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Es wird aber zwangsläufig eine unqualifizierte Bedienstete sein – eine Hilfsschwester mit abgekauten Nägeln, ein Krankenhauswachmann, ein müder kubanischer Pfleger, der mich mit jou anspricht – bei irgendeiner hektischen Tätigkeit wird er mich plötzlich anschauen, ins Auge fassen, was er für mein Auge hält, und fragen, lass hören, Kumpel, was hast du denn zu erzählen?
Hal stellt sich vor, der kubanische Pfleger wird ihn fragen. Und wenn er dann gefragt wird, kann er erzählen. Etwa das Folgende. Das Zitat stammt schliesslich von Seite 28. Der Kubaner wird ihn ins Auge fassen. In den Blick nehmen? Eine Frage der Perspektive? Wird er ihn fixieren?, genau anschauen und dann fragen? Was aber hat diese Redewendung mit dem folgenden Relativsatz zu tun: „was er für mein Auge hält“? Vielleicht gibt das Original Aufschluss?
a tired Cuban orderly who addresses me as jou — who will, looking down in the middle of some kind of bustled task, catch what he sees as my eye and ask So yo then man what’s your story?
Offenbar richtet sich Hals Phantasie auf einen müden Pfleger, der ihn ansieht und dann versuchen wird, mit ihm Blickkontakt aufzunehmen, das aber vergeblich tun wird, da dieser Versuch ins buchstäblich Leere zielen muss: die Leere, die Hal, wie er glaubt, aber nicht sagt, in sich spürt – oder nein, er spürt ja nichts – er weiss, dass es so ist. Insofern ist es keine Phantasie, sondern Gewissheit. Diese Leere gilt es nun zu füllen, auszustopfen. Nicht die Ursachen der Leere zu bearbeiten, nicht, etwas zu reparieren, sondern das Ausmaß der Leere mit Wörtern zu demonstrieren. „Ich bin hier drin“: hinter dem, was der müde Kubaner für Augen hält. Und nur er, der nicht so tun muss und kann, als hätte er ein Interesse an Hal, kann ihn nach seiner Geschichte fragen. Nach seinem Zusammenbruch. Denn damit beginnt der Unendliche Spaß.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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4 Kommentare zu Deine Geschichte
Stephan Bender
6. September, 2009 um 20:30
Die Frage ist, mit welcher Bedeutung man eine solche Situation auflädt. Im Begleitmaterial findet sich die Story „Die letzten Tage des David Foster Wallace“ von David Lipsky. Auf S. 66 findet sich der folgende, schöne Ausschnitt:
—————————————–
Im November hatten sich die Ängste endgültig festgesetzt. „Ich machte mir echt Sorgen, dass ich mich umbringen würde. Ich wusste, wenn jemand einen Selbstmordversuch in den Sand setzt, dann ich.“ Schließlich ging er zur Krankenstation und gestand einem Psychiater: „Wissen Sie, ich habe da ein Problem. Ich fühle mich nicht mehr sicher.“
Mit dieser Aussage setzte Wallace eine Kettenreaktion in Gang: Die Polizei wurde benachrichtigt, er musste die Schule verlassen, …
…
„Wenn dir so etwas passiert“, lächelte er, „bist du plötzlich unerwartet gewillt, alternative Lebensmodelle zu prüfen.“
Wallace wurde als klinisch depressiv eingestuft und bekam Nardil verordnet, ein in den 50er jahre entwickeltes Antidepressivum, das er für den Rest seines Lebens einnehmen sollte. …“
—————————————–
Zum einen würde wahrscheinlich jeder, der etwas Falsches gegessen hat, in das Krankenhaus fahren und sich notfalls den Magen auspumpen lassen. Niemand käme auf die Idee, deshalb alternative Lebensmodelle zu prüfen.
Jemand, der „sich nicht mehr sicher“ ist, (und wer ist das schon?), scheint eine ungleich größere Gefahr darzustellen. Wallace kann auch nicht schwer depressiv gewesen sein, sonst hätte er die Szene gar nicht beobachten und wiedergeben können. Wallace war eben der Typ, bei dem Depressionen quasi zum Charakter dazugehören, er war sich dessen völlig bewusst. (Robert Musil hat sich ein Leben lang gefragt, ob mit ihm etwas nicht stimme. Italo Svevo hat sich sogar mit seinem Psychiater überworfen, weil der ihn nicht auf natürlichen Wege von der Zigarette losbekam.)
Es gibt natürlich Menschen, die schlicht und einfach neurologisch an Transmitterproblemen im Hirn leiden und deshalb auch ihre Medikamente bekommen. Hochintelligente oder hochsensitive Menschen dagegen sind schon allein deswegen gefährdet, weil sie ihre Gedanken und Gefühle niemandem mitteilen können. Natürlich kann auch beides zutreffen, zum Spaß bringt sich niemand um.
Der kubanische Pfleger ist natürlich in einer solchen Situation die Krönung. Er „fixiert“ ihn mit dem Blick. Das ist es auch, was er notfalls gewaltsam machen muss, wenn sich Hal „nicht kooperativ verhält“. Hal dagegen will nicht fixiert werden, da er mit der Frustration zu kämpfen hat, „die Kontrolle verloren“ zu haben. Und dass damit der Unendliche Spaß beginnt, wage ich zu bezweifeln…!
Man müsste DFW mal fragen dürfen, ob er sich auch dann noch umgebracht hätte, wenn er gewusst hätte, dass Barack Obama vier Monate später sein nächster Präsident wird. „Consider The Hipster“ wäre ein guter Titel gewesen.
JesusJerkoff
6. September, 2009 um 22:49
Jetzt habe ich es geschafft als Ersterscheinungstagleser, der aber vor lauter Respekt das Buch erst einmal unberührt drei Tage auf dem Sofa hat liegen lassen, bis die „Zeit“ es als „Der Hammer (sic)“ bezeichnet hat und ich nicht mehr an mich halten konnte und der bis dato niemals „sic“ geschrieben oder gedacht hat, bis auf Seite übervierhundert vorzudringen und dem das Eschaton-Spiel noch in den Endwindungen nachklingt und dann zitieren Sie Seite 28.
Also wieder von vorne. Ok, nicht ganz, nur bis zum letzten Absatz vor S. 28 und dann hat mann diesen spinnennetz- und staubreduzierten Blick, den man so nicht kannte, weil man, logisch, vorher das Buch noch nicht gelesen hat. Soll ich jetzt wieder von vorne anfangen? Wieviel habe ich mit meinem nicht mal ansatzweise semi-photographischen Gedächtnis schon wieder vergessen und was interessiert überhaupt jemanden das, was ich hier schreibe.
Klarheit und Leere liegen eng beieinander, Beiden fehlt das Streulicht des Normalen, wobei ich als normal das definieren würde, was es nicht gibt, aber im Gauß’schen Glockenkurvensinn. Hal weiß zu diesem Zeitpunkt schon, was auf ihn zukommt, der belesenste Trauertheapieexperte und Gefühlsausdenker, er weiß, daß kein Weißkittel mit Namensschild die Anamnese macht, sondern er erst einmal auf den Flur verfrachtet wird und man den dortigen Mitarbeitern gesagt hat, sie sollen die Patienten nicht bedrängen. Kann aber auch anders sein. Aber vielen Dank für die Anregung noch mehr und in andere Richtungen zu blättern.
Guido Graf
6. September, 2009 um 23:47
Incster, Halster, Halorama, Halation, Inc (S. 141): ihn kratzt es nicht verarscht zu werden, heißt es, als er wieder mal eine entlegene Wörterbuchdefinition auswendig unters Volk bringt:
Hal schreibt (S. 203):
muß wohl fortgesetzt werden
JesusJerkoff
7. September, 2009 um 23:45
Sorry, S. 141 sagt bei mir etwas anderes, aber vielleicht habe ich ja mal wieder was nicht ganz verstanden.
Heute habe ich bei einem Spaziergang durch’s Dörfchen ein Wahlplakat mit der Aufschrift:“Reichtum für alle!“ gelesen. Von einer durch den Bundeswahlprüfungsauschuß zugelassenen Partei. Was bleibt Ihnen da übrig, außer einem Achselzucken, Speziesverwunderungsgedanken und der Frage, ob das System in sich noch so kohärent ist, daß man es bewohnen möchte, oder lieber auf Außenkontaktvermeidung schaltet.
Das letzteres nicht die empfehlenswerte Alternative ist hat man mir heute in den AA-Schilderungen ins Gesicht gedroschen, aber wer am Ende tot ist weiß ja auch jeder.
Wie immer schwierig bis zu der Individualitätserkenntnis, für mich aber ein „Unendlicher Spaß“.