„Er verfügt über jenen seltenen spinalen Sinn für die Schönheit des Gewöhnlichen, den Mutter Natur nur jenen zu gewähren scheint, die für das Gesehene keine eigenen Worte haben.“ (US 697 f.): Lucien Antitoi ist für mich Wallace’ Gegenfigur, in der er die für einen Schriftsteller entsetzliche Vorstellung bannt, eines Tages die Verfügungsgewalt über die Worte zu verlieren. Der Alptraum, die eigenen Fähigkeiten zu verlieren, ist allenfalls vergleichbar mit der Angst leidenschaftlicher Leser vor der Blindheit. Luciens in der exakten Mitte des Romans geschilderter Tod (US 705 f.) ist dann eine Apotheose, das Wieder-Eins-Werden eines seelisch verkrüppelten Menschen mit sich, seiner Lebensgeschichte und seiner Mutter – und eine der seltenen ungebrochen schönen Naturschilderungen im Buch, die mich Eichendorff assoziieren ließ: „Und meine Seele spannte / weit ihre Flügel aus, / Flog durch die stillen Lande, / als flöge sie nach Haus“. Eine unglaublich bewegende poetische Gerechtigkeit, die nach der brutalen Schilderung der Ermordung um so fassungsloser macht.

2 Kommentare zu Die Stummheit des Schriftstellers

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Stephan Bender

5. Oktober, 2009 um 12:01

@ Ulriich Blumenbach: „Und meine Seele spannte / weit ihre Flügel aus, / Flog durch die stillen Lande, / als flöge sie nach Haus“

Oder…

„Dann sprach Almitra: Wir möchten nun nach dem Tod fragen.
Und er sagte: Ihr möchtet das Geheimnis des Todes kennenlernen.
Aber wie werdet ihr es finden, wenn ihr es nicht im Herzen des Lebens sucht?
Die Eule, deren Nachtaugen am Tag blind sind, kann das Mysterium des Lichts nicht entschleiern. Wenn ihr wirklich den Geist des Todes schauen wollt, öffnet eure Herzen weit dem Körper des Lebens. Denn Leben und Tod sind eins, so wie der Fluss und das Meer eins sind.
In der Tiefe eurer Hoffnungen und Wünsche liegt euer stilles Wissen um das Jenseits;
Und wie Samen, der unter dem Schnee träumt, träumt euer Herz vom Frühling.
Traut den Träumen, denn in ihnen ist das Tor zur Ewigkeit verborgen.
Eure Angst vor dem Tod ist nichts als das Zittern des Hirten, wenn er vor dem König steht, der ihm zur Ehre die Hand auflegen wird.
Freut sich der Hirte unter seinem Zittern nicht, dass er das Zeichen des Königs tragen wird? Doch gewahrt er sein Zittern nicht viel mehr? Denn was heißt sterben anderes, als nackt im Wind zu stehen und in der Sonne zu schmelzen?
Und was heißt nicht mehr zu atmen anderes, als den Atem von seinen rastlosen Gezeiten zu befreien, damit er emporsteigt und sich entfaltet und ungehindert Gott suchen kann?
Nur wenn ihr vom Fluss der Stille trinkt, werdet ihr wirklich singen. Und wenn ihr den Gipfel des Berges erreicht habt, dann werdet ihr anfangen zu steigen.
Und wenn die Erde eure Glieder fordert, dann werdet ihr wahrhaft tanzen.“

Khalil Gibran, Der Prophet

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Clemens Setz

5. Oktober, 2009 um 15:08

Gefunden auf infinitesummer.org:

„There was a Saint Lucien who lived in the third century who, according to Wikipedia, was killed by three „assassins…sent by the Roman Emperor“. He was beaten with rods and then decapitated. He didn’t die, but picked up his own head and walked to a place where he asked (he could speak!) to be buried, according to legend. (Or maybe he did die, but then came back to life just long enough to ask to be „properly“ disposed of.) Maybe Lucien will be back, at least in spirit.“

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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