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Ich lese in der Regel affirmativ. Ich lese so lange affirmativ, bis ich nicht mehr kann. Bei manchen Büchern kann ich schon nach der ersten Seite nicht mehr. Bei „Unendlicher Spass“ nähere ich mich der Mitte und kann noch ziemlich gut. Ich kann sogar immer besser. Zweimal habe ich allerdings die Segel streichen müssen. Das erste Mal war der Grund ein inhaltlicher, in das Eschaton-Spiel (Seite 464 ff) bin ich, trotz mehrfachem Strategiewechsel nicht hineingekommen. Beim zweiten Mal war der Grund ein sprachlicher. Der Bericht eines Schweizers bei den Anonymen Alkoholikern (Seite 507). Ich stamme aus Rumänien, bin zweisprachig aufgewachsen und lebe seit 2006 in Berlin. Ich bin – möglicherweise war das ein Fehler – über Österreich eingereist. Ich habe noch nie einen Schweizer reden hören oder, was ein Schweizer eben so redet, in Schriftform gesehen und so habe ich kein einziges Wort verstanden. Also: Kompliment an den so genannten Übersetzer (ich meine das ernst), Chapeau Herr Blumenbach!
Bevor ich mich in kommenden Beiträgen auf den Inhalt einlasse, möchte ich mich erst einmal mit der Form beschäftigen. Mit der Form dieses Dings, dieses Etwas, das schon im Titel die Negation von Form führt, das infinite, in-finis. Dabei gibt es nur eins, was keine Form hat und das zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht nur keine Form hat, sondern gar nichts: das Nichts. Möglicherweise gibt es noch etwas, das keine Form hat: das Alles. Beides scheint mir unvorstellbar. Weil unsere Sprache die Vorstellung von Nichts und von Alles nicht zulässt. Diese Sprachauffassung lässt sich in Kürze so skizzieren: die Welt ist wie sie ist, weil unsere Sprache so ist wie sie ist. Wäre die Sprache eine andere, wäre auch die Welt eine andere. Unsere Grammatik strukturiert die Welt, nicht die Quarks, die schwarzen Löcher, die Antimaterie oder ähnliche Gespenster. Das ist sehr malerisch und auch hübsch anzuschauen, aber es sind Metaphern. Das sind Sprachbilder, das ist keine exakte Mathematik. Nichts und Alles können wir uns nicht vorstellen, aber was dazwischen liegt, das können wir uns vorstellen.
(Was sagt Clemens Setz dazu? Ist es möglich, dass Mathematik und Sprache eine gemeinsame Ebene herausbilden? Wie könnte das aussehen? Geht das in die Richtung von Wittgenstein und Valery? Muss die Sprache exakter werden oder die Mathematik metaphorischer? Oder gibt es einen dritten Weg, eine Schnittmenge?)
Die Frage lautet: Chaos oder Kosmos? Unordnung oder Ordnung? Ist dieses unförmige Ding mit seinen tausend Tentakeln, seinen in alle Richtungen wuchernden inhaltlichen wie sprachlichen Eskapaden und Exzessen einfach nur chaotisch? Gibt es eine übergreifende Form für all das Disparate in diesem Text? Braucht es die überhaupt? Anders gefragt: ist die Unendlichkeit, der wohl zentrale Begriff dieses Romans, nur durch das Chaotische darstellbar? Dann würde jeder Versuch einer Reduktion dieses Chaotischen seiner Intention zuwiderlaufen; beispielsweise die Reduktion auf ein Muster, auf etwas Wiederkehrendes und deswegen Vorhersehbares: Aus den wirklichen Bewegungen der Vergangenheit wird auf die möglichen der Zukunft, aus dem Bestimmten wird auf das Unbestimmte geschlossen.
Auch DFW erfindet das erzählerische Rad nicht neu. Die Tradition des chaotischen Erzählens, der „Tristram Shandy“ von Sterne, ist von Herrn Niemann angesprochen, und Joyce ist mehrfach genannt worden. Es gibt andere Versuche, „Die blaue Villa in Honkong“ von Alain Robbe-Grillet ist ein Text mit einer zyklischen Struktur; „Rayuela“ von Julio Cortazár ist ein Roman mit zwei Strukturen, einer linearen und einer aleatorischen. Es ließen sich weitere Texte nennen, die mit der Form experimentieren. Wir können dabei auf organische Begriffe zurückgreifen und von Wucherungen sprechen. Wir können mit der Mathematik von selbstähnlichen, sich wiederholenden, fraktalen Figuren sprechen, oder mit Deleuze und Guattari, die das Wort Chaosmos geprägt haben, von Rhizomen. Wahrscheinlich finden sich noch weitere Begriffe, die sich produktiv verwenden lassen und denen eines gemeinsam ist: das Zurücktreten des linearen und chronologischen Nacheinander zugunsten einer collagierten Gleichzeitigkeit.
Ich habe mir das Bild des Mobiles zurechtgelegt. US als Mobile mit drei selbständigen Teilen oder Erzählzentren. Die Tennisakademie E.T.A. um Hal Incandenza, die Drogenentzugsanstalt Ennet House um Don Gately und die Québecer Separatisten um Remy Marathe. Jedes der drei Erzählzentren besteht aus ihren eigenen Figuren – bei der Tennisakademie sind das neben Hal die anderen Jungs, die Familienmitglieder des Incandenza Clans mit den Brüdern Hals Orin und Mario, dem Storch, dessen Vater, der Moms und ihrem Halbbruder C.T. – in die sich die Figuren der anderen Erzählzentren mischen. Die drei Teile des Mobiles bilden keine streng voneinander getrennten Entitäten. Es gibt keinen eigentlichen Erzählfaden, keinen klassischen Plot, vielmehr arrangieren sich die Mobileteile immer wieder neu und anders.
Dieses Mobile hängt im Raum, nicht in der Zeit. Anders als beim linearen Erzählen – das sind natürlich Mischformen, es kann keine absolute Überwindung des temporalen und sukzessiven Erzählens geben, weil es keine Überwindung des sukzessiven Lesens gibt – tritt beim mobilierten Erzählen die Zeit in den Hintergrund. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Figuren und die Art, wie sie präsentiert werden. Hugh Steeply und Remy Marathe stehen seit mehr als siebenhundert Seiten (Stand meiner Lektüre) in der bitterkalten Wüstennacht auf einem Felsvorsprung. Die beiden erinnern an Wladimir und Estragon, nur dass sie spannende philosophische Gespräche führen und bewaffnet sind. Möglicherweise hängt das auch zusammen und es würde so manches philosophische Seminar beleben, wenn die Dozenten, statt mit Büchern und Zitaten mit einer Kalaschnikow bewaffnet wären. Immerhin weiß der Leser, dass die beiden irgendwann in Bewegung geraten. Und wenn sie nur den Finger am Abzug bewegen. Bei anderen Personen ist selbst diese minimale Bewegung nicht sicher. Erdedy beispielsweise, wird erst fünfhundert Namen nachdem er eingeführt worden ist, zum zweiten Mal erwähnt. Und verschwindet dann auch gleich wieder hinter anderen Mobileteilen. Oder die U.S.S. Millicent Kent, die wie ein Kriegsschiff heißt, wohl mit einer ähnlichen Tonnage ausgestattet ist und Mario, beim Versuch ihn zu küssen, den Thorax einquetscht. Welche Funktion hat der skurrile Guru Lyle, der Bewohner des Fitnessraums der E.T.A., der sich einzig durch das Ablecken der verschwitzen Jungenkörper ernährt? Welche Bedeutung hat die Clipperton Episode, der Tennisspieler, der sich bei jedem Match die Pistole an die Schläfe hält und droht abzudrücken, sollte er unterliegen? Welche Rolle hat Wardine, außer der Darstellung ihres Idioms? Haben all die Lebensgeschichten der Anonymen Alkoholiker und Drogensüchtigen, die vielen kleinen Erzählpartikel, die sich in den Vordergrund drehen, ins Interesse des Lesers und ins Licht des Betrachters, und die dann wieder weg sind, haben die eine Funktion?
Ist ihre Funktion vielleicht die, das Chaos darzustellen? Chaos, wo alles gleichzeitig da ist, und wo der Zeit keine ordnende Funktion zukommt. Durch immer neue, einander ähnelnde Wiederholungen, Bewegungen, Drehungen entstehen Momentaufnahmen und Konstellationen. Aber es entsteht kein strenges, nach früher und später geordnetes Kontinuum. Und gerade dadurch, so scheint‘s, hat dieser Roman viel Zeit. Er hat alle Zeit der Welt. Oder gar keine.
Und nun beginnt das Phantasieren. Ich habe erst die Hälfte des Textes gelesen, den Rest muss ich mir vorstellen. Ich versuche mir das so hinzubiegen, wie ich das haben will. Und wenn’s nicht hinhaut, dann ist das, wie Wallace das so schön am Eingang seines Buches formuliert, als er sich an die Leser wendet, „Produkt Ihrer eigenen krankhaften Phantasie“. Außer den drei gleichberechtigten Erzählzentren hat US ein viertes Zentrum. Ich unterstelle, dass es sich dabei um das Zentrum des gesamten Mobiles handelt: Joelle van Dyne. Die Hauptdarstellerin des Films „Unendlicher Spass“, der all jene lähmt, die ihn anschauen. Diese Unterstellung ist natürlich davon motiviert, dass der Film für den Roman titelgebend ist. Es spricht auch etwas gegen diese Annahme: Joelle ist kein Erzählzentrum wie die anderen drei, sie ist eine vereinzelte Figur. Ich rücke sie so stark in die Mitte, weil ich am Thema Schönheit meine greifen zu können, was es mit dem Begriff der Unendlichkeit in US auf sich hat. Um eine Unendlichkeit zu konstruieren – also nicht die sprachlich unfassbare, ganz große, unvorstellbare Unendlichkeit, sondern eine, sagen wir, mittelgroße Unendlichkeit – braucht es eigentlich nur ein Gegensatzpaar: Alles und Nichts, Chaos und Kosmos, Schönheit und Entstellung. Alles was zwischen den jeweiligen Gegensätzen liegt, ist eine Unendlichkeit.
Ist Joelles Schönheit der Grund für ihre permanente Verschleierung? Eine moderne Medusa, die jeden zu Stein erstarren lässt, der sie anschaut. Oder ist der Grund der Verschleierung ihre Entstellung durch einen angeblichen Säureangriff? Immerhin ist sie die Vorsitzende der L.A.R.V.E., „Liga der Absolut Rüde Verunstalteten und Entstellten“. Ist Joelle unmenschlich schön oder ist sie unerträglich hässlich? Ist sie lediglich ein Phantasma (oder, in der Sprache der Amüsierwilligen, ein Funtasma)? Ist nicht jedes Sehen, jedes äußere Bild das auf ein inneres stößt, im Kern bereits phantasmagorisch? Es gibt ja in jeder sinnlichen Wahrnehmung eine Konfrontation zwischen Phantasie und Wirklichkeit. In der Schönheit ist diese Konfrontation jedoch besonders prägnant.
Wer von menschlicher Schönheit spricht, der spricht nicht von einem rein ästhetischen Wohlgefallen, sondern von Liebe und Begehren. Und sei es nur das Begehren, den anderen zu sehen. Erkennen zu wollen, wer einem da gegenüber steht. Auch wenn er in Wirklichkeit nur erkennt, wie das Gegenüber aussieht. Dieses Erkennen findet durch den Blick statt, das gegenseitige einander Anschauen. Das ist ein Geschehen, das sich zwischen zweien ereignet, kein solipsistischer Akt. Schönheit ist nicht das, was einer hat oder besitzt, sondern was ein anderer ihm zuschreibt. Menschen sind nicht schön, sozusagen von Natur aus, sondern sie werden es, indem ein Gegenüber ihnen diese Schönheit zuschreibt. Der Schleier unterbindet diese Zuschreibung. Dem einen ist das Sehen genommen, dem anderen das Gesehen werden. In dieser Situation ist weder der vor noch der hinter dem Schleier ganz er selbst. Der Sehende stellt nicht nur die Ungesehene in Frage, sondern auch sich selbst. Das ist eine partiell doppelte Blindheit, beiden Beteiligten fehlen die Zuschreibungen des anderen.
Der Betrachter, der Leser weiß nicht, was sich hinter dem Schleier verbirgt. In diesem Nichtwissen sind die beiden Gegensätze Schönheit und Entstellung ganz nah beieinander, weil beides möglich ist. Es wird wohl nur das eine der Fall sein, aber in der Möglichkeitsform ist beides gleichzeitig präsent. Oder ist Joelle, auch wenn wir es uns nicht vorstellen können, beides zugleich? Wie Pat Montesian, die Leiterin von Ennet House, deren eine Gesichtsseite nach einem Schlaganfall entstellt, deren andere Seite aber schön ist. Ist Joelle eine Figur, die selbst ein Mobile ist, so dass bisweilen das eine und dann das andere im Vordergrund steht? Ist sie schön, so tritt ihre Entstellung zurück. Und umgekehrt. Ist eine solche Gleichzeitigkeit von einander Ausschließendem denkbar? Ist Joelles Verschleierung eine Maskerade oder ist sie echt? Oder beides zugleich?
Gleichzeitigkeit bedeutet, dass wir etwas nicht in eine temporale Struktur, in eine Verlaufsform bringen können. Da ist etwas, das nicht Vergangenheit wird. Es ist immer Gegenwart und Anwesenheit. Gleichzeitigkeit ist womöglich der lähmende, versteinende, erstarrende Kern dieses Phantasma. Möglicherweise erstarren nicht nur die anderen, die, die sie zu Gesicht bekommen, sondern auch Joelle selbst. Ich habe im Zusammenhang des einander Anschauens und sich gegenseitig Erkennens von einer partiell doppelten Blindheit gesprochen. Der Schleier unterbindet das intersubjektive Geschehen zwischen den beiden, die gegenseitigen Zuschreibungen und Projektionen: der andere wird zu einer leeren Leinwand und man selbst wird es dadurch ebenfalls. Dieses Selbst, das wir nicht sind, sondern durch die Zuschreibungen des anderen werden, lässt sich in so einer Situation nicht greifen. Ein Selbst wird erst dort das eigene Selbst, wo wir es durch einen anderen begreifen.
Ist das Chaotische näher am Anfang und am Ursprung? Am Ursprung der Welt und des Erzählens von diesem Ursprung. Geht Erzählen bereits mit einem Verlust jeden Ursprungs einher? Bedeutet das, dass der Versuch, das Chaotische wiederherzustellen oder sich ihm mimetisch anzunähern, ein Irrweg ist? Oder ist die Beobachtung, die zur Hälfte eine Unterstellung ist, dass der chronologischen Zeit eine untergeordnete Rolle zukommt, falsch? Und wenn sie doch richtig sein sollte, gilt dies nur für mehr oder minder experimentelle Formen wie US sie in dem Unendlichen konstruiert. Oder ist das eine allgemeine Tendenz? Bietet die Gleichzeitigkeit von Ereignissen einem Erzähler andere Möglichkeiten, andere erzählerische Mittel?
Die Arbeitswelt hat sich in den letzten zwanzig Jahren vollkommen verändert. Die strenge Einteilung von Arbeitszeit und Freizeit ist nahezu obsolet. Durch Telefon und Internet ist jeder jederzeit erreichbar und hat Zugriff auf Rechner, Server, Daten. Aus dem wohlgeordneten und streng voneinander getrennten Nacheinander des Lebens ist eine Gleichzeitigkeit geworden. Wir sind immer bei der Arbeit. Oder nie. Es wäre doch erstaunlich, wenn solche tiefgreifenden Veränderungen keinen Niederschlag in der Literatur fänden. Bieten Mobile, Collage oder Rhizom Erzählmodelle, die die strenge Anordnung der Zeit in ihre Extensionen nicht bietet? Hat das Folgen für die Bedeutung von Erinnerung und Antizipation in fiktionalen Texten? Oder sind das Experimente, die es immer gegeben hat, die aber an dem Fundament der strengen Aufeinanderfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht rütteln können? Gibt es eine Tendenz zum chaotischen Erzählen, eine narrative Entropie? Hat jemand Antworten auf solche Fragen? Oder braucht es die gar nicht?
Dem Unendlichen kann man sich wohl nur auf eine einzige Weise nähern: kontinuierlich. Das hat DFW mit US getan. Dabei hat er, wie es aussieht, kein Ende gefunden. Weil’s keins gibt. Das kann einer als grandiosen Ausblick empfinden. Aber auch als Aussichtslosigkeit. David Foster Wallace, der sich im Unendlichen aufgehalten hat, zwischen den absoluten Gegensätzen, in einem Dazwischen, muss sich dann doch zu einer Seite hinüber geneigt haben. Welche der beiden das auch gewesen sein mag, er ist dabei offenbar aus dem Gleichgewicht gekommen.
Aléa Torik, geb. 1983 in Siebenbürgen, Rumänien. Studium der Linguistik und Literaturwissenschaften in Bukarest und Berlin. Derzeit Promotion zum Thema „Identität, Authentizität und Illusion“. Roman „Der blinde Fotograf“, führt ein Blog im Internet.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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23 Kommentare zu Chaos und Kosmos
Christian Wiegold
13. Oktober, 2009 um 10:03
Alea iacta est ist hier nicht nur ein (zugegeben etwas plumper) Namenshinweis. In diesem Satz zeigt sich auch das Problem wie in einem Zerrspiegel, welches Sie so kenntnisreich dargelegt haben. Ad-Infinitum. Bei Nietzsche war es noch die Unausweichlichkeit einer solchen Unendlichkeit, bei Heidegger wurde gerade diese dann auf den einzelnen Menschen zurückgeworfen, während DFW nun die Grenzen des Unendlichen aufzeigt, was zunächst paradox klingt. Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang außerdem noch das »pantomorphe Klauton«, welches ja nicht nur eine Unendlichkeit beinhaltet und dieser mit Fremdwörterzähnen das Verständnis ausbeißen will, sondern auch einen, gewissermaßen »klautonischen« Hinweis darauf erlaubt, welche Rollstuhlfahrer denn nun mit einem Ende rechnen müssen und welche sich den Spassanschlag als eine Verlängerung ihres unendlichen (eben nicht begehbaren) Spasses ausrechnen dürfen. Es genügt vielleicht, hier nochmals auf Nietzsche zu verweisen. In der »Genealogie der Moral« heißt es: »und ich lasse es mir nicht aufbürden, jenes Nein! als Urgrund einer jeden Moralvorstellung anzuerkennen.« Es mag nun verständlich erscheinen, wieso sich wenigstens die Sprache von DFW vielleicht in jenem Grenzenlosen »Grenzbereich« nicht mehr zurechtgefunden hat. Aber es wäre fahrlässig, von der Sprache eines Autors auf dessen Inneres zu schließen. Denn DFW behauptet ja in dem rechtsstehenden Interview selbst: »what I found, was not my will.« Frei übersetzt: Was ich fand, war nämlich nicht mein Wille. Was man nicht finden konnte, bzw. gerade als willensbegabter Mensch nicht finden WILL, nur das wäre dann in der Lage, die Grenzen der Gesetze zu übergehen. Aber wer das will, kann gerade dieses nicht mehr als seinen Willen und die allseits propagierte »Freedom of choice« ansehen.
JesusJerkoff
14. Oktober, 2009 um 22:51
Das Eschaton, eines der wenigen lustigen Highlights des Buches, ist leichter zu verstehen, wenn man „Eschatologie“ nachschlägt, sich darüber Gedanken macht, und dann mal versucht, darüber nachzudenken, worüber sich die „Führer/Präsidenten/Kanzler/usw. Gedanken machen. Jetzt werden diese Personen von zehn- bis fünzehnjährigen repräsentiert und diese agieren erstaunlicherweise genauso wie die realen Politiker (insbesondere wenn man Amerikaner ist und in den frühen Sechzigern geboren). Das läßt sich für den Einzelnen zwar als paradox empfinden, ist jedoch leider nicht änderbar.
Der Schweizer, großartig, obwohl ich irgendwo gelesen habe, daß Herr Blumenbach sich das Unterstütung geholt hat. Leider kenne ich das Original nicht. Lesen sie es einfach mal laut, so wie es dasteht (gut, mehrmals hintereinander, aber dann klappt es).
Viel Spaß noch.
Aléa Torik
14. Oktober, 2009 um 23:40
@ Christian Wiegold
Den Spaß mit meinem Namen höre ich, wie Sie sich leicht vorstellen können, nicht zum ersten Mal. Aber ich höre ihn, meinen Namen, immer gerne. Dieser Name ist übrigens in erheblichem Maße verantwortlich dafür, dass ich mich im Metier der Sprache zu Hause fühle, nicht in einem anderen Zeichensystem. Weder in der Musik noch in der Mathematik. Außer den Quadraten und ihren sechs Seiten habe ich keinerlei Neigung zu Würfeln. Ich habe keinen einzigen in der Wohnung. Nicht einmal für Notfälle. Sollte ich eines Tages in die Situation geraten, aus dem Haus zu treten und nicht zu wissen, ob ich nach rechts oder links will, und willenlos auf der Stelle stehe, dann werde ich, um an diesen Willen heranzukommen, womöglich verschiedene Entscheidungsstrategien erwägen. Aber ich werde sicher nicht würfeln! Verwechseln Sie mich da bitte nicht mit meinem Namen. Denn es wäre fahrlässig von der Sprache …
„Es wäre fahrlässig von der Sprache des Autors auf dessen Inneres zu schließen“. Damit beziehen Sie sich wohl auf meine Schlussbemerkungen? (Oder etwa aufs Ganze? Oh Gott!) Das ist in der Tat ein wenig feuilletonistisch und möglicherweise vorschnell gewesen.
Aber ich bin mit Ihrer Auffassung nicht ganz d´accord. Im Schreiben fiktionaler Texte, welche Form, welchen Stoff und welche Gattung ich auch wähle, suche ich einen Ausdruck für mich. Und deswegen können wir sehr wohl von der Sprache, die einer im Munde führt, auf diesen Mund zurückschließen. Natürlich war Nabokov nicht Humbert. Nabokov war nicht derjenige, der sich für Lolita interessiert hat. Aber er war definitiv derjenige, der sich für Humbert interessiert hat. Und möglicherweise war er auch der, der sich über Humbert für Lolita… Aber da fängt das Spekulieren an. Wir können vom Autor und von der Autorin durchaus auf deren Inneres schließen. Und wenn wir das nicht können, können wir zumindest auf ihr Äußeres schließen. Und so können Sie sich mich auch vorstellen: wohl proportionierte einmeterachtundsiebzig zum Quadrat mal sechs.
@Jesus Jerkoff
Habs probiert, mit dem laut Lesen. Hat aber nicht geklappt. Was halten Sie davon, wenn ich‘s mal von hinten versuche? Oder gespiegelt? Vielleicht auf den Kopf stehend? Ich kann mir auch den Akzent dabei gar nicht vorstellen. Wie will man denn so etwas betonen? Irgendeine Betonung muss doch dabei sein, nicht wahr? Oder sind die Schweizer atonale Sprecher?
Aléa Torik
16. Oktober, 2009 um 08:04
Lieber Herr Jerkoff,
so schnell gebe ich nicht auf. Das Rumänische ist eine romanische Sprache und weist, was die Worte betrifft, ein hohes Maß Übereinstimmung mit der französischen und der italienischen Sprache auf: Rumänen können Franzosen und Italiener oft recht gut verstehen, umgekehrt funktioniert das weniger gut, weil das Rumänische viele Worte slawischen Ursprungs aufgenommen hat. Der gemeinsame Grund dieser Identität ist das Lateinische, das diese drei Sprachen als Fundament haben. Neben den beiden genannten gibt es eine dritte Sprache, die dem Rumänischen nahe steht und das ist das Rätoromanische. Das wird in der Schweiz gesprochen, und zwar, so steht es zumindest bei Wikipedia, in einigen Alpentälern der Schweiz. Es wäre interessant, woher der Schweizer kommt, den der Herr Blumenbach konsultiert hat, aus welchem Tal. Und was ich im Weiteren ebenfalls interessant finde, ist die Frage, warum das Rätoromanische nur in den Alpentälern gesprochen wird und nicht in den höher gelegenen Gebieten. Vielleicht liegt mein Missverstehen gar nicht an den sprachlichen Grundlagen, sondern an den unterschiedlichen Höhenlagen. Mein Rumänisch habe ich daher, wo die meisten Kinder ihre Sprachkenntnisse her haben, von den Eltern, in meinem Fall von der Mutter (das Deutsch stammt vom Vater). Und die kommt aus einem Mittelgebirge, den südlichen Karpaten. Das lässt sich womöglich mit der alpinen rätoromanischen Talsprache nicht gut vereinbaren.
JesusJerkoff
16. Oktober, 2009 um 22:31
Sehr geehrter Herr Torik,
als Geburtschwabe und später nach Baden verschlagener war ich auch kurzweilig in Lahr, eher ein nach Süden beginnender allemanischer Sprachraum, der dem Schweizer Dialekt nicht unähnlich ist. Wenn sie nicht mit der Sprachmelodie aufgewachsen sind, wird es wahrscheinlich schwierig. Hier in „Hochdeutsch“:
„Als jemand, der alle „Aabeehysli“ (?, evtl. Unterhosen) vollgespritzt hat, war ich schon viele Jahre bekannt. In den Kneipen an der Landstraße durfte ich schon seit langen nicht mehr die Toilette benutzen. Zuhause im Bad haben sich die Tapeten schon so gewellt, daß glaubst Du gar nicht. Aber dann, auf einmal … das werde ich nie vergessen. Eine Woche noch und ich hätte neunzig Tage nichts mehr getrunken. Drei Monate wäre ich dann unbetrunken gewesen. Also, ich sitze daheim auf der Toilette, verstehen sie? Ich bin am Drücken wie unglaublich, das glauben sie gar nicht und … und ich war dermaßen erstaunt und habe meinen Augen nicht getraut. Das hatte ich schon lange nicht mehr gesehen, und dann habe ich als erstes gedacht, daß Portemonnai wäre mir ins Häuschen gefallen, verstehen sie? Bei Gott, ich habe gedacht, das Portemonnai wäre mir ins Häuschen gefallen. Ich knie mich also nieder und sehe mir die Sache im schummrigen Licht des Häuschens ganz genau an. Ich habe meinen Augen nicht getraut, verstehen sie, Leute, ich knie also neben dem „Haafe“ (?, evtl. Haufen) und sehe ganz genau hin. Genau so, wie man einem Schatz in die Augen sieht. Meine Freunde, daß ist ein Freude gewesen, da fehlen mir die Worte. Da liegt ein richtiges Würstchen. Ein richtiges Würstchen. Fest, spitz und leicht krumm. Es hat ausgesehen wie ein Würstchen, überhaupt nicht mehr verspritzt. Gerade so, als ob es der liebe Gott gemacht hätte. Also meine Freunde, daß Würstchen war fast wie lebendig. Ich blieb also kniend und habe meinem höheren Wesen dafür gedankt, das Wesen, das für mich der liebe Gott ist, und seit diesem Tag danke ich dem höheren Wesen auf den Knien, am Morgen, am Abend und auf dem Häuschen.
Sollten wir uns mal treffen. Ich trinke Pils ;-)
Aléa Torik
17. Oktober, 2009 um 11:47
Lieber Jesus Jerkoff,
wie ich Ihren Nachnamen nachschlagen musste (den Vornamen kannte ich bereits), so müssen Sie mal bei Gelegenheit meinen Vornamen nachschlagen und so wie ich bei Ihrem Nachnamen kurz errötet bin, so bitte ich Sie nun meinerseits dasselbe zu tun und kurz zu erröten. Im Hebräischen, und daher stammt mein Name, wird, zumindest bei Namen, nach Geschlechtern unterteilt und Aléa ist, wie ich auch, Femininum!
Das finde ich wirklich ausgesprochen nett, dass Sie mir das übersetzen! Ich habe mich sehr gefreut und sofort die beiden Versionen, die Blumenbach‘sche und die Jerkoff‘sche nebeneinander gehalten. Ihre gefällt mir besser! Jetzt kann ich tatsächlich einige der Worte identifizieren.
Die Einladung zum Bier geht selbstverständlich in Ordnung (kennen Sie Staropramen? Oder Rothaus aus dem Schwarzwald?). Bei allen anderen Gelegenheiten lege ich Wert darauf eine Frau zu sein (und könnte ich es mir nachträglich aussuchen, könnte ich das frei entscheiden, ich würde sicher das weibliche Dasein wählen), aber beim Trinken von Alkohol ziehe ich die männliche Existenzform vor, die, die ich für eine männliche halte, nicht das gezierte Nippen an einer Weißweinschorle, sondern Bier trinken. Das wird allerdings in unserem Fall eine ménage à trois, wie die Franzosen das nennen: ich lade Sie selbstverständlich gerne ein, aber bezahlen muss der Herr Blumenbach. Der hat schließlich das Geld fürs Übersetzen eingesteckt. Den trinken wir unter den Tisch. Ich frei mich schon!
Da Sie mir etwas übersetzt haben, rechne ich Ihnen nun im Gegenzug etwas vor. Ich habe eine Körpergröße von 178 Zentimetern, und meine Form ist die Aleatorik, die seit Sueton auf den Würfel reduziert ist. Diese 178 müssen Sie nun zum Quadrat nehmen und, da der klassische Würfel sechs Seiten aufweist, mit sechs multiplizieren. Dann kommen Sie auf die Zahl 190104. Finden Sie nicht auch, dass das eine ausgesprochen feminine Zahl ist? Ich fühle mich durch sie jedenfalls ganz wunderbar repräsentiert. Wir schaffen einfach dieses Durcheinander mit den Namen ab. Jeder bekommt stattdessen eine Zahl bei seiner Geburt, einzige Differenz: gerade Zahlen für Frauen, ungerade für Männer. Darf ich Sie in Zukunft, damit keine Verwechslungen mehr vorkommen bei den Geschlechtern, einfach 226875 nennen? Herrn Blumenbach nennen wir 564761. Und wir drei gehen demnächst ordentlich Bier trinken und philosophieren dabei über den Zungenschlag der Schweizer! Zu fortgeschrittener Stunde muss 564761 uns das dann vormachen, wie sich das anhört. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich mit der entsprechenden Menge Alkohol im Blut diese Sprache recht schnell lerne.
Herzlich
190104
Clemens Setz
17. Oktober, 2009 um 15:03
„Aabeehysli“ = „Toilette“.
ulrich blumenbach
17. Oktober, 2009 um 22:30
sorry, war auf der buchmesse und habe den launigen kommentarwechsel zwischen herrn jerkoff und frau torik zu bier- und dialektsorten eben erst gelesen. gratuliere zu der gelungenen rückübersetzung ins hochdeutsche, lieber herr jerkoff! der schweizer, der die passage übersetzt hat, stammt aus basel. ein „aabeehysli“ ist ein ‚aborthaus‘. ein „hafen“ ist m.w. in mehreren süddeutschen (oder nur alemannischen?) dialekten ein nachttopf und bezeichnet hier die toilettenschüssel. bei der mélange à trois oder wie das heisst (herzlichen gruss von randy lenz) bin ich gern dabei. staropramen mag ich auch, liebe frau torik, muss zu ehren des irischen alkoholikers, der die passage im original spricht, allerdings auf guinness bestehen. herzlichen gruss von 564761.
JesusJerkoff
17. Oktober, 2009 um 22:58
Huch, wie peinlich.
Sehr geehrte Frau Torik,
aus meinen mageren Lateinkenntnissen, zu denen mich meine Patentante genötigt hat, aber das ist eine andere Geschichte, gehörte noch das altbekannte „iacta sunt“, niemals (niemals!) „jacta est“, da „alea“ ein plurale tantum ist. Hoffentlich können Sie folgen. „Augen“ war damals der Hauptbegriff für die Übersetzung von „alea“. Danach kam, in der Übertragung, „Würfel“. Das dürfte auch der Grund dafür sein das das „Gibt es nur im Plural“ ausstarb, weil es faktisch auch nur „einen Würfel“ gab. Lernen Sie nie Latein.
Wiki sei Dank bin ich wieder wissenserweitert und frage mich, ob es da Zusammenhänge zwischen redegewandt und sehensbewandt gibt, die ich noch nicht so durchschaut habe. Vielleicht haben Sie sich ja aus der lateinisch sehenden Wurzel in diejenige verwandelt, die ihre Eindrücke umsetzt, sozusagen transzendiert, und benennt, was ihr am Herzen liegt? Und die Möglichkeit, jemandem zu helfen würde ich mir nie entgehen lassen.
Das mit dem Bier war, so dachte ich, durch das“ ;-) “ als ausreichend virtueller Augenzwinker gekennzeichnet, anscheinend aber nicht. Was nicht heißen soll, daß ich nicht dabei bin. Gerne mit Staropramen. Es gibt da nur so gewisse mariomarginalmäßige Einschränkungen, um vorab Bescheid zu sagen.
…
Faktisch gesehen bin ich eher ein 221184 Typ. Muß ich jetzt Frau werden? Und wie kommt Herr Blumenbach durch Türen?
Aléa Torik
18. Oktober, 2009 um 15:50
Lieber Herr Blumenbach,
das finde ich wunderbar, dass Sie sich in mein Tête-à-tête (in die mélange) mit Herrn Jerkoff einmischen! Ich hatte befürchtet, mein Witz zu Beginn des obigen Beitrages „der so genannte Übersetzter“ hätte bei Ihnen zur Verstimmung geführt. Ich schließe aus Ihrer Einmischung in die Diskussion, dass das nicht der Fall war.
Ich schlage recht häufig Worte nach und das habe ich zum Glück auch bei dem Adjektiv „launig“ getan, sonst hätte ich es sicher mit launisch verwechselt.
Es gibt eine Währung von der sicher alle leben, nicht nur die Übersetzer, die Autoren gleichermaßen, und auch die Kritiker: die Anerkennung. Davon haben Sie ja, glaube ich, schon einiges abbekommen. Ich schließe mich einfach noch an. Wie Charon, der die Toten über die Lethe hinübersetze, also über-setzte, so übersetzen Sie ebenfalls, aber in die andere Richtung, nicht vom Lebenden ins Tote, sondern vom Toten (aus der Sprache, die der Leser üblicherweise nicht versteht) ins Lebende, in das Lebendige der eigenen Sprache. Ich danke also hiermit dem Charonist Ulrich Blumenbach (564761) für die Arbeit, die er sich mit diesem Buch gemacht hat. Auf Englisch hätte ich es nicht gelesen.
Lieber Herr Jerkoff,
Ich fürchte, Sie müssen ein ernstes Wort mit Ihrer Patentante reden. Wenn Sie oder die Tante alea mit Augen übersetzen, kann doch, wie ich meine, nicht von einem plurale tantum (also ein Wort, das im Singular nicht vorkommt, Eltern beispielsweise) die Rede sein, denn das Auge gibt es durchaus im Singular. Aber die Übersetzung von alea mit „Auge“ kann ich nicht nachvollziehen. Wo haben Sie das her (das interessiert mich wirklich!)?
Augen nennt man auch die Markierungen auf einem Würfel. Einäugigkeit ist auf Würfeln ja recht verbreitet, mit exakt derselben Häufigkeit mit der alle anderen Zahlen, Markierungen und Augen auftauchen. Bei dem klassischen sechsflächigen Hexaeder ist das Verhältnis ein zu sechs (bei diesem Würfel ist die Summe der Augen auf den gegenüberliegenden Quadraten stets sieben, nur zur Information). Und beim Homer in der Odyssee finden Sie im neunten Gesang die Geschichte von Polyphem, dem einäugigen Zyklopen. Vielleicht rede ich besser mal mit ihrer Tante. Mit Tanten komme ich gut klar. Nicht, dass es noch zu familiären Spannungen kommt. Ist tantum eigentlich die geschlechtsneutrale Form von Tante?
„Mariomarginalmäßige Einschränkungen“: Wollen Sie dem DFW in Sachen Neologismen Konkurrenz machen? Lassen Sie mich raten. Sie laufen mit einer Kamera auf dem Kopf herum? Sie haben ein Polizeischloss um die Hüften und die U.S.S.M.K. ist Ihnen wegen Ihrer unverschämt schönen Wimpern auf den Fersen? Oder vertragen Sie das Trinken einfach nicht? Ich könnte Ihnen ein paar osteuropäische Schweinereien zusammenmixen, die werden Sie in einen Zustand versetzen, da merken Sie gar nicht mehr, dass Sie das nicht vertragen. Oder Sie trinken Fanta! Wir sind ja, was die Wahl der Getränke betrifft, etwas uneinig, Herr Blumenbach schlägt Guinness vor und bezieht sich auf irgendeine an den Haaren herbeigezogene Verpflichtung einem irischen Alkoholiker gegenüber. Dabei trinkt er in Wirklichkeit bestimmt lieber Pils aus Prag.
Für den Mittelteil Ihres Beitrages bekommen Sie uneingeschränktes Lob von mir! Sie führen mir da eine entzückende Zukunft vor Augen. Das haben Sie auch flink recherchiert. Alea heißt im Hebräischen tatsächlich „Die Aufsteigende“. Wenn Sie es mit Eulalia assoziieren, bedeutet die Vorsilbe eu – gut und lalein – reden, also die gut Redende oder die Sprachgewandte.
„Wie kommt Herr Blumenbach durch Türen?“: Seit ich Ihren Kommentar gestern Abend gelesen habe, geht mir das durch den Kopf. Und ich finde es nicht heraus. Türen? Wieso Türen? Portas? Portabel? Portikus? Blumen? Bach? Schweiz? Toilettentüren? Ab-Ort (wie U-topos?). Ich meine es verstehen zu müssen, aber ich verstehe es nicht. Ich habe ein Brett vorm Kopf. Das ist so breit, dass ich meinerseits nun nicht durch die Türe komme, die Sie mir da andeuten. Aber ich kann auch mit Brett noch Probleme lösen! Dazu stelle ich mir einfach vor, ich wäre Hubschrauberpilotin in einem Hubschrauber der mit einem anderen Hubschrauber in der Luft zusammenstößt (an dieser durchaus interessanten, nahezu zentralen Stelle ist DFW ausnahmsweise einmal nicht so detailliert wie üblich, aber der Leser, vor allem die Leserin, will das hier natürlich dringend wissen: wie war denn der andere Hubschrauber besetzt, auch mit einer Pilotin?), den Zusammenstoß und den darauf folgenden Absturz erstaunlicherweise überlebt und sich von da nur noch seitwärts bewegt. So löse ich dieses Problem mit der Türe auch, wie Lateral Alice Moore, lateral natürlich. Wenn Sie mir nun sagen, was es mit der vertikalen oder horizontalen Türe auf sich hat, dann sage ich Ihnen wie die laterale Lösung der Blumenbach‘schen Türproblems ausgesehen hätte!
JesusJerkoff
18. Oktober, 2009 um 20:19
Sehr geehrte Frau Torik,
lassen Sie mich chronologisch auf Ihre Fragen eingehen, sonst wird es ja noch verwirrender. Damals, als ich in der Schule noch Latein hatte, war die korrekte Übersetzung für das lateinische Wort „alea“ – „Augen“. Unsere Lateinlehrerin (Frau Kramer, die das Verb „kramern“ erfunden hat, als sie eines Tages gedankenversonnen gegen eine der oktaedrischen Säulen unserer Schule lief) hat uns immer eindringlich darauf hingewiesen, daß es sich dabei um ein „plurale tantum“ handelt und wer „alea iacta est“ gesagt/gedacht/verwendet hat, wurde stets ermahnt, daß es „alea iacta sunt“ heißt und sich genau an dieser Stelle der Küchenlateiner von dem Bildungslateiner unterscheidet. Das ist bei mir so hängengeblieben. Obwohl es auch damals schon Zyklopen gab und die Zweitbedeutung von „alea“ – „Würfel“ war.
Die Mehrheit der Bevölkerung denkt bei Homer ja eher an Donuts, Turmfrisuren von Marge und was Bart wohl wieder ausgefressen hat und nicht an eine Odysee, dazu zähle ich mich auch. Außerdem habe Sie bei der Würfelbetrachtung den Knüller schlechthin vergessen, nämlich die Summe der Gesamtpunkte, die, wenn man sie mit zwei Augen, vulgo doppelt betrachtet, den Kern eines Romanes von Douglas Adams bildet. Glatzköpfige können sich gerne bei mir beschweren, wenn sie glauben, meine Argumentation hätte zu ihrem Zustand geführt.
Eine Kamera trage ich nicht auf dem Kopf, früher in Händen, aber seit die Digitalfotografie Einzug gehalten hat, habe ich aufgegeben, gegen soviel Schrott kommt man als Einzelner einfach nicht an. Das mit dem Polizeischloß kommt schon eher hin, ist aber jetzt zu privat, um hier ausgebreitet zu werden. Schlagen Sie mal unter Spondylodese nach, dann wissen Sie, was ich nicht mit mir machen habe lassen.
Jetzt zu Staropramen. Ein Freund von mir hat vor drei Monaten ein paar Flaschen zum Darten mitgebracht und man muß einfach sagen, dieser frische, maischige Geschmack, diese Vielfalt der Gerstigkeit und der Abgang sind mit deutschen Bieren nur dahingehend zu vergleichen, daß letztgenannte furchtbar fade sind. Aber wenn Herr Blumenbach zahlt, kann er auch gerne sein Culpa-Guinness trinken.
Danke für das Lob und für Ihre Sprachgewandheit, macht richtig Spaß zu lesen.
Das Türproblem ergibt sich in der Analogie zu Ihrer 190104. Wenn man Herr 564761 durch sechs teilt und verwurzelt ist er ja dreimetersechs groß, hier wird die Augenscheinlichkeit ja fast schon rahmensprengend und lateral kommt er da auch nicht weiter.
Da bei mir heute Lesepause ist kann ich Ihnen bezüglich der Hubschrauberbesatzungen nicht weiterhelfen. Werde aber ein „Auge“ darauf haben.
Liebe Grüße von 226875 der an sich 221184 ist.
Aléa Torik
19. Oktober, 2009 um 23:34
Lieber Herr Jerkoff!
Oh je, was für ein Tag. Das neue Semester fängt ja großartig an. Erst mit Hegel in der Bibliothek und dann mit einem Aufsatz von Julia Kristeva in der Cafeteria und dann mit leeren Händen im Doktorandenseminar, wo jeder 300 Seiten Promotion hinhaut und alle anderen das zur Kenntnis nehmen sollen, damit Sie dann gemeinsam diskutieren können. Soll ich vielleicht den halben Lacan an einem Nachmittag lesen, am besten im Original?! Jetzt will ich noch etwas zu Ihrem Kommentar sagen und dann gehe ich ins Bett und jammere noch ein wenig vor mich hin!
Wissen Sie was das zentrale Problem beim Tennis ist? Die Häufigkeit, mit der der Ball im eigenen Spielfeld landet! Und viel schlimmer ist, dass er liegt, statt in der Luft zu sein. Ich bin gerade etwas kleinlaut. Mein Lateinwörterbuch hat das nicht hergegeben, aber es sieht tatsächlich so aus, als wenn alea aus dem Lateinischen übersetzt zwei Bedeutungen hat. In der Kombination mit meinem Nachnamen lässt sich allerdings nur noch auf den Würfel (meine Form), Zufälligkeit (meine Absichten) und Willkürlichkeit (mein Charakter) schließen.
Die medizinische Seite lassen wir hier wirklich außen vor und besprechen das bei einer anderen Gelegenheit.
Die Mehrheit der Bevölkerung denkt bei Homer ja eher an Donuts, Turmfrisuren von Marge und was Bart wohl wieder ausgefressen hat: um ehrlich zu sein, ich verstehe kein einziges Wort. Donuts? Frisuren? Bart? Ist das ein versteckter Intelligenztest?
Arbeiten Sie als Werbetexter für Biersorten? Das ist ja großartig beschrieben. Danke auch für Ihr Lob, mir machen Ihre Kommentare ebenfalls Spaß.
Übrigens, wo wir uns schon so gut kennen und ganz unter uns: wir sind ja jetzt hier ziemlich weit unten gelandet, und mit unten meine ich weit unterhalb vom Ende dessen, was da oben steht (und noch weiter unterhalb vom Anfang von dem was da oben steht) und das da oben ist der Text den ich geschrieben habe. Und Sie sind doch hier der Kommentator? Haben Sie das eigentlich jemals auch nur mit einem einzigen Wort kommentiert? Haben Sie das überhaupt gelesen? Interessiert Sie wohl nicht, was ich so schreibe, oder? Sie merken, ich streife langsam den misslungenen Tages ab und erwache wieder zur üblichen Streitlustigkeit.
Und jetzt zu dem Zahlenspiel. Es ist kein Wunder, dass ich das nicht verstanden habe. Das aleatorische Hochrechnen von Körpergröße zum Quadrat mit sechs multipliziert, das gilt doch nur für mich! Für alle anderen gilt eine arbiträre Methode: jeder sucht sich die Zahl die ihm gefällt. Und da habe ich mit Ihrer Wahl zugegeben etwas Schwierigkeiten. Das scheint mir eine narzisstische Zerrung, die sie da haben, pardon Verzerrung, meine ich.
Ich glaube, ich schalte doch nicht mehr hoch. Das gerade war nur noch ein letztes Zucken. Ich schalte jetzt alles runter und aus und gehe ins Bett.
Eine gute Nacht!
JesusJerkoff
21. Oktober, 2009 um 19:10
Liebe Frau Torik,
hoffentlich haben Sie gut geschlafen und sind nicht mehr so launig, auch wenn sich ihr Arbeitspensum dadurch zweifellos nicht verringert.
Natürlich war das kein Intelligenztest, sondern eine Anspielung auf die Simpsons, eine Fernsehserie mit Zeichentrickfiguren, die eben so heißen, Homer, Marge und Bart. Dafür kennen Sie Julia Kristeva, G.W.F. Hegel und Jacques Lacan, bei denen ich erst einmal nachschlagen muß. Gut, Hegel hatte ich schon mal gehört, aber den Inhalt seiner Werke kenne ich nicht. Vielleicht können Sie sich ja Lacan sparen, in dem Sie seine Aussage: „La femme n‘ existe pas.“ zitieren und argumentieren, wer nicht ist, muß auch nicht lesen. Über Frau Kristeva habe ich jetzt auf die schnelle nicht viel inhaltliches gefunden.
Und jetzt mal ganz nach oben.
Es ist mir nicht gelungen zu verstehen, was affirmative Lesen ist. Erschließt sich mir ohne Ihre Hilfe auch wahrscheinlich nicht.
Das Nichts kann ich mir nur vorstellen, in dem ich mir etwas hinzudenke und da bin ich schon wieder in der Logikschlaufe gefangen, so in der Art, ein Loch ist Nichts mit was drum rum.
Valery? Tristram Shandy? Joyce? Robbe-Grillet? Cortazár? Deleuze? Guattari? Da können Sie aber viele Zeigefinger auspacken und mich als unplietschig rausdeuten. Ich wollte doch nur unendlichen Spaß.
Die Mobile-Analogie ist für mich nachvollziehbar, beginnt aber zu haken, wenn sich die Sphären der Charaktäre überschneiden, da das bei einem Mobile nicht vorgesehen ist. Und wie soll ich dieses Mobile als außerhalb der Zeit betrachten, wenn sich doch ständig etwas verändert?
Bei den Bedeutungsfragen bin ich selber noch nicht dahintergestiegen. Die Clipperton Episode könnte gemahnen, sich seine Ziele vorher zu überlegen, und, wenn man bei der Erkenntis angelangt ist, daß diese nur mit Gewalt durchsetzen sind, ob es sich immer noch lohnt, das Ziel zu weiterzuverfolgen, oder ob es dann beim Erreichen nur noch schal und hohl ist. Ist aber auch nur eine Theorie. Weitere wäre, könnte, wenns und abers kann ich erst liefern, wenn ich die Strukturen erfaßt habe.
Als Sie dann geschrieben habe, Sie hätten das Buch noch nicht ganz gelesen, stellte sich mir das Problem, daß ich es schon gelesen habe. Das Risiko, etwas rauszuplappern, das nach der ersten Hälfte geschieht und das Sie noch gar nicht kennen, war mir einfach zu groß und Lesespaßschmälerer wollte ich auch nicht sein. Mittlerweile bin ich wieder bei S. 798.
Das mit der menschlichen Schönheit. Stimmt. Das mit dem Begehren. Aber was begehre ich dann? Eine Hülle mit ansprechendem Außen, dessen Inhalt mich nicht interessiert? Zunächst ist es natürlich das Gegenüber, das die Schönheit definiert. Aber es gibt ja so viele Gegenüber und alle mit unterschiedlichem Begehren (hört sich ja fast wie Marathe an). Läßt sich mein subjektives Schönheitsempfinden dadurch beeinflussen, daß ich weiß, das andere diese Schönheit begehren? Erhöht mich eine Reaktion des Schönen mir gegenüber denen, die dem Schönen keine Reaktion entlocken können? Und wie konnte in unserer Zeit Schönheit dermaßen zur Ware verkommen, die nur noch besessen und ausgestellt werden möchte und an der man sich nicht mehr erfreuen kann?
Ich lese wirklich, was Sie schreiben. Nicht, daß ich alles verstehe. Kurzfristig habe ich sogar darüber nachgedacht, warum sie Rémy ohne accent aigu schreiben, diesen Gedanken dann aber fallen lassen. Wahrscheinlich haben Sie es einfach vergessen.
Jetzt kann ich nicht mehr. Schlafen Sie gut.
Aléa Torik
21. Oktober, 2009 um 23:14
Lieber Herr Jerkoff,
schön der Reihe nach.
Die Simpsons kannte ich nur dem Namen nach. Ich habe keinen Fernsehapparat. Ich weiß so oft schon nicht, wie ich meinen Tag managen soll, mit Fernsehen ging das gar nicht mehr. Ich habe auch noch nie einen besessen.
Jacques Lacan war der bedeutendste Vertreter der strukturalistischen Psychoanalyse in Frankreich und der Satz „Die Frau existiert nicht“ ist die berüchtigtste seiner Formulierungen (ein bisschen berühmter ist noch: „Ich ist ein Anderer“, obwohl das eigentlich von Rimbaud ist). Man streitet ganz gerne über diese Formulierung, vor allem in feministischen Kreisen. Allerdings streiten da nur die miteinander, die nicht so gut Latein können wie wir beide. Denn Sie wissen natürlich gerade eben so gut wie ich, wenn nicht sogar besser, dass sich das auf die Lage der primären Geschlechtsorgane bezieht. Die männlichen, außen liegenden, die existieren (sistere ex – nach außen sein) und die weiblichen, nach innen liegenden, also insistieren (sistere in). Die Frau existiert nicht, weil sie insistiert. Aber da erzähle ich Ihnen ja nichts Neues, Ihnen und Ihrer oktaedrisierten Frau Kramer!
Meine Kenntnisse von Julia Kristeva sind auch eher marginal. Ich muss etwas für das Doktorandenkolloquium lesen, und müssen heißt hier tatsächlich müssen, und nicht können oder möchten. Das mit dem name-dropping dürfen Sie so erst nicht nehmen, ich habe Philosophie und Literaturwissenschaften studiert, die Rumänen sind von jeher sehr frankophon, und Derrida, Lacan und Deleuze hat man da eben mal ein bisschen studiert. Das heißt noch lange nicht, dass man wirklich etwas davon versteht. Robbe-Grillet ist ein Abenteuer, der genannte Roman von Julio Cortázar ist lesenswert und noch mehr sind es die Erzählungen.
Und jetzt zu meiner Ermahnung. Sie müssen das, was ich da schreibe nicht lesen! Das war ein Witz! Sie sollen lesen, worauf Sie Lust haben. Und wenn Sie keine Lust dazu haben, dann lesen Sie was anderes oder gehen zu den Kommentaren und machen einen Intelligenztest mit mir (aber einen den ich verstehe) und wir hauen uns hier die Bemerkungen um die Ohren. Ich muss nicht immer ernste Sachen verhandeln. Und übrigens: ich verstehe von dem was ich da oben schreibe auch höchstens die Hälfte. Und das hier unten macht mir genauso viel Spaß wie das da oben!
Es ist tatsächlich ein Problem über etwas zu schreiben, wovon man gerade einmal die Hälfte kennt. Ich stehe so auf Seite 800. Aber da stehe ich jetzt auch schon länger. Es ist sehr interessant, sich vorzustellen wie es weitergehen könnte. Man dreht ein bisschen an dem, was man hat, man dreht etwas von dem hinein, was man nicht hat. Und das wird dann so ein Amalgam. Ich bin sehr gespannt, was sich von meinen Phantasien und Vorstellungen noch verwirklicht und was sich als Unsinn erweisen wird. Vor allem was Joelle und ihre weitere Entwicklung angeht.
Zum Bild des Mobiles: Sie haben Recht. Das ist nicht eins zu eins in die Wirklichkeit zu übersetzten. Was im Raum hängt ist, sobald es sich zu drehen, sobald es sich zu bewegen anfängt auch in der Zeit. Ich glaube, ich habe das auch zu relativieren versucht, indem ich sagte, dass es eine strenge Trennung von Raum und Zeit beim Lesen und Schreiben nicht geben kann, das sind immer Mischformen. Ich finde es interessant und aufschlussreich, sich über solche Figuren Gedanken zu machen.
Zur Thema Schönheit und Begehren. Lacan sagt: „Das Begehren des Menschen ist das Begehren des Andren“: will hießen: wir begehren im einen den anderen (nicht einen bestimmten anderen, sondern das Andere im anderen).
Ich finde es schön, dass Sie jetzt auch Fragen stellen zu diesem Thema. Mehr will ich selbst eigentlich auch gar nicht. Ich denke da laut vor mich hin. Nicht ohne darauf zu achten, dass es eine einigermaßen gefügige Konstruktion bekommt, also zusammengefügt, verfugt. Wie heißt das? Glatt? Möglichst ohne Huckel. Also ohne Lesehuckel.
Was ich ganz wunderbar an ihrem Kommentar finde, ist, dass Sie am Ende wieder diesen Zug haben, wo Sie mir doch noch mal am Zeug flicken wollen, dass ich dort den Akzent d’aigu über dem e von Rémy Marathe nicht gesetzt habe. Und Sie mich dann großzügig von allen Beabsichtigungen frei sprechen und mir ein Vergessen zugestehen. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Ich hab‘s vergessen. Ich lach mich tot. Das macht mir wirklich Spaß!
Apropos Spaß: wissen Sie warum das Buch „Unendlicher Spass“ heißt, obwohl es die Rechtschreibung nicht zulässt, denn nach einem langen Vokal gibt es kein doppeltes s, da kommt ein scharfes ß. Wissen Sie`s? Ich weiß es! Aber auch erst seit heute Mittag. Und ich bin auch nicht von alleine darauf gekommen. Man hat es mir gesagt. Und die, die es mir gesagt hat, hat es auch nicht von sich aus kapiert, sondern ihr Freund hat es ihr gesagt: Weil der Titel dieses Buches in Großbuchstaben geschrieben ist und in Großbuchstaben gibt es tatsächlich kein scharfes ß. Da bleibt nur die Möglichkeit es mit einem doppelten s zu umschreiben. Nur falls Sie das interessiert! Und jetzt lese ich noch ein paar Seiten. Sie schlafen wahrscheinlich schon mit einer Kiste Staropramen im Arm, nehme ich an.
NO
22. Oktober, 2009 um 14:11
Liebe Alea Torik!
Mit Bitte um Nachsicht für späten Einstieg und langsamen Fortschritt (per heute auf S. 480, mitten im Eschaton-Spiel) erst jetzt das Lob für die hilfreiche Beschreibung der 3 (oder 4) Erzählzentren (Chaos und Kosmos vom 12. 10. 09).
Halten Sie denn heute eigentlich nach weiterem Lesepensum noch an Ihrer Auffassung der vier gleichberechtigten Zentren fest?
Joelle van Dyne kommt (bis zur S. 480) nur zu 2 oder 3 kurzen Auftritten, die allerdings (wie insbesondere die an den crack-Konsum der Michael Douglas-Tochter in Traffic erinnernde Drogeneinnahme auf der Party auf S. 337 ff. zu den bisher beeindruckensten Passagen dieses Romans gehören). Und vom Umfang her tritt doch das Zentrum um Marathe und Steeply deutlich hinter das Zentrum Gately und das Ennet House zurück, das seinerseits weit weniger Umfang aufweist, als das Zentrum Hal Incandenza und die ETA. Zudem wäre Joelle als Ex von Orin und James Incandenza und als Star des Films Unendlicher Spaß mit noch größerem Recht dem Hal/ETA-Zentrum zuzuordnen, als etwa Poor Tony Krause (mit den großartigen, intensiven, fürchterlichen Szenen um Drogentod auf S. 185 ff. und um Entzug, Scheiße und Dostojewski’schem Epilepsieanfall auf S. 432 ff.) dem Drogenzentrum Gately/Ennet House.
Vielleicht muss man angesichts dieser Über- und Unterordnung nach Umfang doch von nur einem Zentrum des Romans ausgehen, zumal Hal als die bislang sympathischste Figur erscheint. Und es fragt sich dann, ob man von dort aus abstürzen kann in die Hölle des Ennet House, oder aufsteigen kann in den Himmel des Felsplateaus.
Und wenn es dann also doch eine Über- und Unter-Ordnung und demzufolge doch einen Plot und einen Haupterzählstrang geben sollte, trägt dann Ihre Chaos-und-Kosmos-Theorie noch? Oder geht es insgesamt und einheitlich um Erlösung? Dann könnte die Funktion des schweißableckenden Gurus dieselbe sein wie die von Don Gately:
Über Letzteren hat ja Ulrich Blumenbach im Literaturclub-Gespräch mir Iris Radisch gesagt, der empfinde mit den Ärmsten der Armen und wirft sich aus dieser Haltung in eine für einen anderen bestimmten Revolverkugel. Er verkörpert also Ulrich Blumenbachs Statement, nach Lesen des Buches hege man zumindest den Wunsch, ein besserer Mensch zu werden. Der Name wäre dann also Program, Gately ist das Tor nach oben. Guru Lyle vermittelt: „So möchte ich werden. Fähig, seelenruhig dazusitzen und das Leben an mich heranzuziehen“ (S. 185). Über ihn (bzw. seine Haltung) ginge es auch für die ETA-Mitglieder nach oben, wie es ja tatsächlich ja auch manchmal physisch mit denen geschieht, wenn sie nach oben gezogen werden, weil sie entgegen dem, was „Und der HERR sprach“ (S. 184), das Bankgewicht höher einstellen als das Körpergewicht. Und passt denn nicht dazu, dass Hugh Steeply („huge“ klingt an und „deep“) Marathe fragt: „Wie bist Du in Gottesnamen hier heraufgekommen? (S. 129). Und der antwortet quasi, meine Zeit steht in Deinen Händen („Meine Zeit ist endlich“).
Beste Grüße
NO
JesusJerkoff
22. Oktober, 2009 um 20:40
Liebe Frau Torik,
wahrscheinlich werde ich heute nicht mehr die Zeit finden, Ihren neuen Eintrag durchzulesen, äußere mich aber mit Sicherheit später noch dazu, so als Kommentator, wenn was kommentierbar wäre.
Frau Kramer hat mich leider nicht auf die innewohnenden Erkenntnisse von primären Geschlechtsorganen aufmerksam gemacht, aber aus der von Ihnen beleuchteten Sicht betrachtet ist es schlüssig. Ob Calvin Thrust unter Koks (Endnote 232) jetzt als der größte Existenzialist bezeichnet werden darf, erscheint dagegen wieder fraglich.
Schade, daß ich das schon wußte. Mit der Majuskel. Es gab da eine Prorektorin, die Binnenmajuskeln zu schätzen wußte, was ich nicht kapiert habe, da ich kein Wort mit Binnenmajuskeln kenne. Wursch. Und Ihre Leseaufforderung hat so rehäugig geklungen. Mein Dartpartner naht…
Aléa Torik
22. Oktober, 2009 um 22:11
Liebe(r) NO!
Ich möchte Sie gerne mit zumindest einer Antwort ein wenig vertrösten: der Antwort auf die Frage nach der Stellung von Joelle van Dyne. Mein nächster Beitrag soll sich genau damit beschäftigen. Von dem existieren bisher lediglich drei Worte, die Überschrift. Und aus drei Worten lässt sich keine gescheite Antwort zusammen basteln. Auf ihre anderen Anmerkungen kann ich sofort antworten.
Sie haben Recht mit Ihrer Aussage, dass es entweder einen Haupterzählstrang und einen Plot gibt oder eine chaotische Erzählweise und eine Anordnung einzelner Mobileteile. Das sind Alternativen die sich nicht vermitteln lassen. Ich habe von drei Zentren gesprochen und einem weiteren, Joelle als dem Zentrum der Gesamtgefüges. Sie wenden dagegen ein, dass es sich bei Joelle um eine vereinzelte Figur handelt, die durchaus einem Erzählstrang zugeordnet werden kann. Die Topologie die Sie anbieten, ist eine die nach Textmenge sortiert. In der Mitte siedeln Sie den (im ersten Drittel) umfangreichsten Teil an, die ETA. Unten ist die Hölle und oben das Paradies. Anders als bei Dante ist die Dreiteilung, die Sie vornehmen eine, die in der Mitte beginnt, und dann zwei mögliche Entwicklungen aufzeigt: Paradies (mit Erlösung durch die Philosophie oder durch die Kugel aus der Waffe des Gegners) oder Hölle (mit ewiger Drogensucht oder ewigem Entzug). Nach Abschluss unserer Lektüre wissen wir mehr (oder nicht) und werden das hoffentlich auch diskutieren.
Ich bin in meiner Lektüre noch nicht bei Gatelys Tod und kann noch nichts dazu sagen. Ist das mit Wallace vorstellbar, dass der Tod dieser Figur – aus dem, was Sie unten verorten – als ein Tor nach oben gedacht ist, ins Bessere, ins Paradies? Ist der Gedanke der Erlösung – der doch die Sünde oder den Fall voraussetzt – ist das einer, der hier eine Rolle spielt?
Bei der Bedeutung des Körpergewichts ist auch der Umstand interessant, dass dem keine absolute Bedeutung zukommt, wie bei der Geschichte mit dem Maurer und dem Flaschenzug demonstriert wird (S.199 ff.). Aber wofür steht dieses Gewicht? Hat das etwas mit Auf- und Abstieg zu tun, den Sie andeuten, in einem metaphysischen, religiösen Sinne? Oder meinen Sie Erlösung nicht in einem religiösen Sinne, sondern einfach als ein Ende? Und wenn Lyle eine mögliche Erlösung darstellen würde, einer, der von der Mühsal des Lebens erlöst ist, weil er weder nach oben will noch nach unten abrutschen kann, weil er in sich ruht; was wäre das für eine Erlösung? Erlösung die zustande kommt, weil einer nichts mehr will? Auch bei dieser Figur bin ich gespannt, was Wallace noch mir ihr vorhat.
Ich habe Ihnen eigentlich keine Antwort gegeben, sondern nur noch mehr Fragen aufgeworfen. Aber ich habe es wenigstens versucht.
seneca
23. Oktober, 2009 um 16:09
»am anfang war das tohuwabu. wir sagen heute: das rauschen, das hintergrundrauschen. woher sollte denn auch das wort kommen, wenn nicht das rauschen? unsere ahnen sagten: das chaos. sie waren in eine welt hineingestellt – uns umgeben ströme von signalen. jedem seine unordnung, an den grenzen jeglicher ordnung. aber der unterschied ist nicht so groß, wie man meinen mag. pantagruel hatte, wie wir und viele andere seefahrer, die inseln tohu und bowu passiert, bevor er sich in das wütende treiben des orkans stürzte. man erleidet nicht alle tage schiffbruch. und es kommt der tag, da fährt das schiff durch ein meer unsinniger stimmen.« michel serres, hermes 4, die verteilung, s.7. das ist der anfang. bzw. die ausgangsbedingung, an der die fließenden ränder der ordnung und der unordnung entstehen, eine neue grenze, wo die grenzen von subjekt und objekt an bedeutung verlieren bzw. wo die ordnung das seltene und die unordnung die regel ist. offensichtlich konnte wallace diese grenze nicht mehr aushalten, egal ob das unsinnige die wolke, das meer oder die unordnung ist, oder das wissen über die inseln, über die ordnung oder die ultrastrukturen, das heute an unsinnigkeit kaum noch zu überbieten ist. vielleicht ist das meer unsinniger stimmen nicht der sturm, die wolke, sondern das der gesetze, der regeln, der ordnungen. das eine wechselt in das andere, ohne vermittlungen, sondern durch übertragungen, verteilungen
und simultaneitäten, wobei die gleichzeitigkeit bzw. die reversible zeit nicht reduzierbar auf den raum ist, was weniger als eine annäherung wäre. so wenig es leicht zu verstehen ist, dass wir in verschiedenen zeiten leben – die reversible zeit ist die zeit der ordnung, die irreversible die zeit der unordnung – so wenig ist es leicht zu verstehen, dass wallace, ohne ein abbildungsverhältnis bzw. nur eine karte, die schon keines mehr ist, herzustellen, im text mehrere zeiten verknotet, inklusive der dritten, der negentropischen zeit, der irreversiblen erfindung des neuen. dichtung und wissenschaft, eine exakte rhapsodie, schreibt serres. das ist der ausgangspunkt, auch von us.
Aléa Torik
24. Oktober, 2009 um 11:19
Hallo Seneca,
zuerst wollte ich „Sehr geehrter Herr Seneca“ schreiben, weil ich davon ausgehe, dass Sie ein Mann sind. Aber dann hat mir das nicht gefallen, Sie auf das Geschlecht zu reduzieren und ich wollte ein „Sehr geehrter Seneca“ daraus machen. Da war mir der Widerspruch zu groß zwischen der Vertrautheit dieses Namens und der Fremdheit und Distanz, die durch die Anrede entsteht. Jetzt bin ich sehr zufrieden mit der Wahl meiner Anrede und ich hoffe, das geht Ihnen ähnlich.
Das Wort „tohubawu“ kannte ich nicht und musste das natürlich nachschlagen. Ich habe Rabelais leider nicht gelesen, muss ich eingestehen. Sie zitieren da eine schöne Stelle aus dem Text von Micheal Serres und Sie formulieren überhaupt sehr schöne, interessante und konsistente Gedanken. Zum Beispiel den, dass Chaos und Kosmos nicht nur Gegensätze sind, sondern auch ineinander umschlagen können, dass sie einander ununterscheidbar werden können. Ich gebrauche das Wort interessant in Sinne von aufschlussreich, als eine Möglichkeit weiterzudenken, weiterzuarbeiten, die Überlegungen laufen zu lassen. Dass Ordnungen (Gesetze wie „rechts vor links“ oder das Inzestverbot oder alles, was mit „Du sollst nicht … „“ beginnt oder das Deutsche Grundgesetz) auch so komplex werden können, dass daraus Unordnung wird; dieser Gedanke, dass die Gegensätze, die ich ja in meinem Artikel sehr stark betone, ineinander übergehen können und ununterscheidbar werden, und das Kosmos dann nicht das geordnete Chaos ist, gehört zu diesen interessanten Gedanken, die Sie formulieren. Das eine schlägt, wie Sie sagen, ohne Vermittlung in das andere über. Eine Figur, die mit Hegel, wenn ich richtig sehe, nicht zu verstehen ist, da sind Übergänge dialektisch konstruiert.
Simultaneität und Gleichzeitigkeit sind Vorstellungen, die sich einer Dialektik entziehen. Ich bin gerade nicht sicher wie das zu bewerten ist. In der Literatur finde ich dies einen sehr interessanten Ansatz, was ich hoffentlich auch deutlich gemacht habe. Aber wenn wir es auf gesellschaftliche Prozesse übertragen, ist die Frage, ob Hegels Ansatz nicht der humanere ist. Selbst dann, wenn er heute nicht mehr trägt. Mein Philosophieprofessor in Bukarest hat immer wiederholt, dass die eigentliche Tragik von Karl Marx gewesen sei, dass er Schüler Hegels war und ohne es zu hinterfragen, die Gedankenfigur übernommen hat, dass am Ende eines jeden dialektischen Prozesses die Erlösung steht. Eine Gedankenfigur oder ein Wort, Erlösung, das NO in seinem Kommentar zu meinem Beitrag eingebracht hat und über das ich noch nachdenke. Und NO hoffentlich auch!
Ich kann das nicht beantworten und breche das jetzt ab. Aber nicht ohne zu sagen: ich studiere an der Universität an der Hegel unterrichtet hat und wo Marx in seinen Seminaren gesessen und gelauscht hat (ich war auch schon an Hegels Grab, obwohl ich sonst keine Neigung zur Nekrophilie habe). Ich bin ja schon drei Jahre hier, trotzdem denke ich manchmal, wie großartig das doch ist.
Würden Sie mir freundlicherweise diese Formulierung erklären? „ohne ein abbildungsverhältnis bzw. nur eine karte, die schon keines mehr ist, herzustellen, im text mehrere zeiten verknotet, inklusive der dritten, der negentropischen zeit, der irreversiblen erfindung des neuen. dichtung und wissenschaft“
Es ist Samstagmorgen und ich werde mich jetzt in das Chaos eines Supermarktes stützen und genau die Teile aus den Regalen ziehen, die ich für ein gut geordnetes Abendessen mit zwei Freunden benötige, denen ich ein rumänisches Essen vorsetzen muss, dass sie hoffentlich ohne Schaden an Leib und Seele überstehen werden.
Sie haben in dem Kommentarformular eine Webadresse angegeben, die leider unvollständig ist. Können Sie das vielleicht bei einem nächsten Kommentar, wenn der geplant sein sollte, korrigieren? Ich würde mir gerne anschauen, was sich mir da entzieht.
Aléa Torik
25. Oktober, 2009 um 11:39
Lieber Seneca,
so ist das manchmal beim Denken und Schreiben, da gehen die Gedanken ihre eigenen Wege und man verpasst eine wichtige Abzweigung. So erging mir das Gestern. Aber ich gehe noch mal zurück zu der entscheidenden Stelle und will Ihnen das Verpasste nachliefern. Als ich von meinem Professor sagte, es habe die Tragik Marx beklagt, da hätte ich hinzufügen müssen, dass er unser aller Tragik beklagt hat: wir, oder die aus dem Osten, die dem kommunistischen Gedanken angehangen und an dieses Gesellschaftsmodell geglaubt haben, oder die, wie viele Intellektuelle, nicht daran geglaubt, aber dennoch verstanden haben, dass es ein utopisches Modell ist und dass es einen prognostischen Charakter hat, und die dann von dem Untergang dieser Gesellschaft – den sie auch erhofft haben und befürchtet gleichermaßen (denn mit dem Untergang dieser Modells ist auch die Utopie untergegangen und dadurch war mit einem Mal sehr viel mehr Gegenwart vorhanden als sie es gewöhnt waren, denn aus all der Zukunft dieses Utopismus musste ja etwas werden, das konnte man ja nicht ersatzlos streichen); die dann bei dem Untergang dieses Modells den Gedanken nicht unterdrücken konnten, dass sie um ihr Leben betrogen worden sind. Mit den Worten über die Tragik Marx hat dieser Professor sein eigenes Schicksal und das vieler Millionen Menschen beklagt, die plötzlich nicht mehr wussten, wo sie eigentlich stehen im Leben. Das ist vielleicht für jemanden wie Sie, ob Sie nun aus Deutschland stammen oder aus dem antiken Griechenland, nicht sofort verständlich. Das war jetzt ein Gedanke mit vielen Klammern, Einschüben und Parenthesen. Ich hoffe, Sie finden sich dennoch zurecht.
achim szepanski
25. Oktober, 2009 um 22:24
Hallo,
einer kurzen Präzisierung eines zugegebenermaßen schlampig formulierten Satzes komme ich gerne nach. Da ich nun recht willkürlich Michel Serres zitiert habe, versuche ich mit seiner Philosophie Querverbindungen zu Wallace herzustellen, obwohl eine Annäherung mit Deleuze wegen der Nachbarschaften zu Wallace näherliegen würde ( auf S. 1156 von US hat dies Wallace mittels einer ironisierenden Anspielung auf Deleuze nuanciert). Sicherlich fließt die Zeit (auch die des Romans) nicht entlang einer Linie, sondern eher nach komplexen Mannigfaltigkeiten, als zeigte sie Risse, Perlokationen, Durchbrüche, Beschleunigungen und Verlangsamungen, sie ist aleatorisch (sic) verstreut, sie versickert, sie verläuft und sie verläuft nicht. Serres vergleicht diese Mannigfaltigkeiten mit dem in einem Feuer tanzenden Flammen, Mannigfaltigkeiten, die auch die der reversiblen Zeit sind (Uhrzeit, Zeit der maximalen Nische, jenes Gleichgewichts, in dem Kultur, Geschichte und Arbeit erstarrt und in der die menschliche Ratte ihren Käfig in Drehung versetzt und an den Fortschritt glaubt, während sie sich in den Tertmühlen des Alltags im Kreis bewegt etc.). Nun ist dieses Gleichgewicht ein Interval, eine eher außergewöhnliche Zeit, eine Ordnung, die unausweichlich in Richtung Unordnung verläuft. Carnots Revolution, die industrielle Revolution bringt uns die irreversible Zeit; wir ähneln einer Maschine, bei der eine in regelmäßiger Umdrehung befindliche Trommel uns bis zu völliger Undifferenziertheit desorganisiert. Wir sind in zwei verschiedenen und sogar gegensätzlichen Zeiten und wir befinden uns in einer dritten Zeit, der Zeit der Negentropie, die dem entropischen Vektor entgegengerichtet ist. Unterschiede treten hervor, Erfindungen, Entdeckungen, das Neue etc. Während sich die klassische Zeit auf die Geometrie und Metrik bezieht, keineswegs auf den Raum, ist die Theorie der Zeit von Serres, unsere Zeit, ein zerknitterte Zeit; zerknitterte Mannigfaltigkeiten, die sich unmittelbar durch die Topologie, die Wissenschaft der Risse und Nachbarschaften darstellen lassen. Alle Zeiten sind relativ zu einem System bzw. zu Systemen sehen, die offen oder geschlossen sein können, in ihnen verknoten und verteilen sich die Zeiten; es sind Komplexionen, ähnlich, wie entfernte Punkte in einem Taschenbuch, das gefaltet bzw. zerknittert wird, plötzlich sehr nahe sind oder zwei sehr nahe Punkte, wenn man das Taschentuch auseinanderreißt, isch sehr weit voneinander entfernen können. Ich denke, dass man diese Zeitproblematik bzw. Topologie bei US im Detail nachvollziehen kann, wenn man will. Auf formaler Ebene entwickelt Wallace eine Art Karte der Relationen und Verteilungen, ein Netz von Verzweigungen, indem er Wege erfindet, d.h., mittels der Anwendung einer Vielzahl von P.räpositionen werden Netze gebahnt. Die Sache wird immer paradox, siehe Eschaton Spiel, wenn es um die »Abbildung« eines fragmentierten Chaos ( Familie, AA, Weltpolitik etc) auf Karten geht. Und Wallace macht hier nichts anderes, was schon Zenon (mit Serres) gemacht hat: Er reist aus der Ein- bzw. als Dreidimensionalität in die Zweideimensionalität der ebenen Mannigfaltigkeit, deren Karten er erstellt, er beginnt zu schneiden und zu variieren, stellt Ordnungen her, wobei die Verteilung der Figuren auf der Karte sogar eine gewisse Stabilität besitzt. Die Karten bilden jedoch nicht ab und sind zugleich instabil. Der Roman gibt uns eine Erfahrung/Ahnung davon, dass das Reale paradox, stochastisch regelmäßig ist. Ordnung, Regel und Vernunft befinden sich in allernächster Nähe zum Unwahrscheinlichen, das Rationale ist ein Wunder. Ich referiere hier Michel Serres. Die Konstanz und die dialektische Synthese, die nichts weiter als Konstanz ist, ist ein außergewöhnliches Gebilde, die Serres durch eine Philosophie bzw. Wallace durch eine Literatur der Umstände ersetzt, wobei die Umstände die Gesamtheit der Adjektive einfängt. Damit lässt sich eine Literatur bzw. Theorie der Nuancen und Nuancierungen in Gang setzen. Nuancierungen sind diffuse Räume, die Serres mit Wolke bzw. Strom beschreibt. Das Konfuse oder Diffuse ist das Chaos Wolke oder das Chaos Strom. Interessant wird nun, dass die Strategien der Ironie bzw. des Humors auf der Konfusion bzw. Diffusion des Textes und seiner Elemente beruhen. Während der Humor eine Bewegung beschreibt, die etwas von ihr selbst Verschiedenes lächerlich macht, nämlich das System selbst, innerhalb dessen sich der Humor artikuliert, weil das System die Voraussetzung der Lächerlichkeit in sich enthält, operiert die Ironie durch Strategien der Überdrehung und der Übertreibung der gegnerischen Position, um implizit die eigene Position zu stützen. Während der Humor also mittendrin, pervers und immer auf dem Weg bzw. an der Oberfläche ist, bleibt die Ironie der Bedeutung und dem Sinnsytem verhaftet, allerdings kann die Ironie durch Konfusion, die Verschmelzung differenzieller Postionen, ähnliche Effekte wie der Humor erreichen. Wallace bedient sich ausgiebig der Stilmittel bzw. Strategeme von Konfusion und Diffusion, um die Ernsthaftigkeit des Megakapitalismus oder whatever und seiner Diskurse zu durchkreuzen. Es sind die einzigen effektiven Decodierungstechniken, nachdem die Arbeit der Kritik bzw. der Denunziation unmöglich geworden ist. Die Kritik glaubt bis heute an die Position Gottes bzw. einen Erzeuger des Bösen. Man kann die üblichen Verdächtigen durchdeklinieren: Vernunft, Staat, Kapitalisten,Väter, Wissenschaft, Banker etc. – tief in das System verstrickt. Eine Liste, die sich erschöpft hat und darin endet, dass jeder jeden anklagen, sich entlasten und reinwaschen kann und offensichtlich lahmt das Geschäft der Kritik, auch das der dialektischen. Immer schon genügte es, vom Widerspruch auszugehen, um immer recht zu haben oder um alles aus allem zu folgern. Die Dialektik rezitiert eine relativ erbärmliche Logik und der ausgrüstete Kritker nimmt die Rolle des polizeilichen Ermittlers oder des Detektives ein, wobei viererlei Angeklagte zur Debatte/Beobachtung stehen, aber niemals die Position des Angeklagten. Heute schließt sich der Kreis, den Serres den Übergang vom Gerichtlichen zum Objektiven nennt. Wir sind alle sowohl Ursache des US als auch sein Gegenstand, ein Spaß, der bei Wallace implizit Sache aller ist, wo Verantwortlichkeiten schwer zuzurechnen sind, die Tugend der Zurückhaltung gegenüber dem Anwachsen der Neurosen, Narzissmen, Spaßvöllereien, Geiz und Trägheiten jedoch eher bei den Kaputten und den Ein/Ausgeschlossenen nachzuspüren ist als sonstwo. Wer könnte Gately nicht als eine Art Begriffsperson begreifen, dem Wallace so etwas wie Scham zugesteht. Nun hat Wallace allerdings weder eine Satire noch eine Humoreske geschrieben, weil er weiß, dass sich die Ironie in Gestalt der Satire gerne institutionalisiert, der Humor sich in Gestalt der Institution karnevalisiert. Mit diesen Institutionalisierungen werden sowohl die Konfusions- als auch die Diffusionsenergien geblockt und den Kontexten der Ernsthaftigkeit angeflockt. Zugleich werden Ironie und Humor quasi isoliert bzw. in die Räume der Kunst, Literatur etc. verwiesen. Die Isolation des sog. Lächerlichen von der Welt der ernsthaften Sachlagen verdeckt, dass das Gesellschaftliche von ihrer Objektivität her längst ins Stadium des Lächerlichen übergegangen ist. Humor und Ironie können die ernsthaften Diskursse, Wissenschaft, Technologien etc. nur gefährden, weil die Konfusion der Debatten (es hängt nicht mehr von uns ab, dass alles von uns abhängt, aber keiner versteht dies) ihrer Differenz vorausgeht. Regierung und Opposition befinden sich in einem hoffnungslosen Zustand der Konfusion, den man nur anzuklicken braucht, um alle Seriösität at once wegzusprengen. Einzige Möglichkeiten dazu sind eben, wie schon Nietzsche wusste, Steigerungen oder Hemmungen (die Übetreibungsspiele der Ironie), man kann mit den Deterritorialisierungen nie weit genug gehen, sagt Deleuze, und meint damit natürlich das Strategem des Humors. Die Explikation des deleuzianischen Humors und der spezifischen Ironie von Wallace stilisiert mittels Diffusion und Konfusion die Modalitäten der Oberflächlichkeit, indem sie eine Darstellung der Systems der Oberflächen (des Oberflächlichen) durch Auflösungs- und Vermischungsprozesse hindurch betreibt, dem allerdings die Ensembles von produzierten Dingen und konditionalen Umständen, die parasitäre Schieflagen vorauseilen. Überflüssig zu sagen, dass der unendliche Spaß längst vorbei ist, wenn die neuen Narzissmen sich um Steigerung der Modalitäten des »Selbst« drehen bzw. um die biochemische, schönheitschirugische und technologische Effektivierung individuellen Human Capitals, dass man durch den Kauf von Doping-, Wellness-, Fitness- und Psychoprodukten levelt. Das wiederum wußte Wallace ganz genau.
NO
26. Oktober, 2009 um 11:04
Liebe AT!
Germanistik, Serres, Philosopie, Seneca, Marx, Dialektik, Hegel – keine Ahnung hier. Aber ich freue mich auf Ihre versprochene Joelle van Dyne-Einordnung. Ich mag Joelle. Und ich mag Kate. Außerdem lese ich Sie gerne und erkläre mich bereichert durch Ihr Herunterfragen.
Die Parallelität zwischen Maurer-Fall und Bankgewicht z.B. war mir entgangen. Dass das Körpergewicht eine Funktion haben könnte, darauf wäre ich nicht gekommen. Mir ging es um die Bewegung nach oben, weil dort die „Erlösung“ – durchaus nicht als nur das Ende gedacht – nach allgemeiner Lesart hinführt (Himmelfahrt, Auferstehung). Das passt natürlich nicht zu dem Maurer-Fall. Aber könnten nicht beide Beispiele zeigen, dass die Sache nicht gut ausgeht, wenn man das Bankgewicht (seines Lebens) falsch einstellt? Das Leben macht mit einem, was es will, der Mensch wird von Klippe zu Klippe geworfen. Um damit zurecht zu kommen, bedarf es einer richtigen Einstellung, einer Haltung.
Lyle habe ich nicht als Inkarnation der Erlösung verstanden, sondern für mich symbolisiert er eine Haltung, eine Einstellung, deren Übernahme zu sinnstiftender Lebendigkeit führen könnte. Und zu Parallelfunktion: Wie ich jetzt gerade lese, nimmt der sich ja der neuen oder verzweifelten Tennisspieler ebenso an (S. 558 ff.) wie Gately der Ennet House-Schüler. Leyle ist jemand, der in sich ruht und deswegen nicht so anfällig dafür ist aufzustehen und von diesem krummen Hirtenstock „nach draußen“ gezogen zu werden.
So ist auch die Haltung von Gately. Sünde und Fall? Aber ja! Und ich meine noch nicht einmal das aus anwaltlicher Sicht ja schon bedenkliche Einkaufen und Konsumieren von Drogen, sondern Einbruch und Mord. So einer wird dann Menschenfänger, kniet und betet und hütet die verlorenen Schafe im Ennet House. Ich meine, ist denn da nicht irgendwie szenisch der Boden bereitet dafür, dass man seine Hingabe seines Lebens für einen anderen (sorry, ich hab‘ nun mal diese TV-Sendung gesehen vor Lesen) zumindest auch lesen darf als eine Haltung von Nächstenliebe wie die von Jesus (natürlich der Jesus ohne Onanie)?
Nächstenliebe bedeutet Interesse an anderen Menschen und damit Anteilnahme. Ich komme noch einmal auf Herrn Blumenbach und den Wunsch, ein besserer Mensch zu werden:
Die AA, die Bewohner des Ennet House bemühen sich „ekelhaft demütig, höflich, hilfsbereit, … fröhlich, vorurteilsfrei, …schwungvoll, zuversichtlich…großzügig, fair…tolerant, aufmerksam“ zu sein bzw. zu werden (S. 516). Sind das nicht Umschreibungen für Anteilnahme? Man müsste aber, finde ich, nicht unbedingt erst krank und abhängig werden, um zu solch einer Einstellung zu kommen. Der Apell gilt schon vorher, der gilt auch für uns.
Führt der Apell zum Erfolg (wie auch immer zu definieren), scheint es mir unmöglich, das Leben als völlig sinnlos zu empfinden. Es weist dann weit über den Wettkampf und die Rangliste hinaus. Es führte wohlmöglich zu Lösung von Fesseln und Erstarrung, also zu Erfüllung. Und ganz sicher für die Gefallenen, die von Anteilnehmenden gehalten werden. Mit solch einer Haltung (in ihren verschiedensten Variationen) gäbe es wohlmöglich keinen Anlass, die vermeintliche Leere der eigenen Existenz mit unendlichem Spaß und Drogen auszufüllen.
Tja, soweit sind wir alle hier in der ETA nicht (außer vielleicht Schacht). Wir spielen hier derweil lieber Atomkrieg. Aber Sie haben recht, wenn das ETA-Zentrum die Mitte ist, müsste eigentlich mit Hal noch Entscheidendes passieren. Allerdings nach meinem Lesestand hat er auch noch 900 Seiten Zeit.
Sie meinen, die Verortung von Gately „unten“ spräche gegen seine Erlösung? Na ja, wie wäre es denn, wenn er dort unten zwar „verortet“ ist, aber gar nicht nach unten gehört? Er ist nicht Marmeladoff, der Trinker, er ist der Mörder (und/oder die Hure Sonja), er steht nur bei den Trinkern mit unten in der Spelunke.
Und finden Sie anders herum, dass die (sich andeutende) Verbindung zwischen Ennet House und Felsplateau (auf S. 337 und 542 gibt es den Lebenslauf einer Reporterin Steeply, so dass sich der Verdacht aufdrängt, dass Steeply selber die Orin verführende Dame ist, die über ihn an die todbringende Patrone des Vaters James gelangen will) gegen Ihr 4-Zentren-Model spricht?
Die beiden auf dem Felsplateau, jdf. die Terroristen, wollen die ONAN/USA durch den Film Unendlicher Spaß auslöschen. Warum? Weil deren aktuelle Lebensform es wertlos geworden ist wohlmöglich. Weil dieses Land – diese Mitte – „für die vollkommene Unterhaltung sterben würde“ und „ihre Kinder sterben lassen würde“ (Marathe/Steeply auf S. 459), wie die letzte AA-Rednerin mit der drogenbedingten Fehl- und Todgeburt.
Ist also Tod durch Unendlichen Spaß die Vernichtung von Sodom und Gomorra? Und wer ist dann der Gewaltige (huge), der die Welt tief (deep) unter sich sieht? Gott? „Die Rolle Gottes ist nie sonderlich beliebt“, wie (ausgerechnet) Otis P. LORD (brillanter Scherz) sagt (S. 478). Heißt ja aber nicht, dass es ihn nicht gibt, oder?
Beste Grüße
Ihr NO
@ seneca
Ist „tohuwabu“ bzw. „tohu und bowu“ dasselbe? Und/oder sind diese identisch mit dem biblischen Tohuwabohu, also die große vorweltliche Unordnung in der Genesis, die Gott dann ordnete durch die verschiedenen Schöpfungsakte?
achim szepanski
27. Oktober, 2009 um 00:43
da muss ich sie leider verweisen auf den neuen sloterdijk und seine beschreibung der knallkörperfabrik von hubbard of cos