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18.00. Basel Euroairport. Teuerkaffee. Novembriger Nieselregen vor den Fenstern. Kein Flugzeug weit und breit. Vor anderthalb Stunden hätte es losgehen sollen. Jetzt geht noch eine halbe Stunde nix mehr. Zuviele kranke Piloten, heißt es. Der Zwölfkilomann hat Spaß. Immerhin.
Er sitzt in einem Auto. Da ist er immer glücklich. Muss der Genpool sein. Es sieht tatsächlich ein bisschen so aus, wie Gatelys Halbsinner beim Umparken. Draußen in Basel ist es auch mindestens so duster wie drinnen im Buch in Boston. Und irgendwas läuft ganz gewaltig schief vor Ennet House. Lenz entwickelt sich in seiner Bedröhntheit zur olfaktorischen Katastrophe, sein Auge eiert in der Höhle. Den kann man doch nicht mehr an Steuer lassen, der führe wie ein Zwölfkilomann. Gately bleibt nichts übrig. Und ob man Glynns ausgeweideten Käfer auf die andere Straßenseite bekommt, bevor ihn der Abschleppwagen einfängt wie Ernst Jünger seine Krabbler… Alles, was ich je losgelassen habe, hat Krallenspuren. Steht auf Glynns Tür. Sowas kauf ich mir auch. Glaubt mir zwar keiner, hilft aber vielleicht. Doony R. Glynn, mit Divertikulitis im Bett liegend, entspinnt einen voll verpeilten Dialog mit Gately, der bloß die Schlüssel für die Karre, den „Raserati“, „den Kugelporsche, des Doonulators fahrbaren Untersatz“. Da schreits und draußen ist die Hölle los. Die Autos parken wild und ein paar ausländerigen Typen halten die Insassen mit einer Wumme in Schacht. Sie wollen Rache für den geschächteten Köter, den Lenz auf dem Gewissen hat. Wie in Zeitlupe gleitet jetzt alles ins tödlich Chaos. Lenz redeschwallt sich in Gatelys Rücken. Gately weiß nicht, was er tun soll. „Immer beschleunigt und verlangsamt sich alles zugleich.“ Gately bricht mehrere Knochen, wird halb aufgeschlitzt. Der will uns doch nicht von der Fahne gehen, den brauchen wir doch noch. Echt, sehr echt diese PrügeleiMesserstechereiSchießerei. Ein einschlägiges Ballett. Eine Schlägerei alle gegen alle. Es wird gekotzt. Schädel werden gespalten. Der Blutverlust ist nicht gering. So schön hat noch kaum einer übers Zufügen massiver Verletzungen geschrieben. Es wird alles immer noch schlimmer. Früher endete der Tag mit einer Schusswunde. Keiner will die Pullizei rufen, weil sie irgendwie alle Bewährung haben. Ein Wachmann hilft, der ist aber hackedicht. „Ich befehl der gansen Sitatschon sofodd Halt und Cheine Beweung.“ Das hätte Erich Honecker nicht schöner sagn können.
Man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll. Eher weinen. Ist alles so traurig. November. Ich will nach Hause.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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7 Kommentare zu 2. November
alice
4. November, 2009 um 23:15
Kann man in Gegenwart eines Kindes weiter in diesem Buch lesen? Braucht man die Gegenwart eines Kindes, um weiter in diesem Buch lesen zu können? Meine Enkelkinder haben US bereits neugierig erkundet, es auf und zugeklappt, mit den Bändchen gespielt, es hochkannt gestellt und Püppchen darauf verteilt. Sonst liegt es noch fast unberührt auf unserem Wohnzimmertisch. Ich – Normaloleserin – lerne US zur Zeit „nur“ aus zweiter Hand über diesen Blog kennen. Das ist sehr interessant, macht mich neugierig und erwartungsvoll, wie ein Reisebericht vor einer Reise. Deshalb an dieser Stelle Dank besonders an Sie, Herr Krekeler und alle Autoren und Autorinnen. Danke auch für die wunderbaren Bilder: vom Mobile, vom zersprungenen Kristallglas, vom Hologramm – das ist sehr anschaulich und hilfreich. Manchmal frage ich mich allerdings, ob man dieses Buch wohl unbeschadet wieder verlassen wird. Die Autoren hier sind ja durch die Artikel gezwungen immer wieder auf die Metaebene zu gehen, so wie Taucher, die Luft schöpfen. Ich habe mich gerade durch Stifters „Der Nachsommer“ gearbeitet und mein Eindruck ist, dass es eine Verbindung zwischen diesen beiden Werken gibt, mag dies auf den ersten Blick auch abwegig erscheinen. Vielleicht ist es die Darstellung einer überscharfen und dadurch absurd und auch unheimlich wirkenden Realität – bei Stifter geht es dabei um eine vollkommene und bei DFW um eine heruntergekommenen Welt.
Guido Graf
5. November, 2009 um 08:35
ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass eine Lektüre den Leser oder die Leserin unbeschadet lässt, insbesondere nicht bei diesem Buch – und der Bezug zu einem Buch wie Stifters Nachsommer scheint mir durchaus einleuchtend, jedenfalls insofern, als ich eigentlich bei Stifter auch – bei allem Streben nach Vollkommenheit – eine Krisengeschichte habe; lohnend könnte hier ein Vergleich mit Gatelys Gesprächen mit dem Geist von James Incandenza sein.
Sternenlicht
5. November, 2009 um 00:06
Lieber Herr Krekeler,
eine kurze Bemerkung grotesk-karnevalesk-körperlicher Art am Rande: Sie sollten nicht immer so viel Kaffee und Wein trinken. Oder zumindest sehr viel Wasser dazu und Bullrich’s Blasen-Tabletten, sechs Stück am Tag. Das übersäuert doch total. Und Übersäuerung macht traurig und hoffnunglos, ganz entgegen dem unendlichen Spaß.
Ihr besorgtes, schon seit Wochen für Sie mit Wasser trinkendes und ganz viel Ausgleichssport treibendes
Sternenlicht
(ich stelle mir gerade Sternenlicht beim Ausgleichssport vor; schon allein für diese Vorstellung muss ich den Namen nun wohl behalten)
Aléa Torik
5. November, 2009 um 10:03
Hallo Alice,
da haben Sie einen schönen Kommentar geschrieben. Zum Vergleich mit Stifter kann ich mich leider nicht äußern, weil ich ihn nur dem Namen nach kenne. Eine Formulierung ist mir jedoch aufgefallen, zu der ich etwas sagen möchte, auch wenn Guido Graf das bereits in meinem Sinne getan hat, die Frage, ob wir unbeschadet wieder raus kommen aus dem Buch.
Die meisten belletristischen Bücher, die ich lese, berühren mich kaum. Ich bin hinterher, nach der Lektüre, dieselbe die ich vorher war. Diese spezielle Art des Schadens, eine Gleichgültigkeit des Buches mir gegenüber, wiegt sehr viel schwerer als der Schaden den ich durch ein Buch wie „Unendlicher Spaß“ davontrage. Die meisten Bücher kratzen höchstens ein bisschen auf der Haut, oft nicht einmal das. Sie gehen an mir vorüber und lassen mich unverletzt zurück, allerdings auch unverändert. Ich will mich aber verändern. Nicht weil ich mich nicht mag, so wie ich bin, sondern weil ich das Potential habe, mich zu verändern. Und das würde ich gerne ausschöpfen.
Ich bin gespannt auf die Zeit nach der Lektüre und wie ich mit den Schäden umgehe. Wie ich mit den nächsten Büchern umgehe, wie die nächsten Bücher diesen Schaden vorfinden und wie diese Bücher und der Schaden miteinander und aufeinander reagieren.
Das Buch ist eine Zumutung. Zum Glück, sonst hätte ich es längst weggelegt. Wir verlassen dieses Buch nicht unbeschadet. Aber es sind Schäden, die sehr willkommen sind. Das sind Veränderungen, die ich erlebe. Ich kann nur hoffen, dass es sich um bleibende Schäden handelt. Von solchen Schäden kann ich gar nicht genug kriegen.
Stephan Bender
5. November, 2009 um 11:41
@ Guido Graf:
Obwohl eigentlich von der Hardcore-Truppe, bescheinige ich dem Buch mittlerweile echte Voodoo-Qualitäten.
Ich habe tatsächlich letzte Nacht geträumt, die fingergroßen Figuren des Buches haben unter meinem Bett eine Art Puppenstube eingerichtet und spielen dort die Szenen des Buches nach. Ich bin wirklich aufgestanden, habe Licht gemacht und schweißgebadet nachgeschaut, ob das stimmt… Doch da war nur Staub.
Zeit für eine Pause.
alice
5. November, 2009 um 12:42
vielleicht sollte ich einfach al beginnen, das Buch zu lesen: den buchdeckel aufschlagen und dem Kastenteufel mutig ins Auge schauen. Oder es doch lieber als prestigeträchtiges und Smalltak anregendes Tablebook („Was ist den das für ein Brocken…“) links liegen lassen? Mein Bild: DFW wollte das Grauen besiegen, in dem er es zu Text verarbeitete und diesen Text hat er noch durch den Aktenvernichter geschickt. Die Leser wühlen sich jetzt durch unendliche Papierstreifen und versuchen alles wieder zusammenzukleben um Sinn zu konstruieren – dabei ist es nur Staub unterm Bett. Also: Loslesen!
Noch eine kurze Anmerkung zu Parallelen zwischen Stifter / David Foster Wallace: In einer Rezension zum Nachsommer von Christian Begemann ist die Rede vom „Salto mortale des Realismus“. Das passt doch auch zum Unendlichen Spaß – hier sogar im wörtlichen Sinne.
wolf schwarzkopf
6. November, 2009 um 19:01
Der gekrümmte nichteuklidsche rücken und das ding in james kopf
das gesicht vom vertikalen schatten – ortho stice, klebt fest, wird teilfragmentiert, während hal sich horizontriert, während der „schnee“, der form der gegebenheit nach, die dinge universell verpackt.
die bücher von w. sind für mich wichtig (und bewirken ähnlich fiebriges wie wittgenstein). dieses buch macht etwas. aber was genau? hier ausgeführt wurde, dass es generell und mental beeinflußt (z.b. lit. arbeit), jetzt und künftig, also konsequenzen hat, die sich niederschlagen und oder sich geschlagen geben, aus der exclusion heraus, pathologischen einsichten, ethischen haltungen, etc., aber das unbehagen steigt darüber hinweg, und ein blog ist anregend, dennoch verhält es sich, wie mit dem weggelaufenen hund. „Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben“. es ist interessant, wie hier gesprochen wird, sich vorzustellen, wer die sprechenden sind, die hier körperlos sprechen und ich bin mir nicht sicher, was ich damit meine, aber ich merke, die hoffnungslosen sprechen anders, als die hoffnungsvollen und sehen anders (aus), (als folgen von bedingtheiten, oder liegt es am trinkwasser, d.h. versteht es sich von selbst?) im mathebuch stellt wallace zu beginn sinngemäß die frage – ist selbstvertrauen (an sich) gerechtfertigt? jemand der mais und bohnen zur verfügung hat und gemüse ablehnt, hat wahrscheinlich zwei möglichkeiten. aber hypothetisch nur mal angenommen, es (das buch) würde einen ernsthaft befähigen ebenso wenig und aus überzeugung (nicht) zu funktionieren?
ich bin durch.