12. Oktober

13. Oktober 2009 |

23.21. 20. Stock über Frankfurt/Süd. Englische Suite No. 1, Bach, Murray Perahia. Gerade Herta Müller gesehen. Große Frau. Freute sich wie Bolle für Kathrin Schmidt. Jeder hatte ihr gratuliert. Sie hatte sich gefreut über den Nobelpreis. Erstmals öffentlich. Der Nobelpreis ist etwas ganz normales. Jedenfalls, wenn Herta Müller ihn bekommt. Das Cordanzug-Model aus Lübeck mag da granteln, wie er will, sie hat es verdient (der wollte doch nur als letzter lebender deutscher Nobelpreisträger ins Grab fallen). Und noch einen schönen Gruß an den Martin vom Bodensee: Schau Dir Herta Müller an, das ist wahre Größe. Sich als Nobelpreisträgerin in den Buchpreis setzen auf die Gefahr hin, den Preis nicht zu kriegen. Der Martin hat sich das nicht getraut damals. Kleiner Mann, halt.
Zurück zu DFW. Der hat auch keinen großen Preis bekommen. Und auf die Granta-Liste hat ers damals auch nicht geschafft. Weiß nicht, warum. Wir sind wieder bei Clipperton. Der steht in metamerkwürdiger Aufmachung vor dem Gitter der ETA und die beiden Incandenzas holen ihn ab. Irgendwie ahnt man schon, dass er nicht mehr lange lebt. Er hat seine Glock dabei und ein Hochzeitsfoto. Das ist nicht nur der selbstmord- und drogentodreichste Roman ever, das ist auch der mit den meisten dysfunktionalen Familien. Daraus hätte ein weniger verschwenderischer Schriftsteller mindestens zehn Romane gemacht. Clippertons Mom? Eine Valiumsüchtige im Endstadium. Clippertons Dad? Ex-Sojabohnenfarmer, in den Hagelstürmen von 1994 erblindet – beide wären „bei einem US-amerikanischen Eltern-IQ-Test von jeder Amöbe auf den zweiten Platz verwiesen worden“. Das merk ich mir. Man weiß ja nie.
Dann begleiten wir Gately (der lebt noch, Stephen Gately ist erwartbarerweise unter Drogeneinfluss und von merkwürdigen Sexspielen begleitet dahinverreckt) nach Shattuck, einen Sinktank für den Bodensatz jener, die es aufrecht nicht mehr nach Ennet-House geschafft haben. Elend.
Und dann kommt Nesquik. Ein hoffnungsvoller Tennisjugendstarspieler, der nach Hause kommt von Feier cum Schwoof. Und Schokomilch mit Natriumzyanid versetzt, umfällt und lautstark aus den Pantinen kippt. So lautstark das Papa kommt, ihn retten will und am Restgift im Rachen des Filius verreckt, dann Mama. Und da „alle sechs Kinder vierstündige, vom Rotary Club gesponserte Erste-Hilfe-Kurse im YMCA von Fresno absolviert haben, liegt am frühen Morgen die ganze Familie da, blau angelaufen und steif wie die Zaunpfähle“. So gemein.
Muss jetzt ins Bett. Morgen früh Audienz bei Frau Schmidt.

2 Kommentare zu 12. Oktober

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Stephan Bender

13. Oktober, 2009 um 12:00

Kurze Interviews mit diesen Männern zum Thema „Unterhaltung“
(12. Oktober 2009, Volksbühne Prater im Foyer nach der Lesung „Infinite Jest“, Gedächtnisprotokoll)

Frage: „Herr Schmidt, darf ich Sie mal was Persönliches fragen?“
Schmidt: „Aber gern!“
Frage: „Kommt diese Zeit und die damit verbundene Stimmung, die Sie mit ihrer Harald-Schmidt-Show in SAT1 hatten, irgendwann noch mal zurück?“
Harald Schmidt: „Nein die kommt nicht mehr zurück.“
Frage: „Leiden Sie unter dem gesellschaftlichen Wandel?“
Harald Schmidt: „Nein, gar nicht. Man wird älter. Man sieht die Dinge anders. Das ist wirklich so, ich bin sehr zufrieden.“
Frage: „Hat es einen gesellschaftlichen Wandel in Deutschland gegeben? Ist die Stimmung heute nicht so, dass die Leute übel nehmen, wenn jemand etwas politisch Unkorrektes sagt?“
Harald Schmidt: „ Nein. Es hat keinen gesellschaftlichen Wandel gegeben, sondern es wurde einfach viel nachgemacht auch von untalentierten Menschen. Das hat sich einfach abgenutzt, so einfach ist das.“
Frage: „Das ist alles?“
Harald Schmidt: „Genau. Die anderen können das einfach nicht so nachmachen. Einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit Komik hat es nicht gegeben, sondern die Stimmung der Menschen hat sich gewandelt. Und darauf muss man als Entertainer reagieren.“
Frage: „Aber sie sind deswegen nicht gram, sondern Sie sind eben auch ein professioneller Schauspieler und können ausweichen….“
Harald Schmidt: „So kann man das sehen. Ich bin wirklich sehr zufrieden.“

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Thomas Peter Carstensen

21. Oktober, 2009 um 14:17

Betr: Granta

Auf die Liste der Young British Novelists ( 1983,1993,2003 ) konnte DFW ja wohl nicht kommen, da nicht Britischer Staatsbürger ( teilweise auch schon nicht mehr unter 40 ), und für Young American Novelists ( nur US-Staatsbürger, auch nur unter 40 ) 1996 war es nach Infinite Jest schon zu spät – oder zu früh, mag wer die Publikationsdaten vergleichen – und 2007 war er zu alt und viel zu berühmt. Mit TIMEs 100 beste Romane seit 1923 wurde es dann 2005 doch noch etwas.

kind regards

ThP Carstensen, Schleswig

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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