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6.30 Uhr. Auf dem Weg zum Hamburger Bahnhof. Schlecht geschlafen. Vom Dicken geträumt, dass der wieder da wäre. Saumäßig auf den Magen geschlagen. Scheine immer noch zu schlafen. Hier sind alle Plakate weg. Keine Merkel mehr, kein Netto-Brutto-Guido. Alles, als wäre nie was gewesen, was nie wirklich war, Wahlkampf. In Berlin werden die noch an Weihnachten hängen. Aber wir wollen ja nicht wieder über die Hauptstadt schimpfen.
Muss mich korrigieren. DFWs eschatologisches E. T. A.-Spiel ist selbstverständlich nicht Risiko-, sondern eine Völkerballvariation. So richtig kapiert man zwar nicht, wie es vonstatten geht. Da geht’s einem fast so wie mit Quidditch. Oder besser: So muss sich ein des Deutschen mächtiger Pygmäe fühlen, wenn er das erste Mal in seinem Leben die Bundesligakonferenz hört. Es stimmt nur halt, was DFW selbst schreibt: „Eschaton ist verbal nur schwer in Schwung zu bringen, auch für den Stimulierten. Es ist einfach zu langsam und zu verkopft.“ Stimmt. Aber er gibt sich alle Mühe. Vielen Dank.
Selbst mir erschließen sich auch allmählich ein paar Abkürzungen. Hinter AMNAT könnte so etwas wie eine Jahr-der-Inkontinenz-Unterwäsche-Nato stecken. Hinter IRLIBSYR IranLibyenSyrien und ROTCHIN erschließt sich sogar Menschen mit noch geringerem Verstand wie mir. Um was es allerdings geht, außer dass hier der Dritte Weltkrieg auf Tennisplatzniveau vorgespielt wird, und das die Computer da zu suchen haben, weiß man nicht. Das führt dann zu solch herrlich bekloppten Sätzen wie „IRLIBSYRs Leithammel Evan Ingersoll, ganze 1,30 m groß, gewärmt von Babyspeck und hochkalorischen Denkanstrengungen, hockt wie ein Catcher westlich von Damaskus, dreht untätig seinen Rossignol-Raketenwerfer in der Hand und folgt dem monolateralen Wortwechsel“ usw. usf.
Lustig, dass Otis P. Lord die Rolle Gottes auf dem Eschatonplan geben muss, eine Art Oberschiedsrichter. Aber selbst der Lord, besser: gerade der Lord kann nicht verhindern, dass Eschaton an diesem 8. November in eine gigantische Steinigungsszene mündet, bei der die toten Tennisbälle die Steine ersetzen.
In Enfield fällt übrigens der erste Schnee. Davon sind wir hier noch weit entfernt. Aber es ist kälter geworden in Deutschland. Das erwähnt ich schon mal. Glaube ich.
„Der Tanz mit dem Text“ ist als Metapher, als Sprach-Bild, ein Zitat, das mir in dem (im Oktober erscheinenden) Buch von Maryanne Wolf, »Das lesende Gehirn«, aufgefallen ist und – das als Bild in mir präsent geblieben ist.
Denn damit kommt etwas auf den Punkt, worüber ich seit den ersten Seiten des Lesens, der Lektüre, des (Nach-)Denkens beim Lesen, des (Nach-)Fühlens beim Lesen, … von US sinne. Das Buch bewegt sich von Beginn an – und gerade von Beginn an, mit Hals Feststellung „Ich bin hier drin“ – in der dialektischen Ambivalenz eines komplexen Zusammen-Spiels von Körper, Körperlichkeit und Geist. Es ist ein »Tanz«. Fraglos. Ein Tanz mit einer subtilen Choreographie, die sich nicht erschließt, solange man die Handlungsebenen voneinander trennt, trennen muss, um sie überhaupt wahrnehmen zu können. An diesem Punkt macht der Tanz uns atemlos, erfordert ein (Ausdauer-)Training; er provoziert und schockiert uns und manches Mal stellen wir fest, dass wir aus der Choreographie gefallen sind und – wir hoffen vielleicht auf Erlösung. Wie Hamlet. Dennoch lassen wir uns darauf ein. Aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Motivationen.
Noch etwa scheint mir wesentlich. Der Tanz ist nicht codierbar, seine »condition humaine« ist immer individuell und subjektzentriert in diesem Zusammen-Spiel von Körperlichkeit und geist-seelischer Verfassung. Und er ist angewiesen auf das Mit- oder Gegeneinander von Tänzer/Handlungsfigur/(Autor?) und Zuschauer/Leser.
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Exkurs …:
Hanno Millesi hat es gerade nachdrücklich formuliert in der scheinbaren Korrelation von Texterfahrung und eigener Körperlichkeit. Und an dieser Stelle bleibt vielleicht sogar offen, was Krankheit, was krank ist und was, mit Nietzsche, eine „Große Gesundheit“ auslöst. In den Lesebeschreibungen von Elmar Krekeler ist es ein ganz selbstverständliches, wie es scheint, beinahe unbewusstes Element: „Gehtsokaffeemitmilch“, „Vitalgetränk“, „Tee mit Milch“ und erwähnenswert „Kein Getränk“.
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»Der Tanz mit dem Text« entfaltet für mich das Portfolio von Referenzen, die das subtile Netz des Textes bilden und gleichzeitig deutlich machen, dass DFW mit US die Negation des euklidischen Standpunktes für die (Post-)Moderne produktiv gemacht hat. Viele Elemente spielen hier hinein. Da ist die Frage des Spiels, des Sprachspiels und mit Wittgenstein die Idee des Sprachspiels als Sprach-Manipulation. Die (moderne) Manipulation am »Ende der großen Erzählungen« Lyotards argumentiert DFW konsequent zu einem neuen Beginn in der parallelen Paradoxale, die Joelle van Dyne in den „Käfig“ führt, an dessen Eingang Ausgang steht, in dem sie „schleierlos und garnhaarig geweint [hatte], wie ein grotesker Clown, in allen vier Spiegeln an den Wänden ihres Zimmers“, und die gleichzeitig das Eschaton-Spiel inszeniert, bei dem die „Rolle Gottes nie sonderlich beliebt“ ist und bei dem die Frage nach der gültigen (manipulierten) Realität des Subjekts aufgelöst wird in der Feststellung – „Spieler sind nicht innerhalb des Scheißspiels. Spieler sind Teil des Spielapparats. Sie sind Teil der Karte.“ Wer sind die Spieler? Wir? Die Leser? Wessen Realität ist hier aufgelöst worden?
Die Frage nach der schon mehrfach postulierten Hyperrealität schließt sich an, die nah an Baudrillards Simulakren operiert. Weit vor Baudrillard – aber vielleicht für die Frage des Post-/Moderne-Diskurses fruchtbarer – liegt das Postulat einer »Tradition des Irregulären« von Gustav René Hocke. Der Sprache eignet in diesem ästhetisch-lebensweltlichen Konzept eine komplexe Dynamik. Die Formstruktur des Sprachlabyrinths, die Kombinatorik und eine an Paralogismen ausgerichtete Metaphorik bedingen eine spezifische Beweglichkeit und eine Eigendynamik der Sprache, die nicht mehr als homogen gefügtes Ganzes wahrgenommen wird, sondern die sich über die Mehrschichtigkeit des einzelnen sprachlichen Elements – Satz, Wort, Buchstabe – definiert. Und, um den Bogen zurück zur Frage des Hyperrealismus zu schlagen, nicht weit davon entfernt liegt der „Sür-Realismus“ Walter Benjamins, der mit dieser sehr bewusst gesetzten Akzentuierung des Umlautes nicht auf den Surrealismus als ästhetische Epochenbezeichnung abhebt, sondern damit ein Sprach-Spiel bezeichnet, mit dem der „Bereich der Dichtung von innen gesprengt“ wird. Und damit sind wir sehr nah am „Tanz“ von DFW.
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P.S. Ich bin nachträglich in die Runde eingestiegen. Einen herzlichen Gruß an dieser Stelle an alle Mitstreiter, -leser, …
Nicoletta Wojtera, Jahrgang 1971, lebt und arbeitet in Köln, Studium der Germanistik/Literaturwissenschaft und Geschichte, tätig als Studien- und Bildungsberaterin und freie Autorin. Veröffentlichung u. a. Friedrich Nietzsche und der Surrealismus, Paul Mersmann – Einführung in die A.B.C.-Bücher (IABLIS 2007).
Angeschlagen von den Ausführungen über das Regelwerk des Eschaton-Spiels (-Spiels? doch ja, es wird offenbar „gespielt“) und dessen ausufernde Handhabe, lief ich zum ersten Mal Gefahr, mit dem Seitenpensum in Verzug zu geraten. Noch dazu, da ich kurz darauf in die schleimigen Klauen eines grippalen Infekts geriet, in dessen ansteckende Fratze ich nach wie vor mit einem Auge schiele. Um mich aus seiner verschwitzten und gleich darauf fröstelnden Umklammerung zu befreien, warf ich alles Mögliche ein, das Fiebersenkung, Husteneindämmung oder Aussicht auf Atemfreiheit versprach. Geistig ging nichts mehr. Weder meine Tagebucheinträge noch legere Artikel im Lokalteil der Tageszeitung schienen Sinn zu ergeben. Zumeist verspürte ich bei jedem dritten Satz Kopfschmerzen, insbesondere sofern ich ihn in einen Sinnzusammenhang zu den beiden vorangegangenen stellen sollte. Vor Unendlichem Spass fand ich mich in diesen Tagen nicht aus eigenem Antrieb wieder. Von den Medikamenten jeglichen Willens beraubt, scheint mich der aufgeschlagene Wälzer gezwungen zu haben, mich weiterhin mit ihm zu beschäftigen, obgleich mir nicht einmal meine alltägliche Konzentrationsausrüstung zur Verfügung stand, um zumindest den Kopf über Wasser zu halten. Eigentlich hätte ich mich binnen weniger Seiten in fiebrigem Wahn von einem lodernden Kern ausgehend in schleimigen Brei verwandeln müssen. Aber siehe da: Plötzlich funktionierte die Lektüre wesentlich anschaulicher. In mir oder irgendwo, wohin auch etwas von mir reichte, entstand zu jeder Passage augenblicklich ein Bild, verschwand, wenn ich es zulange betrachtete, machte einem anderen Platz, das zu den nächsten paar Zeilen gehörte. Im Grunde warteten die Bilder immer schon auf mich, als befänden sie sich im Magazin eines cerebralen Diaprojektors. Wenn man leicht weggetreten ist, behindern auch die fulminanten Szenenwechsel kein bisschen. Es kommt einem so vor, als habe man jedes Mal bereits darauf gewartet. Alles scheint logischerweise … vielleicht nicht logischer-, aber auf irgendeine vegetative, undurchschaubar harmonische Art auseinander hervorzugehen. Darüber hinaus fühlt man sich den zahllosen Narkotikajunkies verbunden.
Jetzt brauche ich einen Schuss NeoCitran. Ich kann deutlich spüren, wie mir der Affe im Nacken sitzt. Nein, es ist eine hüstelnde Spinne, die ihr Netz aus schleimigen Fäden im Inneren meines Organismus geflochten hat.
18.30. Rameaus „Les Indes Galantes“. Kirschwasser. Die große Konvexität ist abgewählt oder wars eine Konkavität. Wurscht. Lieber lesen jedenfalls als Netto-Brutto-Guido durch alle Kanäle grinsen sehen. Ist es eigentlich schon kälter geworden in Deutschland? Zwanzig Jahre nach der Wende endlich wieder daheim. Zurück in die Zukunft. Muss dringend meinen Vater fragen, ob im Keller noch meine alte Parka-Jacke mit den Stickern hängt. Könnte man ja noch mal gebrauchen demnächst.
Gebrauchen kann man wahrscheinlich auch, was DFW in einer geradezu peinigenden Aussschweifigkeit ausbreitet. Es fängt ja sehr lustig an. Ein Satz über Frühpubertät (vulgo: juvenile Hirnlappeninsuffizienz), die ich Paule noch an den Kopf werfe, wenn es schlimmer wird mit ihr. „Kinder im Früheststadium von pubertät und abstraktionsfähigem Denken, wenn sich die Allergie gegen die einschränkenden Realitäten der Gegenwart gerade erst als eigentümliche Nostalgie gegenüber Dingen bemerkbar macht, die man gekannt hat“. Toll.
Aber darum geht es nicht. Wir sind am 8. November im Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche. Interdependenztag. Und DFW holt noch eine Exposition nach. Wie das Eschatonspiel, das schon hin und wieder mal erwähnt wurde, vorbeistrich, über die Menschheit im Allgemeinen und die E. T. A. im Besonderen kam. Es geht um acht bis zwölf Leute, die mit 400 toten Tennisbällen auf riesigen Feldern sowas wie Weltkrieg spielen. Und mit meinem beschränkten Verstand stell ich mir das als eine Art „Risiko“ für Tennisspieler vor. Oder Schiffeversenken mit ultrahoher Komplikation. Jeder tote Tennisball steht für einen thermonuklearen Fünfmegatonnensprengstoff. Während DFW das Spielsystem ausbreitet – es liest sich leider ein bisschen so wie die aus dem Koreanischen ins Deutsche rückübersetzte Bedienungsanleitung eines amerikanischen Kühlschranks – hagelt es Abkürzungen wie Bomben. Manches wird direkt aufgeklärt: TAAZ = Totaler Atomkrieg zur Auslöschung der Zivilbevölkerung. Manches gar nicht AMNAT, SOWWAR, IRLIBSY. Das geht jetzt, seh ich gerade, noch über Seiten. Über viele Seiten. Über mehr als meine 16 Seiten. Dazu hab ich jetzt keine Geduld. Mir ist übel (Kirschwasser hat auch nix geholfen). Muss jetzt laufen gehen. Danke Guido.
An allen Laternen hängt die Direktkandidatin der CDU, die hier Angela Merkel heißt und zurechtgephotoshopt wurde, als würde sie die Wahl im Second Life gewinnen wollen. Mehr Kandidaten scheint es nicht zu geben an der Küste Nordvorpommerns, an die ich die eineinhalb Kilo Unendlichen Spaß mitgenommen habe, um endlich die magische 500 zu überschreiten. 14 Tage bin ich nicht zum Lesen gekommen, sieht man mal von der Seite vor dem Einschlafen ab. Dann aber packte mich das Eschaton-Spiel und ich las es gleich zweimal, um bei den Regeln durchzusteigen, komplizierter als jede Seitenabseitsregelung im Fußball, während zur selben Zeit kleine Staaten in der UNO-Vollversammlung Chrustschows Schuhperformance toppen wollten.
Drei Tage später stehe ich am frühen Nachmittag mit R. und G. am verrosteten Geländer des Fußballplatzes von Wustrow und schaue dem Spiel Wustrow/Darss Kickers gegen SV Stoltenhagen zu. Ich muss googeln, wo Stoltenhagen liegt (68,1 km, 13 Stunden Fußweg vom Fischland entfernt bei Grimmen). Die Stoltenhagener sehen in ihren orangen Trikots sexier aus als die Wustrower Fischköppe in Blau-Weiß, dabei haben letztere wegen ihrer Küstenlage doch dreißigmal höhere Grundstückspreise als die vorpommerschen Landeier. Deren Sponsor allerdings ist Opel, weswegen mich auch angesichts der Farbe des Trikots die leise Ahnung beschleicht, sie könnten von der Partei der Direktkandidatin gesponsert sein. (Naja, bei näherem Hinsehen ist es nur das örtliche Opel-Autohaus, dank Abwrackprämie hats wohl für neue Trikots gereicht.) Die Blau-Weißen müssen mit dem Textildiscounter Kik vorliebnehmen, denen man Stasimethoden und Ausbeutung der Mitarbeiter nachsagt.
Der Schiedsrichter schiebt einen mächtigen Bauch (umgerechnet 8. Monat) vor sich her, weswegen es mit dem Bewegen nicht gut klappt und er von den 90 Minuten vielleicht sieben wirklich rennt und meistens hinterher. Deshalb rufen ihm die Zuschauer (so viele wie Spieler) immer zu, wenn vorne ein Stürmer der gegnerischen Mannschaft im Abseits steht.
Der Trainer der Heimmannschaft ist 60 von 90 Minuten damit beschäftigt, die teuren Fußbälle aus den Brombeer- und Brennesselbüschen zu holen, die zahlreich ins Aus geschlagen werden, wahrscheinlich, um in der Zeit zu verpusten.
Für echte Fischköppe sind die Spieler sehr gesprächig, jedenfalls die orangenen. Ihre Spieler heißen Mutti, Auge und Ossi. Auge ist immer Mode bei dem etwas untersetzten Spieler der Nr. 6, der in der Verteidigung rumkrepelt und Kapitän und Trainer in einem zu sein scheint. Anders als der Schiedsrichter versucht er, das Spiel im Griff zu behalten und erinnert damit ein wenig an Otis P. Lord, nur ohne Servierwagen und Computeranalyse. „Leute, Leute“, ruft er unablässig über den Platz, stets mit einem leichten Nölen in der Stimme.
In der ersten Halbzeit geht es gesittet zu wie bei einem normalen Eschaton-Spiel. Einige schlagen ganz gute Lobs auf die Torraumlinie, aber erst nach 20 Minuten geht der erste Schuss aufs orange Tor, wo der Torwart von der Sonne geblendet wird. Zwei Orange deuten eine Händelei mit einem der Blau-Weißen an. Der Torwart schreit: „Kommt doch mal runter.“ – „Ossi raus“, schreit einer laut und die Zuschauer brüllen: „Du bist ja ne Pfeife.“ Es ist nicht ganz klar, ob sie den Schiedsrichter meinen, dessen Bauch gerade heranwabbelt. Er verwarnt, ohne eine der berühmten Karten zu zeigen, die hier nicht umdekoriert werden.
Ein Schuss der Orangen donnert mit großer Wucht auf den Parkplatz hinter dem Tor und um ein Haar hätte der Sponsor einen neuen Opel rausrücken müssen.
Man könnte sich das Spielfeld gut als Eschaton-Feld vorstellen, hier war ja die Erde auch 100 Jahre länger eine Scheibe als anderswo. Ein Wunder überhaupt, dass der Sportplatz noch nicht verkauft, parzelliert und mit mecklenburgischen Reetdachhäusern aus Vollplaste zugeschissen ist.
Hinter dem gegnerischen Tor sitzt seit Spielbeginn ein Mann im Trainingsanzug und trinkt unter direkter Sonneneinstrahlung ein Bier nach dem anderen. Er scheint mir ein Direktkandidat für die AA zu sein. Seine Biographie wird sich nicht besonders von der im Gaudeamus-Igitur-2-Kapitel unterscheiden, einschließlich der körperlichen Auswirkungen, von der das häufige Wasserabschlagen in den Brombeerbüschen noch das harmloseste ist. Es ist ja auch erst halb drei. Die Schmerzen kommen später, wenn Lidl zu ist.
Auch in der zweiten Halbzeit bleibt der blau-weiße Torwart ist sehr langsam. „Ist ja auch Wochenende“, sagt R. und spielt ein übertrieben langsam mit dem Ball, der ihm zugeflogen ist, ehe er ihn den Spielern zurückgibt. In Berlin hätte er dafür wenigstens verbal etwas in die Fresse gekriegt.
Der nächste geht wieder ins Brombeergebüsch und der Trainer spricht im Vorbeigehen leise, so dass es niemand der Spieler hören kann: „Nicht nachlassen, Leute.“ Da steht es 1:0 für die Hiesigen. Michi von den Orangen schießt drei Ecken, die dreimal vom Kickers-Torwart gehalten werden. Der Trainer von Blau-Weiß muss danach über einen Zaun steigen, um den Ball zu holen, was der Grundstücksbesitzer nicht so gut findet„Hör auf zu heulen“, meckert der Trainer.“ – “Ich kann auf meinem Grundstück soviel heulen, wie ich will.“ Aber weil es Vorpommern ist, eskaliert hier keine Situation und keiner muss ein rotes Käppi aufsetzen und den Ausnahmezustand ausrufen. Die Blau-Weißen geraten immer mehr in die Defensive und versuchen es mit Foulen. „Ihr könnt doch nicht alle wegrennen“, schreit der Kapitän der Kickers, aber Einsdreifix sind sie im Rückstand. „Spielen, spielen, spielen“, ruft die orange 6. Kaum hat man das notiert, geht sie schon kaputt und liegt auf dem Rasen, der hier noch echt und voller Gänseblümchen ist. „Haltet die Klappe, meine Fresse“, „Müller nach vorn“, Auge kriegt eine gelbe Karte fürs Meckern. „Der hat doch gar nichts gesagt“, brüllen die Zuschauer. Die Blau-Weiße 8 humpelt nur noch. Der Trainer ist schon wieder in den Brombeeren. Orange schießt Tor um Tor.
Am Ende verliert die Heimmannschaft 1:4, die Netze werden von den Toren entfernt, der Trinker torkelt in Richtung Lidl. Zuletzt trägt der Trainer fast feierlich einen weißen Plastestuhl, der die ganze Zeit hinter dem Südtor gestanden hat (so einen, der überall auf der Welt und bei allem mitspielen muss, ganz sicher gibt es die auch in der E.T.A.), quer übers Spielfeld auf die andere Seite. Es scheint irgendwie ein Ritual zu sein. Dann versinkt der Sportplatz in Stille, nur das Meer ist ganz leise zu hören.
PS: Einen Tag später: Vor dem Wahllokal in Ahrenshoop:
„Na haste Guido gewählt?“ – „Bin ich blöde? Und du?“ – „Na hallo, für wen hältst du mich?“
Schöner 27. September (Thomas Brasch) im Jahr des flüsterleisen Elektro-Opel
12.30 Uhr. Kindergeschrei, Apfelsaftschorle. Spielplatz, Hamburg Volksdorf. Kitsch. Wirklichkeit ist ein Klischee. Blauer Himmel. Lauter Menschen, die Hartz IV für den norwegischen König halten. Vorgartenkies wie von der Zen-Buddha-Maschine geharkt. Wenn man nicht wüsste, was sich an der Shell-Tankstelle nachts um eins abspielt, könnte man DFW glatt für Lüge halten oder für weit weg. Die Mittelstands-Oberschichtkinder, die im US einen Großteil der Drogisten ausmachen, die gibt’s auch hier.
Das muss man auch erstmal hinbekommen. Auf 16 Seiten überlappen sich vier Geschichten.
Es wird Tennis gespielt. Es wird viel Tennis gespielt und völlig uninteressant Tennis gespielt: „Felicity Zweig, A-3 U14, führte mit 7:6 und 6:1 einen TAAZ gegen P. W.s Kiki Pfefferholt, während Gretchen Holt“ usw. usf. blaballbla. Da muss man durch.
Es wird Terror getrieben. Der Quebecoise Widerstand gegen Großamerika und seine allerliebsten Anschläge. Die Terroristen sind besonders einfallsreich, bauen Spiegel auf Bergstraßen, die brave US-Brauser derart irritieren, dass sie in den Graben rasen. Ein bisschen kindlich und kauzig ist das. Liefert aber ein grandioses Finale zum Rumkugeln.
Es wird wieder ein Teil der Exposition des Familienromans nachgeholt. Die Geschichte des Marion Incandenza. Wie es zu dieser Freak-Show in einer Person kam. Von der eher unappetitlichen Geburt bis zur Karriere als Produktionsassistent von El Storko, dem Großen Urvater der tödlichen Unterhaltungskanone. Lassen wir mal das Gesicht und die Gestalt des Gnoms mit dem Gigantoschädel beiseite, zitieren wir für das ganze Ausmaß der Quasimodänen Hässlichkeit nur seine Haare: „Hinzu kam das dünne, strähnige, schlaffe Haar, zugleich zerzaust und irgendwie zu glatt, das mit 18+ an einen gedrungenen achtundvierzigjährigen Streesingenieur, Trainer und Academy-Rektor erinnerte, der sich die Haare auf der einen Seite mädchenhaft lang waschsenließ und sie sorgfältig über die glänzende Jarmulke des kahlen, graugrün tingierten Skalps auf die andere Seite hinüberkämmte…“ Das muss reichen. Ich kannte mal einen Oboisten, der sah auch so aus. Aber die haben ja sowieso alle mindestens einen an der Schacke, die Oboisten. Anwesende mal ausgenommen. DFW gibt kapitale Kenntnisse in der Anbringung von Türen preis und erfindet eine Kamera, stilisiert Mario zu einem Hutzeljesus hoch.
Es wird weiter gequatscht in der Wüste unter einem Himmel mit einem leeren Perlmuttton. Marathe und Steeply, die Grotesktranse, streiten weiter. Allerdings befleissigt sich Marathe plötzlich eines kuriosen neuen Idioms, an das ich mich gar nicht erinnern kann. Allerdings geht’s um Unterhaltung. Und um die USA, „die für die so genannte vollkommene Unterhaltung, diesen Film, sterben würde – und die ihre Kinder sterben lassen würde, jedes einzelne.“ Die Unersättlichen, die keine Wahl mehr haben.
Ach ja, die Wahl. Ist morgen. Und dann sind sie wieder weg, die Merkel, die da verschämt aus ihrem großen Grasgrünen hervorlugt und Steinmeier („Unser Land kann mehr“ – als wer? Als Steinmeier?) und Netto-Brutto-Guido. Auf diese einschläfernde Unterhaltungspatrone hätten wir gut verzichten können.
Zwei Polizisten bewachen mit äußerster Hingabe eine Matratze und einen Haufen CD´s und Kassetten mit zerschmetterten Hüllen, offensichtlich aus dem Fenster geworfen. Einer von beiden reibt sich einen Fleck aus dem Hemd, ohne die Devotionalien einer (Liebes?)Geschichte, die neben Judas Priest erstaunlicherweise auch Klaus Nomi beherbergte, aus den Augen zu lassen. Ich muss an mich halten, mich nicht dazuzugesellen und laut aus dem Subjekt zu lesen: „nein, du lässt das Buch nicht einfach fallen, mein Sohn, du lässt das gefälligst, lass das große Handbuch der Indizes nicht einfach auf den staubigen Garagenboden fallen, sodass eine vierseitige Staubblüte aufsteigt und unsere hübschen weißen Tennissocken ergrauen lässt, bevor wir den Court überhaupt erreicht haben, Junge, mein Gott…“
1996, nach Erscheinen von Infinite Jest, nahm David Foster Wallace an einem Chat teil, musste sich „Fosty“ nennen lassen – auch wenn er darum bat, das nicht zu tun – und blieb doch die ganze Zeit über ausgesprochen gelassen, schnell und präzise in seinen Antworten.
Einige Schnipsel aus dem Transkript dieses Chats sollen den Auftakt zu ein paar Beiträgen stellen, die sich in der nächsten Zeit mit Absichten, (produktiven) Verfehlungen und der Entstehung von Unendlicher Spaß beschäftigen.
The worst thing about irony for me is that it attenuates emotion. „IJ“ is at least SUPPOSED to be both funny and very sad.
Ironie als Haltung war – nicht nur – in den USA in den neunziger Jahren ein Thema. Mehr jedenfalls als es das heute ist. Ironie als (unausweichliches) Problem scheint aber für die Generation der in den sechziger Jahren Geborenen auch ein Lebensthema zu sein.
I don’t think irony’s meant to synergize with anything as heartfelt as sadness. I think the main function of contemporary irony is to protect the speaker from being interpreted as naive or sentimental.
Um von Einsamkeit sprechen zu können, muss Ironie ironisch verwendet werden. Eine Frage könnte sein, dass Menschen schlicht Angst davor haben, als naiv oder empfindsam angesehen zu werden.
One answer is that commercial comedy’s often set up to feature an ironist making devastating sport of someone who’s naive or sentimental or pretentious or pompous.
I don’t think irony’s about disorder. I think it’s about order — a dark confluence to events.
irony and hip ennui are extremely authoritarian, I think. And that’s paradoxical, since hip irony gained much of its cultural momentum through being an engine of rebellion.
In einem Brief an seinen Freund Jonathan Franzen schrieb Wallace, dass er nicht glaubt, Infinite Jest sei besonders gut. Und er erinnert sich, dass jemand nach der Lektüre eines Auszugs geschrieben habe, das hätte etwas Fieberhaftes und nicht wirklich Zufriedenstellendes. Das würde, so Wallace, eigentlich ziemlich treffend die Erfahrung bezeichnen, wie es sich anfühlt, wenn man so etwas schreibt.
Ich sehe Wasser. Ich sehe einen Mann, der das Wasser fotografiert. Ich fotografiere den Mann, der das Wasser fotografiert, dann fotografiere ich das Wasser. Enten schütteln sich.
Eschaton: Die blaue Villa in Hongkong. Die Wiederholung. Risiko. War Games. Die South-Park-Folge, in der die Kids World of Warcraft spielen.
Die Gegenargumente haben mich, Entschuldigung, auch nicht überzeugt.
Das Spiegelspiel der weltenden Welt und sw., jaja.
Lesetempo ist ein Kriterium, wenn auch nicht das Entscheidende. Es ist gekoppelt mit dem Kriterium Leselust. Lust am Text. Lust am Lesen. Masochismus im Lesen habe ich mir weitestgehend abgewöhnt. Dabei bin, war ich auch Lyriker.
(Zuletzt übrigens an Gertrud von Schleef gescheitert.)
Ich, ich, ich.
Mittlerweile schob ich schon Blogeinträge vor mir her. Ich bin kaum weitergekommen. Was DFW kann: Themen besetzen. Über die AA kann man fortan nicht mehr schreiben. Oder besser: Man muss nicht. Verweis auf U.S. reicht.
Es ist gut, dass Kate Gompert wieder auftaucht. Von ihr würde ich mehr hören wollen. Ich stelle sie mir ähnlich überzeugend schön vor wie das SchMaZ. Dass Letzteres im Ennet House endet, überrascht nicht wirklich, löst aber Bedenken aus. Ihr müsste eigentlich klar sein, dass sie gerade einen Whiskeyflaschenweitwurf vom ehemaligen Domizil ihres ehemaligen Mentors und ihres ehemaligen Liebhabers entfernt ist.
Was uns allen nicht erzählt wird. Noch nicht?
Zum Beispiel auch, wie und wieso die Liebesgeschichte zwischen ihr und Orin geendet ist.
Mit Gately hingegen kann ich mich nicht „identifizieren“. Keine Empathie. Figur iss für misch persönlisch uninteressant.
Dass Steeply, Rollstuhlfahrer (?) und Untergrundkämpfer, mit Miss Steeply vom „Moment“ identisch sein soll, enttäuscht mich.
Kifferideen.
Am Dienstag geht es nach Pula, Kroatien. Das Buch nehme ich pflichtbewusst mit. Obwohl es schwer wiegen wird. Ich würde dem Buch immer noch eine Diät empfehlen wollen.
(Stand: S. 558.)
18.25 Köpenicker Landstraße. Prof. Dr. Keseys bunter Bus fährt wieder. Da könnte man ja eigentlich richtig froh drüber sein, es fährt was in Berlin. Leider fährt man ja nicht allein. Nicht dass ich misanthropisch wäre, nein, aber Mütter in Jogginghosen mit Kindern, die knallbunte, jericholaut dudelnde Spielzeugklaviere herumtragen, bringen mich an den Rand des soziopathischen Explodierens (zumal in Präbuchmessenzeiten!). Mit Bach kommt man gegen dieses elektronische Gedudel gar nicht an. Dieses Plastikteil spielt auch noch Klassik, Scheißkowski, wie um mich zu verhöhnen. Ich stopf mir die White Stripes in die Ohren. Das müsste reichen.
Ich muss es geahnt haben. White Stripes sind gar nicht schlecht. Wir sind nämlich wieder ganz unten. In der Scheiße. Bei Poor Tony Krause. Der hat Tage in der Herrentoilette zu gebracht. Und hält sein abhängiges neuronales Nervensystem mit dem Hustensaft aus Codein halbwegs in Schuss. Der überlebt doch diesen 14. November im Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche nicht, von dem das Kapitel handelt.
Wenn das hier so weiter geht, und es wird so weiter gehen, wird dieses Buch der Bücher der Roman mit den meisten Drogentoten ever. Ist es wahrscheinlich jetzt schon. Und jeder erschüttert einen wieder. Was für eine Verschwendung von menschlicher Existenz. Und wie DFW immer wieder neue Töne findet für jeden dieser Kreuzwege der abgemagerten, abgeschmetterten, schmutzigdreckigkomischen Heiligen. Da ist DFW – sieht man mal von in diesem Zusammenhang dann furchterregend lustigen Sätzen ab wie: „Der Horror eines anspruchsvollen Genderdysphorikers vor der Inkontinenz lässt sich nicht angemessen in Worte kleiden“ – ganz beim anderen Chefausleuchter der Nachtseite des amerikanischen Traums, bei Denis Johnson. Wenn stimmt, kann man nur wiederholen, dass DFW, wie glaub ich Franzen gesagt hat, eine Mittelstreckenrakete in die Zukunft war, dann hat Denis Johnson sie gezündet.
Das ist schon sehr Johnsonesk jetzt. Johnson, allerdings ohne jegliche Epiphanie, da funkelt kein Gott mehr, da glimmt keine göttliche Glut mehr. Da ist alles nur noch schwarz. Das macht möglicherweise den Unterschied. DFW ist tot und Johnson lebt. Aber vielleicht übertreib ich jetzt.
So traurig, großartig und endgültig. Da kommen einem über den Abstieg Poor Tony Krauses in Wahnsinn und Tod tatsächlich die Tränen und die Wut. Ich geh jetzt hin und tret das dudelnde Ding kaputt. Muss ich jetzt machen. Wenigstens in meinem Kopf.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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