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5.40 Karlsruhe. Mezzomix zero (japerversja. Wollte wissen, wie das Lieblingsurlaubsgift meiner Kindheit (Spezi!) ohne Kalorien schmeckt). Murray Perahia spielt Bach-Konzerte (hält immerhin wach). Seiten 272-88. Der Großraum rollt rückwärts nach Hause. Diese Leute hier haben gar keinen Spaß. Einer liegt über seinem Tisch, als wäre er von gestern übrig geblieben.
Nachdem wir ein bisschen mehr erfahren über den Lehrplan der E. T. A. hält Madame Psychosis eine Bergpredigt, nicht den Mühseligen, den Beladenen, auch nicht den Siechen. Obwohl sie schon sehr pythonesk ist, die Rede. Madame Psychosis predigt den Leurodermatikern, den maxillofazial Fehlgebildeten, den Peronikern und Teratoidalen, dass sie ihre Klausen oder sonstigen Unterkünfte verlassen „um Eurem Spiegelbild furchtlos ins Auge zu schauen“. Außerdem steht auf ihrem Manuskript, das sie ihrer Gemeinde verliest, noch sowas wie „Lieber per Du als Degout“. Was DFW anschließend über die Musik schreibt, die den Soundtrack von Mdme. Psychosis’ Rede untermalt, ist doch sehr unterwäligend. Mit Musik hat ers nicht so.
Was ist doch so ein Zug für ein einfaches Gebilde, verglichen jedenfalls mit den verschlungenen escherschen Ungetümen, in denen DFW sein Buch spielen lässt. Der kleine Heathkit zum Beispiel sitzt da im „suburalen Treppenhaus im Cerebrum“. Was immer das heißen mag. Es geht aber noch schlimmer. Oder interessanter.
Die Welt von US fügt sich nämlich allmählich. Nicht nur, dass die Figruen, die wir längst schon verloren gegeben hatten, tatsächlich nicht ins Nirwana der DFWschen Fantasie gespült wurden, sondern mit den anderen in Beziehung stehen. Auch die verschlungenen Gebäude rücken zusammen. Ennet House Drug and Alcohol Recovery House zum Beispiel, erfahen wir, ist einer sieben Gebäurdetrabanten, die man von der ETA aus sehen kann, „wie sieben Monde, die einen toten Planeten umkreisen“, liegen sie da. Und sind so eine Art Sammelbecken all jener, die der Gesellschaft geist, seelisch abgeschmiert sind. Ein gigantisches Kuckucksheim. Als da versammelt sind: die Vietnamveteranen „mit irrem Blick und post-posttraumatischen Belastungsstörungen“, Methadoniker mit hervortretenden Augen, Alzheimerpatieten mitVeteranenrente, Katatoniker und geistig Behinderte in Fötalstellung „mit dem IQ einer Salatschleuder“.
Das Klinikpersonal hat übrigens auch gewaltig einen an der Schacke, was daran liegt, dass hier Böcke zu Gärtnern gemacht werden. Don Gateley zum Beispiel ist wieder da, der ehemals berühmte Don Gately (vgl. 29. August), der nach Entzug hier hilft. Calvin Thrust (toller Name), einer der Klinikpsychologen, ist seit vier Jahren nüchtern, früher war er Pornodarsteller, kam als Insasse ins House, und da hat er soviel gelernt, dass er jetzt den andern hilft. Toll.
1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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3 Kommentare zu 12. September
Mark Z.
14. September, 2009 um 08:56
Satzteile ähnlich dem „mit dem IQ einer Salatschleuder“ und andere Beschreibungen haben mich etwas verwundert, da sie Wallace hier niemanden so recht in den Mund legt, sondern einfach so hinstellt ohne Reaktion und Spiegel. Schien mir beim Lesen spontan nicht zu Wallace und zum Buch zu passen.
Daniela Sickert
14. September, 2009 um 08:57
Der für mich aussagekräftigste Satz im Kontext von Madama Psychosis Radiosendung ist wohl:
„Der Fachbegriff für den Zerstäuber eines Asthmatikers lautet „Inhalator“.
wodurch der gesamte Text der Dame hinter dem trypichonischen Paravent relativiert wird. Ich habe mich ja erstmal kaputtgelacht
Der gesamte Abschnitt über die Örtlichkeiten erweckt den Anschein, man habe es mit einem analytischen Roman zu tun, ich denke allerdings, da kommt demnächst wieder etwas, das diesen Anschein völlig über den Haufen wirft.
Ich störe mich hier etwas an der Aussage, mit Musik habe er es nicht so. David Foster Wallace oder der Text? Vielleicht bin ich zu barthesisch, aber warum muss man hier ständig die Person des Autors in den Vordergrund rücken? Und ich halte die Zeilen über die Musik in diesen Seiten für völlig passend, sollen sie meiner Ansicht nach doch nur die Stimmung dieser psychotischen Radiosendung untermalen.
ulrich blumenbach
14. September, 2009 um 14:28
@Mark Z.: „Satzteile ähnlich dem ‚mit dem IQ einer Salatschleuder‘ und andere Beschreibungen haben mich etwas verwundert, da sie Wallace hier niemanden so recht in den Mund legt, sondern einfach so hinstellt ohne Reaktion und Spiegel.“
Zu diesem Punkt dürften (oder sollten jedenfalls) noch ganze Doktorarbeiten geschrieben werden: Was die Erzählerpositionen und -perspektiven angeht, sieht’s bei Wallace aus wie bei Hempels unterm Sofa. Ich hab‘ das in einem Essay mal eine Art „Doppelcodierung“ genannt: „Ein und derselbe Erzähler kann im Roman zwischen verschiedenen Ausdrucksweisen pendeln und plötzlich aus einem wissenschaftlichen Duktus in die flapsige Umgangssprache eines kleinkriminellen Ex-Junkies verfallen: ‚Als eine Substanz, deren zufällige Synthese den Sandoz-Chemiker in den vorzeitigen Ruhestand versetzte und zu anhaltend starren Wandbetrachtungen verführte, steht das unglaublich starke DMZ in weiten Kreisen chemischer Untergrundlaien im Ruf, der schlimmste Stoff zu sein, der je in einem Reagenzglas gezeugt wurde. Es ist heute außerdem die härteste Freizeitdroge, die in Nordamerika zu kriegen ist, abgesehen von vietnamesischem Rohopium, das, ach vergiss es.’ (US 245 f.) Der Erzähler, von alters her das brandheiße Kabel vom Nabel der Fabel, ist bei Wallace ein Glasfaserkabel und befördert simultan mehrere Botschaften. Dieses oszillierende Schreiben hat auch etwas von Selbstgesprächen. Sprechen wir öffentlich, legen wir uns auf das in der jeweiligen Situation geltende Stilregister fest (bei einem wissenschaftlichen Vortrag erzähle ich keine Zoten; im Sportverein doziere ich nicht). Im Selbstgespräch dagegen herrscht muntere Anarchie, eine Gleichwertigkeit von Fachsprachen und Slang, gebildetem Ernst und kindlichem Spaß.“ („FAZ“ 18.8.2009: 31)