31. Oktober

2. November 2009 |

23.30. Cabernet mitos, anscheinend noch so ein önologischer Testbetrieb, dunkelschwarz, knapp unterhalb der Schnapsgrenze, ein verschladererter Wein sozusagen. Aber großartig. Noch ein bisschen Zelenka, der war auch ein bisschen verschladerert, aber noch großartiger als der Wein. Familie schläft. Draußen bellt ein Hund gegens Blätterrauschen an. Es ist nachtschwarze Nacht. Schritte. Ein Mann im Mantel.
Ach nee. Der ist im Buch und heißt Randy Lenz. Schon fast vergessen. Jetzt latscht er mit seinen Loafern durch vermülltes Suburbia. Es ist nachtschwarze Nacht. Bruce Green sieht ihn. Folgt ihm. Beobachtet ihn. Sie sind in einem heruntergekommenen Viertel, in dem Musik läuft, die Marsianer in die Flucht schlagen würde. Ukululelehawaiihemdmusik. Das ist noch großartiger als der Wein und der Zelenka. Wie DFW hier zwischen magischer Nachtbeschreibung, Bewegungsbeobachtung und neuem aus der Innenerinnerungwelt des Bruce Green hinundherrast, welchen Zug diese total simple Geschichte bekommt bis zum horrorfilmhaften Nichtaufblitzen des Messers, das Lenz dem gigantischen Hund durch die Kehle zieht. Die Verdichtung von Atmosphäre und Musik. Lenz sagt es etwas, das „wie ,Da hast du’s’ klingt, er stößt den Hund von sich in dne Vorgarten, die Gestalt oben am Fenster gibt einen schrillen Männerlaut von sich, der Hund geht zu Boden und prallt mit dem fleischigen Knirschen eines 32-Kilo-Sacks Mini-Eiswürfel auf die Seite“. Das ist alles nicht nett. Aber eine von diesen finsterbergmadigen Szenen, die einen durchhalten lassen.
Noch 30 Tage.
Randy Lenz läuft weg, verfolgt von einem Montego und berollschuhten Quebecoisnanern. Mario Incandenza eiert herein. Der nachtwandelt, hat seltsamerweise den Kontakt zu Hal verloren und fühlt sich wohl in Ennet House, weil das ganz echt ist. Echt ist auch so eine Kategorie im Spaß, über die man eine Doktorarbeit schreiben könnte. Was Mario in dieser Sequenz aber besonder offenbart, ist seine Begeisterung für Madame Psychosis und ihre Rundfunksendungen. Gerade die frühen, an denen noch was echt war, mit Sachen, die echt sind. Pemulis erzählt, er hätte da eine Idee für einen telefonischen Gebetsservice für Atheisten, wo der Atheist die Nummer anruft und am anderen Ende klingelt es nur endlos. Aber keiner geht ran. Kann keiner lachen in der E. T. A.
Das unendliche Geschehen dieses Tages setzt sich dann tatsächlich in Ennet House fort, wo Gately einen klitzekleinen Einblick in die bürokratischen Aufgaben eines Betreuers in Ennet House gibt, was beweist, dass es da auch nicht besser ist, als einem gottverlassenen kleinen Krankenhaus in Wanne-Eickel. Kate Gompert, erfahren wir immerhin, sitzt wieder tief in ihrem schwarzen Loch, zu dessen Aufhellung nicht unbedingt beiträgt, dass sie Sylvia Plate liest. Steht da so. Kennt Gately wohl nicht. Sonst hätte er der Suizidalen das Buch der Suizidistin weggenommen.
Gately betritt die Frauenabteilung. „Mann im Anmarsch“ muss er rufen. Wenn ich das gleich mache, werde ich mit William Boyds „Einfache Gewitter“ beworfen. Ist zwar leichter als der Spaß, tut aber trotzdem weh. Am Kopf.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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