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22.30. Am Wasser. Soviel Apfelsinen kann man gar nicht essen, dass einen der Winterschlaf nicht einholt. Novembrigster November. Alles still, vorneheraus. Hintenheraus tritt von einem kahlen Mond und einer milchigen alten DDR-Laterne beschienen ein komplett bekiffter Hagermann auf eine wehrlose Humana-Box ein. Manchmal weiß man nicht, ob man nicht doch irgendwann ins Fernsehen gefallen und in einem schlechten schwedischen Krimi gelandet ist.
Don Gately ist tatsächlich in etwas gänzlich Unschönen gelandet. Wir erinnern uns vor urdenklichen Zeiten ist der vor Ennet-House von marodierenden (warens Kanadier?) Menschen zusammengeschlagen und angeschossen worden, die eigentlich Herrn Lenz jagten, der wiederum versucht hatte, ihre Hunde zu schlitzen. Don liegt also jetzt da und die Decke in der Traumaabteilung atmet. „Sie wölbt sich und schrumpft. Sie schwillt an und ab.“ Na das kann ja interessant werden. Ein trockener Drogist liegt in der Traumaabteilung und hat Schmerzen. Was werden sie dem wohl geben. Gately erinnert sich an seine Kindheit, als er im Strandhäuschen auch unter einer offenen, nur mit einer Plane geschlossenen Decke schlafen musste, die ständig zu atmen schien. Er hat Schmerzen, in der Kehle, in der Schulter, er sieht gespenstische Gestalten. Das tut alles so weh. Er träumt alp über alp. Und wenn er wach ist, kann er sich nicht wehren, gegen Schwätzer wie Tiny Ewell, die ihm ihre Geschichte erzählen. Ewell erzählt und erzählt. Wie er in seiner Jugend einen Geldstehlerclub gegründet hat, warum das schief ging und warum damit sein ganzes Leben schief ging. Ein AA-Treffen mit andern Mitteln, nur dass Poor Don Gately halt nicht weglaufen kann. Armes Schwein. Aus der Geschichte hätten andere mindestens eine Novelle gemacht. Eine magische. Geht hier im Schmerzensdunst von Gately aber ein bisschen unter. Ist doch eine gigantische Stoffsammlung, dieser Roman.
Gately wird von Demerol bedroht. Das hatten wir garantiert schon mal. Das wars wohl an dem hing, von dem er mühevoll loskam. Gately ist schlimmer dran, als wir uns das vorstellen und am Ende wird er wohl doch… Warten wirs ab.
Ewell erzählt weiter. Gately träumt wieder von seiner Kindheit. Auch so ein Diamant der Dysfunktionalität. Mutter wird verprügelt. Kind interessierts irgendwann nicht mehr. Eigentlich gehört Don schon längst in die Traumaabteilung. Der ganze Roman.
Die Leute vom Ennet House traumtänzeln durch die Intensivstation. Joelle van D. / Mdme. Psychosis sitzt an seinem Bett. Und tupft wie eine andere Veronika. Der Ennet-Hauspsychologe kommt vorbei und sagt, Gately sähe aus „wie ein Haufen Scheiße, auf den was Schweres draufgefallen“ sei. Sehr aufbauend. Dann wird die Geschichte von der chaotischen Erste-Hilfe-Katastrophe nachgeholt, die sich im Anschluss an den Shoot-out bei Ennet-House ereignet hat. Manchmal kann einen dieses marihuanaschleifenschreiben schon auf den Wecker gehen. Kann der sich nicht mal auf Gately im Bett konzentrieren. Immer wieder lässt er ihn los, immer wieder zerfasert die Geschichte und Menschen erzählen und erzählen, was sonst noch so alles passiert ist, was die anderen in Ennet-House jetzt machen. Das interessiert Gately nicht, das interessiert mich nicht. Das ist Folter. Wenn man sich zuviele Figuren ans Bein bindet, muss man sich nicht wundern, wenn die Geschichte irgendwann gewaltig hinkt.
Bevor ich jetzt endgültig miesepetrig werde – möge Gately traumlos ruhen. Ich versuchs jetzt auch.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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1 Kommentar zu 20. November
Manfred Carsten
27. November, 2009 um 01:41
Hallo! Mit großer Freude lese ich diese Seiten immer wieder! Es macht Spaß hier herumzustöbern! Viele Grüße