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S. 90:
Im ersten Albtraum fern der Heimat und Familie, in der ersten Nacht in der Academy war schon alles da: Im Traum erwachst du aus tiefem Schlaf, erwachst plötzlich schweißgebadet und in Panik, und das plötzliche Gefühl überkommt dich, dass eine Verkörperung des Urbösen bei dir in diesem dunklen fremden Souterrainzimmer ist, dass die Quintessenz und der Mittelpunkt des Bösen genau hier ist, in diesem Raum, genau jetzt.
Das Böse hat ein Gesicht, dort auf dem Boden.
Dann muss man erwachen, natürlich:
Du liegst da, wach und fast zwölf, und glaubst mit aller Kraft.
Mark Costello, David Foster Wallace: Signifying rappers: rap and race in the urban present (Ecco Press, 1997) ISBN 0880015357, 9780880015356, 140 Seiten
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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9 Kommentare zu Zwölf
Stephan Bender
27. August, 2009 um 09:29
Richtig, das ist der Kern der ganzen Geschichte. Das Spiegelbild auf dem Boden, diese Verkörperung des Urbösen, das ist man selbst. Das ist derjenige, der man sein muss und schließlich sein wird, wenn man in dieser Gesellschaft bestehen will. Das ist die seelenlose Verkörperung eines Tieres, der im Konkurrenzkampf hier Tennis) seinen darwinistischen Kampf um sein Überleben ausficht. Es ist eben kein Spiel, es geht auch nicht um Liebe oder um eine persönliche Entwicklung, sondern es ist ein gnadenloser Kampf um Punkte, Geld oder Anerkennung.
„Du liegst da, wach und fast zwölf, und glaubst mit aller Kraft.“ Am Ende landet man in der Psychiatrie und will, dass „das Gefühl weggeht“. Es ist wirklich die Pest der postmodernen Zivilisation.
wolf schwarzkopf
27. August, 2009 um 10:12
ja,
und äußerst aufschlußreich bereichernd (wie ich finde), nur mal so zur ergänzung, weil mir kein anderer ort einfällt
schreibheft 60/ david wallace; das leere plenum.
Roadrunner
27. August, 2009 um 10:31
Wichtig scheint mir an der Albtraumpassage (89-91) noch das unmittelbar davorliegende Zitat, weil Wallace ständig mit dem Gegensatz (?) von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit bzw. Offensichtlichem und Verborgenem spielt:
„Ich verstehe langsam, dass das Gefühl der schlimmsten Albträume, ein Gefühl, das man im Schlafen wie im Wachen haben kann, dieselbe Form hat wie die Albträume selbst: die plötzliche Erkenntnis im Traum, dass das wahre Wesen und Zentrum des Albtraums einen die ganze Zeit begleitet hat, auch im Wachen: Es ist nur … übersehen worden; und dann diese entsetzliche Pause zwischen dem Begreifen des Übersehenen und dem Wenden des Kopfes, um sich umzusehen nach dem, was man immerzu vor der Nase gehabt hat, die ganze Zeit …“ (90)
Während diese (Selbst-) Erkenntnis unendlich mühsam ist, fällt es der ‚filmischen Funktion‘ über das ‚Sichtbarmachen‘ viel leichter den Rezipienten zu konditionieren. Zur Funktion der Trainingsvideos an der E.T.A. heißt es dann auch:
„Das liegt ganz einfach daran, dass es weit leichter ist, einen Fehler zu beheben, den man sehen kann.“ (80)
Die Frage ist jetzt, welche Rolle in diesem Zusammenhang der titelgebende Film spielt, den die grandiose Filmographie (Anm. 24) ja immer als „ungesehen“ ausweist? ‚Unendlicher Spaß‘ ist ja offenbar sichtbar UND auch gleichzeitig nicht-ansehbar (zumindest nicht ohne letale Folgen).
Guido Graf
27. August, 2009 um 10:54
möglicherweise bedürfte es jetzt auch noch einer filmwissenschaftlichen Untersuchung der verschiedenen Fassungen von „Unendlicher Spass“, wie sie die Filmographie ausweist… tatsächlich aber wird sich im Laufe des Romans einiges dazu klären, wenn diverse von James Incandenzas Filmen „gesehen“ und beschrieben und kommentiert werden
aber die Opposition von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit ist in der Tat von großer Bedeutung, z.B. auch für die Figur der Madame Psychosis aka Joelle van Dyne, die immer einen Schleier trägt, um ihre unerträgliche Schönheit zu verbergen
besonders wichtig finde ich in diesem Zusammenhang auch die Rolle von Mario Incandenza, des mittleren Incandenza-Bruders, zeitweiligen Assistenten seines Vaters, der dann in filmischen Angelegenheiten sogar zu einer Art Nachfolger wird – und das alles in der Verkörperung seiner unmöglichen Physis
was die meisten Rezensenten nicht abgehalten hat, ihn vollständig zu ignorieren oder – wie in einem Fall – gar auch als Tennisprofi firmieren zu lassen
Stephan Bender
27. August, 2009 um 12:05
Der Film ist aber nichts weiter als der visuelle Soundtrack zum Roman. Insofern ist nur interessant, welche Wirkung er auf die Menschen hat, die ihn gesehen haben. Wir wissen bereits, dass es sich um eine konsequente Entpersönlichung des Zuschauers handelt, einem Baby gleich, dass sein Fläschchen bekommen hat.
Viel spannender ist die gesellschaftskritische Aussage: Es gibt ja seelischen und sexuellen Missbrauch, der meistens in den eigenen Familien stattfindet. Wenn wir uns die Demokratie mal als eine riesige Familie vorstellen, die irgendwie funktionieren soll und außerdem in Konkurrenz zu anderen Gesellschaftsorganisationen steht, ist eine individuelle Beschränkung der einzelnen Persönlichkeit notwendig. Man spricht dann von einer Anpassung oder Unterordnung unter die gegenwärtige Moral der Gesellschaft.
Eine Gesellschaft aber wie die postmoderne Demokratie, welche die Unterordnung höher stellt als Individualismus und Leistungsbereitschaft, missbraucht ihre leistungsbereiten Mitglieder, maßregelt sie (durch Nichtanerkennung oder Schlimmeres) und macht sie schließlich zu jenem „sabbernden Gemüse“, die auch der Film „Infinite Jest“ erzeugt. Der Film ist wirklich bloß eine Metapher für Brot und Spiele. Es ist, wie schon mal Robert Menasse so schön festgestellt hat, „Mittelalter mit Handys und Computern“.
Stephan Bender
27. August, 2009 um 13:08
… und ich habe noch einen auf Lager, der auch DFW gefallen hätte:
Stellen wir uns mal vor, der Film „Infinite Jest“ (natürlich im „Directors Cut“) würde dem Buch als DVD beiliegen. Wir würden das kreisrunde Ding aus seiner Hülle ziehen und in unseren Laptop einlegen und starten; natürlich nur, um das Buch besser verstehen zu können!
Plötzlich wären wir jenes menschliche Gemüse, das sabbernd und Chips kauend vor diesem Film für mindestens 24 Stunden hängen bliebt. (Die Vorstellung ist nicht so absurd, wie sie zunächst erscheint: Wir sind ja keine besseren Menschen, nur weil wir solche Bücher lesen! Jeder wird mindestens einmal in seinem Leben eine Phase gehabt haben, wo er sich einen Song oder einen Film bis zwanzigmal angeschaut hat. Niemand könnte sich über die „Kiffer-Szene“ so amüsieren, wenn er nicht gewusst hätte, worum es im Kern geht, selbst wenn er gar nicht kifft!)
Die freiwllige Manipulation des eigenen Geistes ist immer eine Ablenkung vom Wesentlichen und Eigentlichen, das Wesentliche und Eigentliche kann immer Missbrauch durch die Familie und/oder die Gesellschaft sein und hat daher vom individuellen Empfinden her (Wer hat diese Empfindungen nicht?) seine Berechtigung.
„Es ist eine Welt von Eigenschaften ohne Mann entstanden, von Erlebnissen ohne den, der sie erlebt, und es sieht beinahe aus, als ob im Idealfall der Mensch überhaupt nichts mehr privat erleben würde und die freundliche Schwere der persönlichen Verantwortung sich in ein Formelsystem von möglichen Bedeutungen auflösen würde.“
Robert Musil, MoE, S. 150
Das hätte Dir gefallen, David! Oder? Die einzige Frage, die mich wirklich interessieren würde:
Wird man zwangsläufig depressiv, wenn man dieses Spiel durchschaut? Etwa in der Art wie die Szene in der Psychiatrie?
Oder ist eine klinische Depression mit ihren mangelnden Ablenkungsmöglichkeiten die notwendige Voraussetzung, solche Dinge zu durchschauen und niederschreiben zu können?
Das hättest Du uns noch hinterlassen können…, David!
Jan Böttcher
27. August, 2009 um 16:26
Um noch mal oben anzudocken bei Herrn Benders erster Wortmeldung und auszusprechen, was er schon sagt:
EVIL als Spiegelbild auf dem Boden = LIVE.
Alter Hut.
So (sitze hier immer ohne Original, ich Depp, das wird auf Dauer nicht gehen) wird das ja wohl auf S. 61 auch heißen, wenn Hal seinem Bruder den Witz erzählt und darin die Gleichung aufstellt. Ist das dann „Widerwilliger Agnostizismus plus Legasthenie minus Schlaf = pausenlose Gedanken über das Böse nach dem Tod.?“ Was ja auch meinte: Das Böse als Zweifel an Gott, Denken, Sprache und ZurRuheKommen ist immer schon da, s.o.
Kann da nochmal jemand mit dem Original aushelfen, Herr Blumenbach gar, auch wenn man ja gute Witze nicht zerreden darf?
Guido Graf
27. August, 2009 um 17:08
Jan Böttcher
28. August, 2009 um 11:06
Oh my dog, there’s no evil! Zu weit rausgeschwommen.