22. September

23. September 2009 |

Warschauer Straße. 20.15. Soviel Alkohol in der Luft. Spinner am Bahnsteig. Ennet House auf Freigang. Die S-Bahn ist wieder mal weg. Wann die nächste geht, weiß keiner. Selber leicht besäuselt. Stuart Pigott, Weinpapst der Konkurrenz, hat globales Getränk mitgebracht zum Interview. So lieb ich das. Interviewgäste, die was mitbringen. Riesling aus Michigan, von den großen Seen (schmeckte, als wäre eine Nelkenzigarette reingefallen, doll), ein korkiger Chinese, dem man sein Potenzial aber deutlich anroch noch, und zehn Jahre alten Reiswein. Werd ich redselig. Leider. Himmel.
Zurück zu Orins Sportkarriere. Das ist tatsächlich wieder eine der vielen nachgeholten Expositionen. Die man sich am besten herausschneidet, um sie hinter her in eine andere, die richtige Reihenfolge zu bringen. Aber was wär das für ein langweiliges Buch. Orins Geschichte von der ersten Verliebtheit in das SCH.M.A.Z., das schönste Mädchen aller Zeiten, in Joelle also, an. Und hat man tatsächlich schon mal das Explodieren von Verliebtheit so gelesen: „alles was in Orins Körper fest war, verwandelte sie gewissermaßen in Wässriges, Fernes und seltsam Gegittertes“. Auch schön: „Orin hatte schon einem Dutzend B. U.-Studentinnen kleine liegende Achten auf die postkoitalen Flanken gemalt.“ Und das geht so weiter: „Das Schicksal hat keinen Pager; das Schicksal schiebt sich immer im Trenchcoat aus einer Gasse und macht pssst, was man gemeinhin gar nicht hört“. Orin wird Footballspieler, besser gesagt: Punter, er ist dafür verantwortlich, das Lederei soweit wie möglich weg zu kicken. Orin verliebt sich weiter: „Und auf diese Weise fasste die einzige schlichtweg kardioplektisch romantische Beziehung in Orins Leben distanzüberwindend bilaterale Wurzeln“ – so kann mans auch sagen. Joelle wird drogenreicher. Orin bringt sie in den filmischen Dunstkreis des großen Storches. Die Folgen haben wir schon gelesen. Das letzte, was wir sehenist „Orins kinngeriemtes und plastikgerahmtes Gesicht, erstarrt und hochaufgelöst im Helm, unmittelbar vor dem Zusammenprall, herangezoomt mit einem Qualitätsobjektiv. Besonders interessant sind die Augen.“ Klinge ich tatsächlich immer begeisterter? Wahrscheinlich. Und was will dieser komische, struppige Berlinder da von mir. Muss hier weg.

4 Kommentare zu 22. September

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michael jackson

23. September, 2009 um 21:08

ich bin mir sicher, diese blog/thread wäre für dfw ein weiterer grund gewesen sich sofort umzubringen;für die zukunft hier: dfw mit deleuze/guattari/ foucault/ derrida querzulesen

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Clemens Setz

23. September, 2009 um 21:47

„Für die Zukunft“ – das klingt ja wie ein grimmiger rotgesichtiger Chef in der Firma, der gerade den ersten Entwurf seines Untergebenen vor dessen Augen zerrissen hat.
„Für die Zukunft hier, deuten Sie Ihre Texte lieber nach Derrida und Foucault!“

Jemand, der Deleuze/Guattari/Foucault/Derrida wirklich gelesen und verstanden hat, würde eine solche Formulierung natürlich nie verwenden. Sie ist viel zu offensichtlich Teil eines Diskurses der Herablassung.

Ich lese DFW lieber quer mit Mandelbrot/Barnsley/Gödel/Cantor.

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Lou

23. September, 2009 um 23:41

@Elmar Krekeler
@michael jackson

Es passt eigentlich nicht ganz zum Beitrag von Elmar Krekeler, denn da sind wir zunächst tatsächlich „nur“ bei Orins „Sportkarriere“ – obwohl, vielleicht doch, denn von Orin ist es nur einen „Seiten“-Sprung zu Joelle …

Guattari ist insofern keine schlechte Idee, denn die Frage des schizoiden Impulses in der Literatur verfängt vielleicht tatsächlich (und damit meine ich Autor UND Leser). Wir sollten diesen Faden ein wenig behalten, zumal wir auf diesem Weg über Jacques Lacan den Spannungsbogen auf den Sprachduktus hin dehnen können. Was tatsächlich spannend ist, denn – „Ich“ ist auch bei DFW ein Anderer.

Deleuze? – sicher, denn mit Friedrich Nietzsche sind wir bei US in der Gott-ist-tot-Debatte.

Wallace Stevens schreibt über „The men that are falling“

“God and all angels sing the world to sleep,
Now that the moon is rising in the heat

[…]

He lies down and the night wind blows upon him here.
The bells grow longer. This is not sleep. This is desire.

[…]

Staring, at midnight, at the pillow that is black
In the catastrophic room … beyond despair,

Like an intenser instinct. What is it he desires?
But this he cannot know, the man that thinks,

Yet life itself, the fulfilment of desire
In the grinding ric-rac, staring steadily

At a head upon the pillow in the dark,
More than sudarium, speaking the speech

Of absolutes, bodiless, a head
Thick-lipped from riot and rebellious cries,

The head of one of the men that are falling, placed
Upon the pillow to repose and speak

[…]

The night wind blows upon the dreamer, bent
Over words that are life´s voluble utterance.”

Und DFW in der Kenyon-Speech:

„The really important kind of freedom
involves attention, and awareness, and
discipline, and effort, and being able truly
to care about other people and to sacrifice
for them, over and over, in myriad petty
little unsexy ways, every day.

That is real freedom.”

– “day in and day out” –

Und zu Orins Sportkarriere:

“… dass nämlich sowohl des Schicksals Küsse als auch seine Dopeknaller die grundsätzliche individuelle Machtlosigkeit des Einzelnen über die wirklich bedeutsamen Ereignisse seines Lebens illustrieren.“

Es sind diese Bezüge und Interferenzen, die uns die Mehrdimensionalität teils nur erahnen lassen, von der schon in verschiedenen Beiträgen hier die Rede war.

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Alfred Vail

24. September, 2009 um 10:56

Übrigends kann man das Buch auch einfach nur lesen und genießen.
Geht auch, ohne Querlesen, ohne Versuch einer Analyse.

Das ist durchaus ernst gemeint und soll als Anreiz dienen für Menschen die überlegen ob das Buch eventuell doch zu kopflastig, fremdwortlastig1) oder zu langatmig ist.
Ist es nicht.

1) Man muss z.B. nicht jedes Wort nachschlagen wenn man nicht daran interessiert ist und die Passage auch so zu verstehen ist.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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