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»Augenfaktor«
–
Die Gesichter sind »wie in einer Art Mitte gefangen. Zwischen zwei Dingen. In verschiedene Richtungen gezogen«
–
»Verlegt. Verloren.«
»Verlegt.«
»Verloren.«
»Verlegt.«
»Meinetwegen.«
…
…
…
(S. 932f.)
Zurück von einer Reise (und erst einmal in der spannenden Verstrickung unserer Blog-Beiträge-Kommentare haltlos – … was mich freut). Eine Reise mit US im Gepäck. Weniger Absicht, mehr eine subtile, sich quasi von selbst ergebende Notwendigkeit. Seltsamkeiten, die vielleicht nur (manche) Bücher vermögen. Vielleicht auch ein Versuch, die Lese-Perspektive zu wechseln oder – Experiment – zu ergründen, was passiert, wenn … – ich den Standort wechsele? Was auch immer diesen Stand-Ort als Lese-Verortung prägt. Auch darüber wäre gelegentlich zu reden.
Meine Seitenposition: 1084. Und während meiner Reise der Versuch, dieses „Dings, dieses Etwas“ (Zitat Aléa Torik, von mir sehr gerne aufgenommen) aus der in-finiten, für mich noch in-differenten Position des Unendlichen zu holen und zu systematisieren, (katalogisieren, poetologisieren, …) was mir im multilateralen ∞ Halt gewährt. Die »Nonchalance« des Netzes, das DFW spannt. Letzte Eindrücke davon: Die rückblendende „Bett(gestell)szene“ (S. 709ff.) , Randy Lenz´ „Katharsis der Lösung“ (S. 785), das „Opti-Spek“ (S. 893ff.), 133 Kinder und Jugendliche beim Abendessen (S. 903ff.).
Ich komme – bedingt durch meinen veränderten Lese-Stand-Ort? – zu einer ähnlichen Lesart wie Aléa Torik: eine polare Dichotomie als Movens der Literatur.
Verborgenes und Offensichtliches, organisiert als polare Impulse, scheinen die Parameter der Romanstruktur zu sein, oft sogar eher beiläufig:
„In der US-amerikanischen Wüste erwachte ein Leben, das größtenteils verborgen blieb“. (S. 763). – „Ein verborgener Vogel zwitscherte.“ (S. 764). – Die „L.A.R.V.E.“, bei Nietzsche bereits die Maskenfrage. – Die Maske als soziokultureller Offenbarungseid: Der Horror der Einsamkeit und dessentwillen wir „jede Maske anlegen, um zu passen“ (S. 997). – Physischer, die überirdischen und unterirdischen Gebäudeteile der E.T.A. – Die Schatten sind allseits gegenwärtig, kreatürlich beschreiben sie Ortho Stice, atmosphärisch die Situation in der Wüste, subtiler angelegt sind sie in der Feststellung „Falls die Schreie in Wahrheit nicht Gelächter sind.“ (S. 803).
Die Polarität setzt sich fort, wenn Mario sich „in Ennet House wohlfühlt, weil es ganz echt ist.“
Andere Quanten des »großen Ganzen« fallen mir auf, Orin bringt es auf den Punkt – „Letztlich geht es immer ums Funktionieren“, und Marlon Bain feilt es haarfein zu, auf das Spiel im Spiel des Überfunktionierens und die Frage des Missbrauchs. Orin ahmt die Moms nach: „ein Mensch, der immer näher kommt, die Arme weit geöffnet, lächelnd.“ (Anm. 269). Das Untergründige weist weit voraus (und gleichzeitig zurück) auf die Joelles Schauder bei der Beschreibung des Thanksgiving-Abendessens mit der Familie Incandenza.
Die Frage nach dem Durchhalten im Unaushaltbaren der eigenen Mittelmäßigkeit, folgenschwer ausgetragen. Das Funktionieren – die Familie Incandenza, Avril vs. James Incandenza, gesteigert in der „Über-Familie“ der E.T.A., Drogensucht und Alkoholismus als (Wahl-)Perspektive auf die Fragwürdigkeit einer äußeren Realität, in sich gesteigert in der »Funktions-Struktur« von Ennet-House, kulminiert in der Frage nach der Definition von Missbrauch, bei Orin, Mario und Hal nicht anders als bei Bruce Green und dem inzestuösen „Es“.
Dazwischen, zwischen Funktionieren und Nicht-Funktionieren, zwischen der Ambivalenz sozialer, psycho-physischer Motivationen, liegt immer wieder die Suizid-Frage: Er-Selbst, Kate Gompert, Joelle; gespeist aus der „Ein-Mann-Hölle“ (S. 999) diesseitiger Existenz.
Die Frage bleibt, was trägt diese polare Dichotomie? Paulhan scheidet die Schriftsteller (und Kritiker) in Rhetoriker und Terroristen. Und es fallen mir die eher abseitigen Bezüge auf. Da wird das »objet trouvé« als Idee der klassischen Moderne-Ästhetik unversehens zum »Drame-trouvé« in der Fußnote 234. Die Ambiguität der Ästhetik von Lautréamonts Maldoror schließt sich an – »Schön, wie …«. Und es geht um einen schönen Jüngling (die Nähmaschine, den Regenschirm und den Operationstisch …).
Woran ich mit all dem arbeite: Die letzte, (sui generis) unbeantwortete Frage der Schriftstellerposition. Erliegt der Autor (wie vielleicht jeder Autor; und der Leser) dem nietzeanisch illusionären Nichts des Balzac´schen Meisterwerkes? Unbekannt weil unmöglich? Und das Bekannte nur als sichtbar gemachte – zurück zum Seher Rimbauds – „Absenz“ (S. 1066). Was mich umtreibt, ist die Frage: Erliegen oder inneliegen wir der paradoxalen Ambivalenz des »Ceci n´est pas une pipe« Magrittes, die Foucault´sche „Auflösung der Affirmation“? Welchen DFW lesen wir? Welches Buch? Terroristen und Rhetoriker? DFW? Die beliebige Volatilität der Schnittmenge bildet er ganz sicher nicht. Die Komplexität der (einer) »Nonchalance«.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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