Heute, am denkbar heißesten Tag des Jahres, ist das Buch gekommen. Ein Ziegel. Er fiel auch gleich runter und hat seine erste Katsche, links oben. Heute Morgen, beim Basketball, fühlte ich mich kurz nackt. Unter der Sporthose trug ich eine weite Unterhose. Später hatte ich ein Déjà-vu. Der Ziegel macht keinen Eindruck auf mich, vor zehn Jahren habe ich schon „Ulysses“, „Die Ästhetik des Widerstands“, und vor fünf „Jahrestage“ gelesen. Nein, Proust nicht. Allerdings hat er zwei Bändchen. Ich lese an, „Jahr des Glad-Müllsacks“, das erste Kapitel, die ersten beiden Sätze lauten: „Ich befinde mich in einem Büro, umgeben von Körpern und Köpfen. Meine Haltung kongruiert bewusst der Form des harten Stuhls, auf dem ich sitze.“ Die Kunst des zweiten Satz, obwohl ich ihn niemals so formuliert hätte. Ich gehe raus und kaufe Zigaretten, die Gitanes Blondes kosten jetzt schon 5 Euro, für 20 Zigaretten, der ursprüngliche Plan war ja, während der Lektüre von „Unendlicher Spaß“ das Rauchen aufzugeben. Ich weiß, ich bin vorschnell, ich habe noch vier Tage. Nächster ins Auge springender Satz: „Ein leicht digestiver Geruch liegt im Zimmer.“ Vorher war mir bereits aufgefallen, dass mich die virtuelle Anwesenheit des Übersetzers leicht befangen macht. Der Satz „Der Übersetzer dankt… seinem Vater Arnold Blumenbach, ohne dessen mäzenatische Zuwendungen er die Übersetzung nicht hätte abschließen können“ klingt schön und wohlverdient und erinnert mich an die Maxime „Reiche Eltern für alle“. Die Exposition ist geschickt, aber auch typisch: „Auf der anderen Seite des Konferenztischs aus poliertem Kiefernholz, der im spinnfädigen Mittagslicht von Arizona…“, gute Einführung des Orts. Ab Seite 11 bin ich drin. Es ist fantastisch. (Stand: Seite 28.)

René Hamann, geb. 1971 in Solingen, lebt in Berlin als Journalist und Schriftsteller. Zuletzt erschienen: „Das Alphabet der Stadt“, Berliner Szenen, Verbrecher Verlag 2008; „Berge und Täler, davor Männer und Frauen“, Gedichte, Gutleut Verlag 2009.

2 Kommentare zu Reiche Eltern für alle

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Mindy Metalman

21. August, 2009 um 12:23

Tja, mein Freund, das mit dem Nicht-mehr-Rauchen wird wohl nicht klappen. Nicht bei diesem Buch.

Und da es sich um eine Übersetzung handelt, ist der Übersetzer IMMER anwesend, nicht nur virtuell, sondern real, auch wenn die meisten ziemliche Nerds sind, denke ich mal.

Und hast du mal die Danksagungsorgien in anderen amerikanischen Büchern gesehen? Mein Spitzenreiter hatte 72 Nennungen – und das bei einem Buch, das echter Scheiß war. Da ist der nette Vater doch moderat.

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Nikola Richter

21. August, 2009 um 21:49

Es ist doch interessant, dass man bei dicken Büchern immer über ihre reine Materialität nachdenkt. Nachdenken muss. Die zwingt sich auf, da muss man eine gute Atemtechnik haben. Ein bisschen wie Marathon. Oder, wie Usain Bolt einem ARD-Reporter zurief, der ihn mehrmals bat, doch bitte „Ich bin ein Berlino“ zu sagen: „You need to chill, man“. Ich drücke dir die Daumen, René! Aber was sagt Masse eigentlich über den Text aus? Die Rückkehr des Lesebändchens? Übrigens hat das Berliner evangelische Gesangbuch sogar drei, in verschiedenen Farben.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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