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Es hat ne Zeit gedauert, aber inzwischen mag ich „Unendlicher Spaß“. Ich finde den Roman angenehm ERNSTHAFT, auf eine in der Tat sehr uneuropäische Art. Die auf den ersten dreihundert Seiten und ein paar Zerquetschten drohende Monster-Supra-Komplexitätsanlage hat sich so ziemlich aufgelöst in drei Handlungsblöcke: die Tennis Academy, Ennet House und seine AA-Umgebung, die Felsnase, wo Steeply und Marathe ihre grandiosen Freiheitsgespräche führen.
Spannend ist das Ironie-Problem. Über eine totale Entertainmentwelt lässt sich, scheints, nur mit einer totalen Hypertrophierung der vorgegebenen, alles zudeckenden ästhetischen Klischees schreiben. Gleichzeitig das auf der Schattenseite produzierte Grauen. In den Passagen über die Anonymen Alkoholiker immer wieder das Durchstoßen der Ironie-Betondecke, das Aufbrechen von Lächerlichkeit, indem gerade das Lächerliche so ernst wie möglich genommen wird. Und kurz darauf kippt es wieder. (Ähnliches macht Chuck Palahniuk in „Fight Club“) Die andere, die „Tarantino-Methode“ (wie in der martialischen Hinrichtung dieses Lucien Antitoi durch die Rollstuhlterroristen (704ff)): Ein Klischee (wie das dieses Durchbohrens mit angespitztem Besenstiel) wird so extrem auf die Spitze getrieben, bis die Ironie weh tut.
Totale Unterhaltung deckt alles Leben mit Stories zu. Sie verwandelt jeden Schmerz, jede menschliche Katastrophe in ein lächerliches Abziehbild. Das Ironie-Problem lässt sich vielleicht so formulieren: Wie schaffe ich es, wieder ans Leben hinter den Stories ranzukommen, ohne so zu tun, als gäbe die Trivialästhetisierung des Lebens nicht.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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3 Kommentare zu Das Ironie-Problem
Christian Wiegold
14. Oktober, 2009 um 16:15
Lieber Herr Niemann,
ihr Beitrag erscheint mir sehr interessant, allerdings sind mir entscheidende Passagen darin noch nicht ganz klar geworden. Ich frage mich zum Beispiel, warum Sie ERNSTHAFT groß schreiben, ob sie darin schon versuchen, ihr angesprochenes Problem bildlich zu verdeutlichen. (Also ernsthaftigkeit als Übertreibung, Großschreibung des eigentlich Kleingeschriebenen.) Zudem kommt mir der Gedanke, daß es ziemlich fahrlässig ist, von einer »uneuropäischen Art« zu sprechen, ohne dies zu erläutern.
Meine zentrale Frage wäre aber die: was meinen Sie genau mit »läßt« sich (..nur schreiben)? Um was für eine Art von Unmöglichkeit soll es sich hier eigentlich handeln? Meinen Sie, solange man sich nicht eines Selbstwiderspruchs schuldig machen will? Also etwa so: Eine totale Entertainmentwelt kann nur mit der totalen Übertreibung von Entertainment widerspruchslos beschrieben werden? Irgendwie hört sich das zwar plausibel an, aber irgendwie verstehe ich es auch nicht. Was hält denn die totale Übertreibung des Entertainments davon ab, selbst wieder nur Entertainment zu sein (und als solches wahrgenommen zu werden)? Solche Sätze gibt es in diesen Zusammhängen dutzendfach und ich habe. ehrlich gesagt, so gut wie keinen davon so richtig verstanden – vergleichen Sie zum Beispiel: über das totale Grauen (wieso schreiben Sie eigentlich Hypertrophierung- soll darin schon die Übertreibung der Übertreibung mitklingen?) läßt sich nur mit einer totalen Übertreibung der Grauensklischees schreiben. Über das wirklich echte Gefühl läßt sich nur mit einer totalen, ästhetisierend übertriebenden Gefühlssprache schreiben. Verstehen Sie das? Warum nur »läßt«?
Zu den anonymen Alkoholikergesprächen schreiben Sie, in ihnen breche die Ironie-Betondecke kurz auf und gebe Lächerlichkeit preis. Müßte aber nicht unter der Ironie-Betondecke gerade das Gegenteil des Lächerlichen, also das Authentische zu finden sein? Oder ist gerade das von vorneherein lächerlich?
Ich möchte hier nicht zu kritisierend klingen (oder kann ich das echte, authentische meiner Kritik nur durch die totale Übertreibung der Kritik zum Ausdruck bringen?), aber ich wäre außerdem dankbar für eine Erläuterung der Ironie, die Ihnen zufolge in der Tarantino-Methode bei Übertreibung am Ende doch wieder weh tun soll. War denn das Problem der Tarntino-Methode, daß sie nicht »weh tut«? Und glauben Sie wirklich, man schaut lachend und unterhalten weg, wenn man (wie in Inglourious…) bei der Zertrümmerung eines Schädels mittels Baseballschläger zuschaut, wird aber dann wieder total gewaltkritisch und im Alltag voll sensibilisiert, wenn man zum Beispiel liest, wie einem Baby kochendes Wasser in die Windel gegossen wird(wie in der Kurzgeschichte von DFW)?
Man kann sich an allem unterhalten, egal wie ernst es gemeint ist. Und man kann alles ernst nehmen, egal, welchen Blödsinn ein Autor vorsätzlich schreiben wollte.
Norbert Niemann
15. Oktober, 2009 um 14:27
Lieber Herr Wiegold,
auch Ihr Kommentar erscheint mir sehr interessant. Er fühlt dem Textbeitrag auf den Zahn (kann ich das so sagen?), sehr ernsthaft. Zunächst einmal möchte ich aber die Textsorte zu Bedenken geben, also: wie ich sie auffasse. Es ist eine Art Mitschrift dessen, was mich beim Lesen des Romans beschäftigt. Nicht mehr und nicht weniger. Es werden Fragen aufgeworfen, Antworten darauf angerissen, und weil sie ja während der Lektüre entstehen (also nicht nach deren Beendigung den Gesamteindruck reflektieren), bleiben die Fragen offen, die Antworten halb. Ich finde, das ist das Spannende an diesem Projekt hier, auch dass ich mir selber widersprechen kann. (Ganz abgesehen davon, daß es mir außerdem schlechterdings unmöglich wäre, jedes Detail präzise zu erläutern, weil das Schreiben hier ja ganz nebenbei, neben der Schreibhaupttätigkeit läuft und laufen muss.
Auf ein paar Punkte möchte ich aber sehr gerne eingehen. Formulierungen mit „es läßt sich“ usw. sind natürlich eine rhetorische Figur. Für mich besteht in poetologischen Fragen immer eine Art Notwendigkeitszusammenhang. Form und Inhalt sind engstens miteinander verwoben über die Ästhetik eines Kunstwerks. Was mich interessiert an DFWs Büchern ist genau dieses Verhältnis: Warum sieht ein Text so aus wie er aussieht, in einer gesellschaftlichen Gegenwart wie der heutigen (wobei es sich in diesem Fall um eine Arbeit aus den Neunzigern handelt, es also fast schon etwas von einer historischen Fragestellung hat). Kunst kann und darf alles, dennoch gibt es diesen Unterschied zur Beliebigkeit. (Über das Verhältnis zwischen Freiheit und Notwendigkeit wird dezidiert seit Spinoza, Kant, Schiller philosophiert, strenggenommen immer schon. Es scheint jedenfalls nicht mit reiner Logik (Widerspruchslosigkeit) erklärt werden zu können.)
Bei DFW scheint mir dieser Zusammenhang evident. Die ästhetischen „Lösungen“, die er findet, sind in Nuancen anders wie im europäischen Kontext, weil die US-amerikanische Gesellschaft teilweise anders funktioniert. Ich bin ja nicht der Einzige, der an Tarantino oder Palahniuk oder „South Park“ denkt (ich habe erst gestern abend Zeit gefunden, die schönen Beiträge von René Hamann und Aléa Torik zu lesen). Ich glaube, es gibt eine US-spezifische Zuspitzung und Rezeption von Entertainment, das wirkt in die künstlerische Auseinandersetzung hinein (und soll m.E. auch hineinwirken).
An einer Stelle haben Sie den Beitrag offenbar mißverstanden: Ich habe nicht geschrieben, die Lächerlichkeit werde preisgegeben, sondern aufgebrochen. Also das genaue Gegenteil gemeint (wovon Sie ja selber sprechen: „das Gegenteil des Lächerlichen. also das Authentische“; wobei ich jetzt mit dem Begriff des Authentischen Schwierigkeiten habe, nicht recht weiß, was er bedeuten soll im codierten Universum der Post-Postmoderne, wo totale Individualisierung nach Foucault Entindividualisierung produziert, Anreiz und Belohnung die besseren Kontrollmethoden sind als weiland „Überwachen und Strafen“; und ist es nicht auch wiederum das Gegenteil von Authentizität, was die AAs mit ihren „Verpflichtungen“, ihren Klischeesätzen wie „Eile mit Weile“, ihren Gebeten zu einem selbstgebastelten oder nicht-geglaubten Gott treiben?) Wohin bricht der Text also durch an solchen Stellen? Ich weiß es nicht genau. Deswegen versuche ich ja schreibend darüber nachzudenken. Als Leser erwischt es mich jedenfalls an diesen Stellen. Ich gehe mit hinter die Ironie-Betondecke.
Noch kurz zu Tarantino (bevor ich aus Zeitgründen leider abbrechen muß): Mir geht es da entschieden anders, als Sie es beschreiben, und ich es gemeint hatte. „Inglourious Basterds“ hat diese witzigen Dialoge, die Figuren gehorchen größtenteils Kino-Stereotypien, und der Film sagt dauernd: Hey, das hier sind Kino-Stereotypien, das sind ironisch echt überzogene Kino-Dialoge; aber, hey, das hier ist ja auch wirklich Kino. Und dann sehe ich eben genau in der Druchbrechung dieses postmodernen Konstrukts (Brecht hätte gesagt: V-Effekt), (aus Ernsthaftigkeit großgeschrieben:) NICHT weg, wenn dem deutschen Nazisoldaten den Schädel zertrümmert, einem anderen das Hakenkreuz in die Stirn geschnitten wird undsoweiter. Ich finde es gut, daß Tarantino das macht. Warum genau? Das ist die Frage, die mich umtreibt und die ich mir nach wie vor nicht völlig stimmig beantworten kann. (Vielleicht ist ja auch ästhetisch „falsch“? Oder wird es? Bald? Durch inflationäre Nachahmung? Und wir müssen uns was Neues einfallen lassen?) Nach meiner Lesart hat es jedenfalls nichts mit Ihrem „total gewaltkritisch“, „im Alltag voll sensibilisiert“ bleiben zu tun. Das ist ja die Ironie-Falle, die hier funktionsunfähig gemacht wird.
Es gibt einen Unterschied zwischen Ernsthaftigkeit und Blödsinn. „Man kann“ nicht nur, man soll „sich an allem unterhalten, egal wie ernst es gemeint ist“. Ich glaube aber, zu einem Kunstwerk gehört beides: Unterhaltung und Erkenntnisgewinn, ich glaube, daß es da eine Balance in der Kultur geben sollte, ich glaube, daß dieses Gleichgewicht in einer Kultur an der Kette des Marktes schwer gestört ist, ich glaube mit Camus, daß Nemesis, „die Göttin des Maßes, nicht der Rache“ unerbittlich straft, wo die Grenzen des Gleichgewichts überschritten werden, ich glaube, daß DFW, Tarantino u.a. poeotologisch / filmästhetisch auf diese Gleichgewichtstörung reagieren. Und das ist genau die Art von Auseinandersetzung, die ich als Schriftsteller,, der selber auf gesellschaftliche Gegenwart ästhetisch zu reagieren sich bemüht, suche.
Christian Wiegold
22. Oktober, 2009 um 17:18
Lieber Herr Niemann,
Schönen Dank für ihre freundliche Erläuterung, ich glaube, mir ist es jetzt etwas klarer geworden, was Sie meinten (vor allem die Sache mit dem Aufbrechen).
Ohne hier die Diskussion zu sehr auf Tarantino verschieben zu wollen: dass Sie ihm einen V-Effekt zubilligen, finde ich sehr interessant und hat mich auch ein wenig überrascht (ich habe eine eventuelle Feuilleton-Diskussion über ihn allerdings auch nicht verfolgt oder im Ohr). So wie ich das verstehe, geht es bei dem Brechtschen V-Effekt doch darum, den Zuschauer aus seiner Identifikation »herauszubefremden« und so seinen Verstand inmitten der Theaterillusion wieder aufzuwecken, damit er das Erkannte auf seine reale Situation übertragen kann und nicht einfach nur erschöpft oder konsequenzlos begeistert nach Hause wankt. Bei Brecht verstehe ich das auch, bei Tarantino dagegen geht es mir anders: Sie haben zwar Recht, die Figuren sind überzeichnet, die Killer in PF oder IB total übertrieben klischeehaft killermäßig cool, wie sie eigentlich niemals sein können, aber bei mir (und ich weiß nicht, ob ich da der Einzige bin) führt das eher zu einer noch stärkeren Identifkation. Ich denke, ehrlich gesagt, eher: so cool möchte ich auch sein. So krasse Sachen möchte ich auch erleben, egal wie rational schwachsinnig mir das alles erscheint, ich möchte auch (wie in PF) in einem Cabriolet durch L.A. (?) rasen und mit dem Telefon in der Hand »Mia, don’t fucking die on me« rufen. Dass Killer sein eigentlich überhaupt kein cooler Job ist und das Ganze auch furchtbar traurig ist, es gelingt mir kaum, das bei PF überhaupt zu empfinden oder gar zu realisieren. Insofern halte ich Tarantino eher für einen Meister der Identifikation (nebenbei: welche Figur könnte mehr zur Identifikation anregen als ein Brad Pitt, der, okay nicht ganz, aber irgendwie dann ja schon, den zweiten Weltkrieg beendet?). Dass er seine Figuren so überzeichnet und damit so unverwechselbar macht, führt doch, wo hier die meisten so gerne einzigartig wären, eher selten zu einer kritischen Auseinandersetzung mit diesen Figuren. Vielleicht ließe sich daraus eine Art Avantgarde-Rezeptur zur Unangreifbarkeit ziehen: Alles total individuell übertreiben, schön viel Gewalt zeigen und Schußwechsel und Kämpfe, etc., aber alles auch einer individuell gefilmten Perspektive. Die Zuschauer können dann die Originalität beneiden und sich von der Gewalt unterhalten lassen. Und wer etwas kritisiert, der hat halt die Ironie nicht richtig verstanden.
Irgendwie scheint mir dies im Zusammenhang mit einem Ausdruck zu stehen, der mir kürzlich in ihrem Roman »Schule der Gewalt« aufgefallen ist: »Blutige Katharsis« (Im dreizehnten Kapitel, wo von den Kindersoldaten die Rede ist). Ich mußte einige Zeit darüber nachdenken, wie Sie das denn nun meinen. Wenn ich mich recht entsinne, geht es bei der klassischen Katharsis doch um die »Abschüttelung« der Affekte bei einer Theatervorstellung, damit man im Alltag wieder zu deren Gleichgewicht zurückkehren kann. (In gewisser Weise wäre der V-Effekt also auch eine Art umgekehrte Katharsis, indem er den Verstand der Zuschauer daran erinnert, auch im Alltag noch das Ungleichgewicht der Verhältnisse zu erkennen.)
Aber wie kann es eine blutige Katharsis geben? Ist das nicht die alte Idee, man könne sich durch Gewalt abreagieren? Oder meinten Sie es einfach ganz ironisch, denn die Gewalt, die solche Kindersoldaten vermeintlich aus sich »herauslassen« wollten oder eher sollten, kommt ja ihr ganzes folgendes Leben auf sie zurück und sie werden sie überhaupt nicht mehr los.
Meine Frage zu DFW wäre also die: gibt es bei ihm so etwas wie eine cannabishaltige oder depressive oder leistungsbesessene Katharsis? Beispielsweise Eredy ganz am Anfang: natürlich ist das total übertrieben, natürlich ist es verdichtet, aber es fällt mir tatsächlich schwer, das Verzweifelte seiner Situation wirklich zu empfinden. Ich empfinde nur DFWs analytisch feinen, wunderbar fließenden Rhythmus und die Komik des Ganzen. Ich delektiere mich also an Eredys Verzweifelung und daran, wie sie genüßlich in ihre gedanklichen Teile zerlegt wird.
Vielleicht liegt es ja auch nur an dem KiWi-Hype oder den Krawatten mit dickem Stirnband, die DFW so häufig getragen hat, aber irgendwie denke ich die ganze Zeit: Drogen sind cool. (Und noch cooler ist es, alle Pharma-Bezeichnungen davon zu kennen.) Und von denen, die sich in Deutschland als Kritiker der Spassgesellschaft bezeichnen, bin ich ganz weit weg, obwohl DFW denen, dem Inhalt seiner Ideen nach, gar nicht mal so fern ist. Ich denke: Depressionen sind cool. Obwohl ich das nicht denken will. Und ich möchte auch keine bekommen. Ich denke: Selbstmord ist cool. Ich denke fast sogar: Schade, dass mein Vater auf so eine langweilige Art gestorben ist. Also nochmal: man kann sich nicht dadurch, dass man es ganz besonders ernst meint (und DFW hat das bestimmt getan) davor schützen, nicht ernst, sondern nur als Hype wahrgenommen zu werden. (oder davor, dass literaturinteressierte Kiffer sich jetzt auch jedesmal einen Pepperidge-Farm-Tiefkühlschokoladenkuchen bunkern und der Konzern dies vielleicht sogar zu Werbezwecken benutzt).