisch sein und die erstarrten Ironiemechanismen demaskieren will – wird es in solchen Stellen nicht gerade Teil einer nicht ironischen, sondern zynischen Spaßgesellschaft? Der Haneke-Funny-Games-Effekt sozusagen (Ich zeige Euch, wie zynisch ihr seid, kann aber nicht verhindern, dass ich selbst dabei zynisch bin und führe mein ganzes Vorhaben damit ad absurdum). Wobei bei Wallace eben ständig dieser Slapstick-Humor mitschwingt, der bei mir ein ungutes Gefühl auslöst (von wegen: Eigentlich schrecklich, aber dann auch wieder amüsant).
Für mich persönlich, in dieser Masse und mit diesem humorigen Unterton: Kein Weckruf, sondern eben genau das: einlullend.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
Mehr zum Buch »
Termine zum Buch »
M | D | M | D | F | S | S |
---|---|---|---|---|---|---|
« Mrz | ||||||
1 | 2 | 3 | ||||
4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 |
18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 |
25 | 26 | 27 | 28 | 29 | 30 |