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Als heute Ulrich Blumenbachs Übersetzung eintraf, kitzelte mich mein innerer Arno, und fing ich beim Anblick der Bände gleich zu berechnen an. Auffällig ist ja, dass die Übersetzung, trotz der merklich höheren Seitenzahl (+462 S.), nicht dicker ist als das Original, zumindest nicht als mein überdimensionales, als Paperback geleimtes Hardcover:
Unendlicher Spaß ist auch kleiner als meine amerikanische Ausgabe, doch nicht viel (-1 x -1 cm), obwohl es etwas mehr wiegt (ca. +155g); wahrscheinlich, so sagt mir mein Gefühl, liegt das am Einband eher als am Textblock. Ein Grund für die gleiche Dicke dürfte selbstverständlich das dünnere Papier sein, das dem deutschen Buch das Fingerspitzengefühl einer modernen Klassikerausgabe verleiht.
Doch diese technische Erklärung sollte die Frage, ob der Text denn auch wirklich satte 450 Seiten ‚länger‘ ist, nicht verheimlichen. Denn:
Die alleräußerlichste, jedem Leser bei der Beurteilung von Übersetzungen aus dem Angelsächsischen anzuempfehlende Klugheitsregel, ist die Vergleichung des Umfangs des Originals mit dem betreffenden deutschen Buch.*
Erfreulicherweise aber ist es vor allem der unterschiedliche Satz (max. -760 Zeichen pro Seite im ‚Haupttext‘, max. -1281 in den „Anmerkungen und Errata“), der zur gesteigerten Seitenzahl geführt hat. Auch die Anwendung, nach altbewährter Tradition, des sogenannten Schmidt’schen Vergrößerungsfaktors, den Arno Schmidt in seinem Verriss der deutschung Übersetzung eines anderen ‚Mammut=Bandes‘, James Jones‘ Some Came Running (1957), eingeführt hat, eingedenk der ’sattsam bekannt[en] … „Einsilbigkeit“ des Englischen, und noch mehr des Amerikanischen‘, lehrt uns im Falle Blumenbachs, dass die Übersetzung schon rein quantitativ besonders gut abschneidet.
‚Bei sehr sorgfältig gearbeiteten Übersetzungen‘, so Schmidt, dürfte der Vergrößerungsfaktor ‚immer noch 1,1 betragen‘, doch es gebe auch ‚Bücher – ich besitze eine deutsche JANE EYRE – wo er 1,4 ist; da kann man auf Anhieb sagen, daß der Übersetzer „umschrieben“ hat, also geschwatzt.‘ Ich habe einmal nachgezählt, und während Infinite Jest ungefähr 3.600.000 Buchstaben zählt (= ca. 14 Goethe’sche Werther**), hat Unendlicher Spaß ungefähr 300.000 mehr.*** Das heißt, dass Herr Blumenbach mit einem Vergrößerungsfaktor von nur 1,084 aufwarten kann, sogar mehr als eine ’sorgfältig gearbeitete‘ Übertragung also: zumindest die Berechnung verspricht eine Glanzleistung.
Ob die Lektüre das Versprechen einlöst, werde ich in den nächsten Wochen erfahren können. Ich freue mich, dabei zu sein.
_____________
* Arno Schmidt, „Von deutscher Art und Kunst (James Jones und der Text der ‚Entwurzelten'“ (1959). Bargfelder Ausgabe: Werkgruppe III: Essays und Biographisches. Band 4. Ed. Arno Schmidt Stiftung. Bargfeld/Zürich: Arno Schmidt Stiftung; Haffmans, 1995. S. 9-16, hier: S. 9.
** Theoretische Buchstabenzahl mit Ganzseiten: 76 x 42 x 978 + 87 x 55 x 96 = 3.581.136, oder ca. 200.000 Zeichen weniger als Jones‘ Some Came Running, das Äquivalent von ’15 Goethe’sche WERTHER; oder 21/2 Stifter’sche NACHSOMMER‘, so Schmidt.
*** Theoretische Buchstabenzahl mit Ganzseiten: 64 x 38 x 1403 + 73 x 48 x 134 = 3.881.632.
Dr. Iannis Goerlandt, geboren 1980, studierte Germanistik, Anglistik und Amerikanistik in Gent, Rostock und Antwerpen. Mit einer Arbeit zur utopischen Prosa Arno Schmidts promovierte er 2006 an der Universität Gent („Schulen zur Allegorie“, Aisthesis 2008). Weitere Veröffentlichungen zum Werk von u.a. Kurt Vonnegut, Max Goldt und David Foster Wallace. Er unterrichtet an der K.U.Leuven und arbeitet als freier Übersetzer. Im Herbst erscheint seine niederländische Übersetzung des Essays „A Supposedly Fun Thing I’ll Never Do Again“.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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4 Kommentare zu Von deutscher Art und Kunst
M. Kilian
22. August, 2009 um 10:50
das geht ja gut los
Klaus Huneke
24. August, 2009 um 17:28
Dies ist der witzigste und zugleich erhellendste Beitrag. Als Maler müsste ich darüber nachdenken, wieviel kleiner oder größer ein Bild von mir ausfallen würde, gäbe ich es zur Übersetzung frei. Behält es die Proportionen? Verändern sich Farbe und/oder Form? Gibt es adäquate Bildträger? Und vor allem: Verliert es an Qualität, Bedeutung etc., wenn es diesen zwangsläufigen Veränderungen unterworfen ist? – Vielleicht sollte ich nur Originale ausstellen, keine Reproduktionen erlauben und diese auch selbst nicht produzieren. Trotz allem, das Buch macht neugierig und lenkt mich hoffentlich nicht von meiner Atelierarbeit ab… wann erscheint es als Hörbuch? Hat schon jemand berechnet, wie viele CDs es ausmachen wird?
ulrich blumenbach
24. August, 2009 um 17:40
Du bist gut, Iannis! — hast Dich aber leider zu meinen Gunsten verrechnet. Ich habe mir den Spaß des Zeichen-Auszählens nämlich auch mal gemacht. Laut Word-Angaben hat mein eingescanntes Original 3.197.866 Buchstaben mit Leerzeichen; die dreißig Dateien meiner Übersetzung haben zusammengerechnet 3.685.478 Buchstaben mit Leerzeichen. Daraus errechnet sich eine Zunahme um 15,25%, also an der oberen Grenze dessen, was bei Übersetzungen aus dem Englischen ins Deutsche zu erwarten ist.
Hanno Millesi
25. August, 2009 um 10:40
Lieber Klaus Huneke, der Gedanke hat mich über die Morgentoilette hinweg begleitet – ich hatte auch bereits meine Ration unendlichen Spasses: Die Übersetzung des Gemäldes stelle ich mir als Reproduktion vor. Wir sprechen ja nicht von der raffinierten Fälschung oder vom stumpfen Plagiat. Im Rahmen der Reproduktion könnte man am ehesten Einfluss darauf nehmen, mit den reproduktionsspezifischen Möglichkeiten zu übersetzen und, die Spezifika des Mediums, in das hinein übersetzt wurde, bedenkend, unter veränderten Gesichtspunkten zu lesen. Und das schließt die Nichtübersetzbarkeit mancher Werke mit ein.