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8 Jahre später wieder gelesen:
David Foster Wallace „Das große Weinen im Wohnzimmer von Mrs. Thompson“ (The View from Mrs. Thompson’s, Rolling Stone Magazine, 25.10.2001, übersetzt von Ulrich Blumenbach)
Diese Frauen von Bloomington sind unschuldig oder kommen mir jedenfalls zunehmend so vor. Vielen Amerikanern würde auffallen, daß in diesem Wohnzimmer ein geradezu erschreckender Mangel an Zynismus herrscht. Zum Beispiel fällt niemandem auf, daß es doch ein bißchen seltsam ist, daß alle drei Moderatoren der Networks hemdsärmelig sind, daß Dan Rathers Haare nicht unbedingt zufällig so zerzaust sind oder daß die ständige Wiederholung der entsetzlichsten Szenen wohl nicht nur der Zuschauer wegen erfolgt, die womöglich erst später eingeschaltet haben. Nicht einer Frau fallen die seltsam lichtlosen Äuglein des Präsidenten auf, die während seiner aufgezeichneten Ansprache immer näher zusammenrücken, oder seine Sprüche, die geradezu wie Plagiate von Bruce Willis anmuten, dem, wie Sie sich erinnern werden, durchgeknallten Rechten in „The Siege“ vor ein paar Jahren. Oder daß ein Gutteil der Merkwürdigkeit des sich entfaltenden Grauens darauf beruht, daß diverse Einstellungen und Szenen die Plots von so ziemlich allem von „Die Hard I-III“ bis „Air Force One“ spiegeln. Und kein Anwesender ist auch nur annähernd trendy genug, um die pervers naheliegende postmoderne Beschwerde einzulegen: Das haben wir doch alles schon mal gesehen. Statt dessen sitzen sie zusammen, fühlen sich scheußlich und beten. Niemand aus Mrs. Thompsons Bekanntenkreis besäße jemals die Geschmacklosigkeit, andere zu lautem Beten oder zu einem Gebetskreis aufzufordern, trotzdem merkt man nur zu gut, was in ihnen vorgeht.
Nur fürs Protokoll: Das ist insgesamt auch gut so. Es zwingt einen zum Nachdenken. Man tut Dinge, die man allein wahrscheinlich lassen würde, und betet beispielsweise beim Verfolgen der Ansprache und der Augen stumm und inbrünstig, daß man sich im Präsidenten geirrt haben möge, daß man eine verzerrte Sicht auf ihn haben möge, daß er in Wirklichkeit klüger sein und mehr Substanz haben möge, als man ihm zutraut, daß er nicht nur ein seelenloser Golem oder Sammelpunkt von Konzerninteressen im Maßanzug sein möge, sondern ein echter Staatsmann mit Courage und Integrität und … und das ist gut, es ist gut, wenn man so betet. Nur ein bißchen einsam, wenn man muß. Rechtschaffene Leute, unbescholtene Bürger können auf Dauer anstrengend sein. Ich möchte in keiner Weise unterstellen, alle Menschen, die ich in Bloomington kenne, seien wie Mrs. Thompson (ihr Sohn F— ist beispielsweise anders, aber der ist sowieso aus ganz anderem Holz geschnitzt). Mir geht es eher um den Hinweis darauf, daß das Grauen teilweise so grauenhaft war, weil ich im tiefsten Herzen wußte, daß das Amerika, das die Männer in den Flugzeugen so gehaßt hatten, weit mehr mein Amerika war, das Amerika von F— und dem ätzenden Duane, als das dieser Damen.
und dann, ganz andere Baustelle, wie es scheint, Unendlicher Spass, Seite 162: Hal sitzt als großer Kumpel zusammen mit den Jüngeren und wir wissen inzwischen u.a. von Schtitts Prinzipien:
Entscheidend ist, dass es gar nicht mehr um Leistung geht, Leute«, sagt Hal leise. »Die körperliche Leistung ist reine Formsache. In Wahrheit bearbeiten sie hier die Köpfe, Jungs. Tag für Tag und Jahr für Jahr. Ein komplettes Programm. Es kann nur zu eurer Motivation beitragen, wenn ihr nach Beweisen sucht, dass ein Plan dahintersteckt. Sie werfen uns immer ein Hassobjekt vor, das wir gemeinsam so richtig hassen können, wenn eine große Sache ins Haus steht.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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4 Kommentare zu Hass
Stephan Bender
11. September, 2009 um 12:45
„Entscheidend ist, dass es gar nicht mehr um Leistung geht, Leute,“ sagt Max leise. „Die Wirtschaftliche Leistung ist reine Formsache. In Wahrheit bearbeiten sie hier die Köpfe, Jungs. Es geht um Religion!…“
P.S.
Prometheus
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöh’n!
Mußt mir meine Erde
Doch lassen steh’n,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn‘ als euch Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.
Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus, wo ein,
Kehrt‘ ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du’s nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herren und deine?
Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Blütenträume reiften?
Hier sitz‘ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
Daniela Sickert
11. September, 2009 um 14:12
Und Prometheus scheiterte….
Clemens Setz
11. September, 2009 um 16:50
Das hier hat zwar mit dem Prometheus-Thema nichts zu tun, aber es ist doch eine interessante Entdeckung:
Ein Widerspruch in der Handlung?
S. 27: Hal sagt: „Ich denke an John N. V. Wayne, der dieses Jahr das WhataBurger’s gewonnen hätte und der maskiert Schmiere stand, als Donald Gately und ich den Schädel meines Vater exhumierten.“
vs.
S. 362: Hal sagt: „Der Außendienstpathologe vom B.P.D., der die Kreideumrisse um die Schuhe von Ihm Selbst auf den Boden gezogen hat, hat gesagt (…) der Innendruck müsse praktisch sofort angestiegen sein. Dann hat er auf die Küchenwände gezeigt. Dann hat er sich übergeben. Der Außendienstpathologe.“
Und auf S. 369f. sagt Orin: „Hallie, eine Frage noch, danach fang ich nie wieder davon an. Du hast eben angedeutet, besonders traumatisierend sei gewesen, dass der Kopf von Ihm Selbst geplatzt sei wie eine überreife Tomate.“
Frage: Ist der Kopf von James O. Incandenza geplatzt oder nicht? Einen Kopf, der dem „Druck von zwei Stangen T.N.T.“ (S. 362) ausgesetzt war, kann man doch nicht mehr ausgraben. Es sei denn, es war gar etwas ganz anderes, was Gately und Hal ausgegraben haben…
Iannis Goerlandt
11. September, 2009 um 20:29
@ Herrn Setz:
Da sprechen Sie die vielleicht wichtigste Krux des Romans an. Einfach weiterlesen, würde ich sagen… Darauf eingehen sollten wir jetzt, glaube ich, noch nicht.